Bildschirmfoto 2022 09 27 um 23.30.33für seinen Roman TROTTEL, Kipenheuer & Witsch

Felicitas Schubert

Braunschweig (Weltexpresso) - Mit diesem Preis ehren Deutschlandfunk und die Stadt Braunschweig  Jan Faktor für sein Buch „Trottel“ (Kiepenheuer & Witsch). Die Jury lobt ihn außerordentlich: Er revolutioniere das autofiktionale Schreiben. Der Wilhelm Raabe-Literaturpreis hat als Beifang immerhin 30 000 Euro . Er zählt nicht nur zu den bedeutendsten literarischen Auszeichnungen im deutschsprachigen Raum, sondern ist auch um 5 000 Euro höher dotiert als der Deutsche Buchpreis. Für diesen gehört Faktor zu den letzten Sechs.
Den großen Geldbetrag fügen wir deshalb hinzu, weil man sich schlecht vorstellen kann, daß Jan Faktor zusätzlich zum Raabe-Preis auch den Deutschen Buchpreis erhält, weil dann der Abstand zu den übriggeblienen fünf Autorensicher einfach nicht zu rechtfertigen ist.

Bleiben wir bei der Ehrung zum Wilhelm-Raabe-Literaturpreis 2022: „Jan Faktor bringt das traditionelle Genre des Schelmenromans zum Explodieren: Als ‚Trottel‘, so der Titel des Werks, erzählt er sein Leben – aber wilder, überdrehter, radikaler als man es sich bislang vorstellen konnte. Dabei ist ein Werk von erstaunlicher Kraft entstanden“, heißt es in der Begründung der Jury.

In „Trottel“ erzählt Faktor autobiografisch von einem jungen Mann aus Prag, der das Prag der Studentenbewegung wiedererstehen läßt, das der Studentenbewegung im Westen. Denn damals war eine Fahrt nach Prag einfach Kult, zumal damals dort eine äußerst lebendige, ja innovative Kunstszene existierte, die die im Westen als gutbürgerlich erscheinen ließ. Trottel auf jeden Fall verläßt Ende der Siebziger Jahre dieses tolle Prag. Wegen der Russen, bzw. den linientreuen Tschecheslowaken? Es geht andersherum. Er flieht sein Prag nicht, sondern wird von der Frau angezogen, die aus der DDR kommt und dort bleiben will. Auch der Autor war 1978 mit seiner  Frau Annette Simon, Tochter von Christa Wolf nach Ost-Berlin gezogen. Wie Trottel das Leben in der doch sehr bürokratischen DDR in ihrer Haupstadt erlebt, betont die Jury: "„Voller Wortspielereien, atmosphärischer Beschreibungen und grotesker Szenen bietet er einen ungewöhnlichen böhmischen Blick auf die schon so oft erzählte Lebenswelt der Ost-Berliner Bohème und in der späten DDR“. Als „Trottel“ erzählt er sein Leben, „aber wilder, überdrehter, radikaler als man es sich bislang vorstellen konnte“.

 „Formale Experimentierfreude wird mit exzessivem Witz kombiniert, gebettet in einen mitreißenden Erzählstrom. Die Kunst Faktors erweist sich in der Konfrontation mit einer Lebenskatastrophe: Der Suizid des Sohnes wirkt als ständiger Kontrast in dieser Lebenserzählung. In schlichter, fortdauernder Trauer wird von dessen Weg in die Depression erzählt, aus der es kein Entrinnen gab. Albernes und Tragisches beleuchten sich bei Faktor gegenseitig – eine radikale Lebensbeschreibung, die das Genre des autofiktionalen Schreibens revolutioniert.“

Katerina Poladjan, Alain Claude Sulzer und Julia Schock waren übrigens auch nominiert. 

Die Jury des Wilhelm Raabe-Literaturpreises besteht aus:

Gerd Biegel (Präsident der Internationalen Raabe-Gesellschaft e.V.)
Alexander Cammann (DIE ZEIT)
Thomas Geiger (Literarisches Colloquium Berlin)
Anja Hesse (Dezernentin für Kultur und Wissenschaft der Stadt Braunschweig)
Sandra Kegel (FAZ)
Wiebke Porombka (Deutschlandfunk)
Michael Schmitt (3sat)
Katharina Teutsch (FAZ)
Hubert Winkels (Deutschlandfunk)

Braunschweigs Oberbürgermeister Thorsten Kornblum und Deutschlandradio-Intendant Stefan Raue überreichen Jan Faktor den Wilhelm Raabe-Literaturpreis 2022 am 6. November im Rahmen eines Matinee-Festaktes im Kleinen Haus des Braunschweiger Staatstheaters. Ob die Anwesenden alle überhaupt wissen, er Wilhelm Raabe war. Er gehört zu den Schriftstellern des 19. Jahrhunderts, die zu Lebzeiten in hohen Ehren stand, heute aber kein literarisches Weiterleben mehr hat. 


Zum Wilhelm Raabe-Literaturpreis

Mit der Verleihung des Preises zeichnen die Stadt Braunschweig und der Deutschlandfunk jährlich ein in deutscher Sprache verfasstes erzählerisches Werk aus. Mit der Auszeichnung soll exemplarisch das bis zum Zeitpunkt der Preisverleihung publizierte literarische Schaffen gewürdigt werden. Ein neues Buch des Preisträgers muss im laufenden Kalenderjahr der jeweils aktuellen Vergabe erschienen sein.

Zu den bisherigen Preisträgern gehören Rainald Goetz, Jochen Missfeldt, Ralf Rothmann, Wolf Haas, Katja Lange-Müller, Andreas Maier, Sibylle Lewitscharoff, Christian Kracht, Marion Poschmann, Thomas Hettche, Clemens J. Setz, Heinz Strunk, Petra Morsbach, Judith Schalansky, Norbert Scheuer, Christine Wunnicke und Gert Loschütz

Foto:
©deutschlandfunk.de