roentalEines der letzten „Heimatbücher“ ist erschienen

Kurt Nelhiebel

Bremen (Weltexpresso) - Kaum dass, bildlich gesprochen, Gras über die Leichenberge gewachsen war, die Nazideutschland auf seinem Raub- und Vernichtungskrieg hinterlassen hatte, übte sich ein Teil der Deutschen schon wieder in Selbstmitleid. „Die Völker der Welt sollten ihre Mitverantwortung am Schicksal der Heimatvertriebenen als der vom Leide dieser Zeit am schwersten Betroffenen empfinden“, jammerten  die politischen Organisatoren des Bundes der Vertriebenen in ihrer am 16. August 1950 feierlich verkündeten „Charta der Heimatvertriebenen“.

Nicht die Hinterbliebenen der Millionen ermordeten Juden, Polen, Ukrainer und Russen, galten für die Mitbeteiligten an den Verbrechen des Naziregimes als die am schlimmsten Betroffenen, sondern  sie selbst. Gedeihen konnte dieser Wahnwitz nur in der aufgeheizten Atmosphäre des Kalten Krieges zwischen West und Ost. Arm in Arm buhlten die christlichen und die sozialen mitsamt den liberalen Demokraten um die Stimmen der Vertriebenen. Landauf und landab schossen Zeitungen und Bücher aus dem Boden, in denen die Vertriebenen den Verlust ihr Heimat beklagten und die Rückgabe der verloren gegangenen Ostgebiete als Voraussetzung für ein geeintes Europa forderten.

In den Jahren nach Kriegsende sind nach Angaben der Historikerin Jutta Faehndrich in der Bundesrepublik knapp 500 Vertriebenenpublikationen mit dem Titel „Heimatbuch“ erschienen. Nicht Historiker und Fachleute, sondern die Betroffenen selbst sammelten darin all das, was ihnen von ihrer Heimat erinnernswert baldurerschien und schufen damit, so die Werbung, gleichsam ein kollektives Gedächtnis der Erlebnisgeneration.

Eines dieser vermutlich letzten Heimatbücher liegt vor mir (Titelfoto). Herausgegeben hat es der Heimatkreis Braunau, so benannt nach einem kleinen überwiegend von Deutschen bewohnten Städtchen an der nordböhmischen Grenze zum jetzigen Polen, inmitten einer von Bergen umgebenen einsamen Gegend, in die sich selten ein Fremder verirrt. Verfasst wurde es von Baldur Haase (rechts im Foto) , der ehemals im benachbarten Riesengebirge mit der sagenumwobenen Schneekoppe beheimatet war. Wir sind miteinander befreundet.

Das Buch ist der Gemeinde Rosental, auf Tschechisch Rožmitál, gewidmet und ihren rund 600 ehemaligen deutschen Bewohnern, die sich mehrheitlich auf die Seite der sudetendeutschen Partei unter Konrad Henlein geschlagen hatten, der später als Gauleiter der NSDAP im Sudetenland mithalf, die Tschechoslowakei vollends zu zerschlagen. Bei den letzten freien Wahlen am 29. Mai 1938 entfielen 330 Stimmen auf die Henleinpartei, 37 auf die Deutsche Sozialdemokratische Arbeiterpartei und 21 Stimmen auf die Kommunistische Partei. Es war  ein Spiegelbild des Gesamtergebnisses.

Das liebevoll gestaltete, im Handel nicht zu beziehende Buch vergisst nicht, die Opfer der politischen Verfolgung durch die Nationalsozialisten zu erwähnen. Es unterscheidet sich dadurch von den meisten anderen Heimatbüchern, die es dabei belassen, das schwere Los der nach dem Zweiten Weltkrieg aus ihrer Heimat vertriebenen Deutschen in Erinnerung zu rufen. Und so, als würde er am Schluss von der Vergangenheit eingeholt, vermerkt der Verfasser:. „Vor wenigen Tagen wurde die Ukraine auf Befehl des russischen Herrschers Wladimir Putin von dessen Militärmacht überfallen. Seitdem sind Hunderttausende auf der Flucht.“

Fotos:
Umschlagabbildung: Kapelle in Rosental Oberdorf
©Erik Buchholz

Der Verfasser Baldur Haase
©privat