Hagena 8378Leseland Hessen in Fulda (4).  Katharina Hagena „Herzkraft“

Hanswerner Kruse

Fulda (Weltexpresso) - Auf der vorletzten Reise im Leseland führt uns Katharina Hagena in das Reich der Gesänge. Um es vorweg zu sagen, ihr angekündigtes Sachbuch über das Singen ist ein editorisch wunderbar gestalteter Band, der zwischen persönlichen Erinnerungen, gelehrten Erkenntnissen und zarter Poesie schillert.

Gesänge seien wie das Fliegen meint die Autorin: „Singen, wenn es einmal gelingt, fühlt sich vielleicht auch deshalb an wie Fliegen, weil es schließlich eine Art Flug ist. Mit der Stimme schweben wir über unseren eigenen Luftstrom.“ Auch andere Singende erzählten ihr, Gesang fühle sich an wie Baden im Klangstrom, ein Seelenfreiflug oder die vollkommene Durchlässigkeit. Eine Musiklehrerin forderte sie sogar auf, sie müsse mehr mit den Oberschenkeln singen - also die Töne tiefer im Körper verankern.

Jedes Kapitel beginnt mit einem Gedicht, das die folgenden Aussagen der Schreiberin paraphrasiert. „Lyrik kommt dem Singen am nächsten“, weiß die Autorin. Zum Abschnitt „Fliegen“ wählte sie Rose Ausländer: „Wirf deine Angst / in die Luft / Bald / ist deine Zeit um...“

Hagena ist auch humorvoll oder kämpferisch. Das kleine, seit Jahrzehnten millionenfach verlegte Fahrtenbüchlein „Mundorgel“, nimmt sie im gleichnamigen Kapitel sarkastisch auseinander. Später folgt die „Dusche“, denn das Trällern unter der Brause sei weit verbreitet und falle vielen leichter, als Singsang in der Öffentlichkeit: „Da man dafür nackt sein muss, liegt es nahe mit dem letzten Hemd auch die letzten Hemmungen abzustreifen.“ Vielen Menschen, auch dem Verfasser dieser Zeilen, ist das Singen einst von sadistischen Musiklehrern ausgetrieben worden. Jemandem zu sagen, er habe keine gute Stimme, sei eine Kränkung, die niemals aufhöre zu schmerzen.

Über singende subversive Frauen in der Literatur - wie die Sirenen - schrieb sie gleich mehrere spannende Kapitel. Sie fragte sich, wo brächten in der Dichtung Weiber Steine zum Weinen? Dann erkundete die Germanistin das Echo verstummter Frauen in der Literaturgeschichte, verknüpfte assoziativ ihre Schlüsse mit Märchen, Überlieferungen und realen Ereignissen. Gleich zu Beginn schrieb sie wortspielerisch: Frauen mussten immer um ihre Stimmen kämpfen. Bis in das zwanzigste Jahrhundert hinein durften sie nicht wählen, hatten keine Stimme.“

Aber die Weiber mit Stimme seien auch eine reale Bedrohung gewesen. Wenn sie mit ihrem ganzen Körper, mit allen Sinnen, mit dem Herzen und zugleich mit dem Verstand gesungen hätten, sei dabei große Gefahr von ihnen ausgegangen. Hierarchien wurden auf den Kopf gestellt, es geschah: Machtverlust. Kontrollverlust. Aber im Verlust steckt ja auch die Lust - deshalb war nur wenigen literarischen Frauengestalten ein glückliches Ende beschieden.

Die Verfasserin des in 26 Sprachen übersetzten Buches „Der Geschmack von Apfelkernen“, wollte eigentlich einen weiteren Roman schreiben. Doch dann kam Corona, sie konnte nicht mehr in einen ihrer zahlreichen Chöre gehen, darum schrieb sie „Herzkraft“ – auch zum Mut machen.

Foto:
Hanswerner Kruse

Info:
Katharina Hagena „Herzkraft“, Leinen gebunden, 224 Seiten, Arche-Verlag, 18,50 Euro