Spaniens erfolgreichster Thrillerautor legt sich im zweiten Band seiner Trilogie mit russischen Oligarchen an
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Ja, derzeit haben’s wir mit den Russen, besser: es fällt einem auf, wie oft sie auf das Negativste dargestellt werden: viel Geld, massive Brutalität, frauenverachtend, die massenhaft Menschen abschlachten oder sie erfrieren oder ersticken lassen...Dazu nachher mehr und vor allem Konkretes.
Erst einmal wollen wir einfach den Blick weiten und wieder einmal hervorheben, wie viel man in Kriminalromanen über den Zustand einer Gesellschaft, ihre innere Verfaßtheit erfahren kann, was in früheren Zeiten selbstverständlich in großen Romanen festgehalten worden ist, ob Dickens, ob Zola, ob Fontane, ob Thomas Mann und auch noch die Nachkriegsromane der großen Drei: Heinrich Böll (1917-1985), Martin Walser (24. März 1927) Günter Grass (16. Oktober 1927-2015) sind ein Abbild ihrer Zeit und der Menschen in ihr. Natürlich gibt es hin und wieder noch solche Romane, aber die überwiegende Mehrzahl beschäftigt sich mit individuellen Beziehungsgeschichten, ob nun Liebe oder nicht.
Die Funktion, die früher also solche Romane erfüllten, übernehmen immer stärker Kriminalromane. Das zeigt auch der folgende, den wir jetzt nicht überhöhen wollen, weil er schon auch dicke Kolportageanteile hat, wie die Eingangssätze zeigen. Außerdem wollen wir zukünftig einfach öfter auch Krimis aus dem nicht-anglo-amerikanischen Raum bringen, einfach weil deren Literatur, damit deren Sprache und ihre Gesellschaften übermächtig sind, auch bei uns, was leicht zu Kosten von anderen Ländern und Sprachen geht. Und da Sprachen die Welt erklären, ist das ein zusätzliches Argument für diesen Krimi, mit dem wir in der Trilogie einsteigen, aber jetzt schon wissen, daß wir den ersten Band DIE ROTE JÄGERIN noch lesen werden, bevor der dritte herauskommt.
Das liegt auf jeden Fall am Ermittlerteam Antonia Scott und Jon Gutiérrez,die keiner herkömmlichen Polizeieinheit angehören, sondern europaweit agieren, in dem in jedem Land Ermittler ohne jeglichen Hierarchien – was ja so nützlich wie schädlich sein kann – und völlig geheim mit nur einem Mittler im Hintergrund agieren. Zudem ist Antonia Scott eine der ‚roten Königinnen‘, wie diese besonderen Ermittler genannt werden. Bei ihr sind ihre außerordentlichen mentalen Fähigkeiten, verbunden mit einem messerscharfen Verstand gleichzeitig die Einflugschneise für das Chaos im Kopf und Gemüt, das oft die Kehrseite besonderer Fähigkeiten ist. Sie nennt es die Affen im Kopf, die dann loslegen und deren Übermacht sie mit Psychopharmaka bekämpft, heimlich. Das führt zu Ausfällen bei ihr, weil die starken Mittel abhängig machen, aber es führt auch zu Glanzleistungen. Dazu kommt, daß sie erfahren, daß das total geheime Computerprogramm Heimdall (Marvelfilme) jegliche Internetbewegung festhält und auswertet: ein Google für Spitzenermittler sozusagen.
Obwohl ich instinktiv etwas dagegen habe, wenn die Ermittler die Hauptfiguren in Krimis sind, die ja Fälle schildern sollen und auch tun, muß ich schon sagen, daß diese Antonia etwas hat, weil sie nicht allein die Knallharte ist, sondern uns und auch Kollegen Jon Schwächen zeigt, die sie gerade angesichts ihrer mentalen und kognitiven Stärken menschlich machen. Daß sie einen Mann hat, der im Koma in der Klinik liegt, läuft nebenbei mit wie auch ihr Sohn Jorge, der die Mutter problematisch findet. Sie sich selbst ja schließlich auch. Ja und Kollege Jon ist der Ritter an ihrer Seite, selbst schwul und auf der Suche nach einem Partner, fängt er sie immer wieder auf.
Beide werden nach Marbella geschickt. Dort wurde der russische Oligarch und Geschäftsmann Yuri Woronin in seiner überladenen, extrem geschmacklosen Villa erschossen mitsamt zweier Russen und seine schwangere Frau Lola Moreno ist verschwunden. Eigentlich ermittelt die andalusische Polizei, doch die beiden Beamten haben von Anfang an ein ungehobeltes Benehmen gegenüber Antonia und Jon, sehr viel später wissen wir auch, warum sie vor Antonias Fähigkeiten mehr als Respekt entwickeln. Der Ermordete war der Watschenmann von Aslan Orlow, der ranghöchste Mafiaboß in Spanien. Gleichzeitig wird in Malagas Hafen eine entsetzliche Entdeckung gemacht: Neun tote, erstickte Russinnen in einem Container, gedacht als frisches Menschenfleisch im Auftrag der russischen Mafia.
Hat beides miteinander zu tun? Claro! Aber das muß bewiesen werden und vor allem, wer hier in welchem Interesse mordet. Und wo die verschwundene Unternehmergattin ist? Nun kommt eine dritte, eigentlich eine vierte Position ins Spiel: neben den beiden Ermittlerteams, dem lokalen und Antonia/Jon sowie Aslan Orlows Schlägertrupps ist die Rede von der Schwarzen Wölfin, eine fast unheimliche russische Auftragsmörderin, weil sie jeden Anschlag überlebt, selbst aber jeden Auftrag erfolgreich abschließt.
Das ist die Ausgangssituation, die nun die Puppen zum Tanzen bringt. Der Autor hält uns in Atem, mit dem Hin und Her und unserer nötigen Aufmerksamkeit, wenn zwischen den Personen, den vier Gruppen, den ständig wechselnden Schauplätzen und den unterschiedlichen Interessen sowie den Verfolgungsjagden hin- und hergeschaltet wird, wobei die Befindlichkeit von Antonia und ihre Tablettensucht eine eigene Arie bleibt. Nein, die Personen sind nicht typisch oberflächlich gestrickt, sondern sehr individuell, zudem zahlreich, denn es geht auch um die Bedienerin im Hause Woronin, deren Hauptaufgabe die Rettung des Riesenhundes ist, der für Lola wichtiger als der erschossene Ehemann ist.
Daß dieser ein Spitzel für die beiden lokalen Polizeigrößen war und zudem Orlow um Unmengen von Geld betrogen hat – überhaupt ist das Geld Movens der Geschichte- darf man schon verraten, alles andere nicht, höchstens das auffällt, daß diejenigen, die die Welt verändern die Frauen sind: Antonia. Lola und die schwarze Wölfin, die ein besonderes Geheimnis hegt, wobei der Count Down in der Nähe Madrids erfolgt in einem bitterkalten Winter voll von Schnee.
Und am Schluß kommt noch eine Frau persönlich ins Spiel: Sandra Fajardo, die vorher nur in Antonias Gedanken existierte. Sie rührt aus dem ersten Fall, was deutlich macht, daß es um sie und Antonia im dritten Band gehen wird.
Foto:
Umschlagbild
Info:
Juan Gómez-Jurado, Die schwarze Wölfin, Bd. 2 der Trilogie, Goldmann Verlag, Juli 2022
ISBN 978 3 442 49278 7
Übrigens ist der dritte Band in Spanien schon erschienen, wo der Autor Kult ist.