Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Endlich lief die Buchpreisverleihung nach den Coronajahren wieder in normalen Bahnen. Der Kaisersaal des Frankfurter Römer war gestopft voll, heiß, von den den vielen Menschen, die alle irgendwie mit Büchern zu tun haben, und heiß von den laufenden Kameras, denn diese jährliche Verleihung findet höchste gesellschaftliche und darum auch mediale Aufmerksamkeit.
„The same procedure as every year“ hieß das Motto, was bedeutet, daß erst einmal dieselbe Moderatorin Cécile Schortmann (hr, rechts im Bild)) sich vorstellte und durch die Veranstaltung führte, auf der erst Ina Hartwig (links im Foto), Kulturdezernentin für die Stadt Frankfurt begrüßte und von der Spannung sprach, die sich wieder eingestellt hat., woraufhin dann Karin Schmidt-Friderichs, die Vorsteherin des Börsenvereins in ihrem Grußwort auch die Erwartungen der Branche formulierte, denn als der Deutsche Buchpreis 2005 eingerichtet wurde, der als Vorbilder den seit 1903 bestehenden französischen Prix Goncourt und den seit 1969 ausgelobten englischen Booker Prize hat, ging und geht es auch darum, daß die Diskussion um den Buchpreis mit der langen und kurzen Liste der ausgewählten Bücher sowie dem Preisbuch den Verkauf in den Buchhandlungen kräftig ankurbeln soll. Und auch tut, denn auch die Romane der letztjährigen Buchpreisträgerinnen sind über 100 000 mal verkauft worden.
Zum gewohnten Ablauf gehört anschließend ein Gespräch von Cécile Schortmann mit der Jurysprecherin, diesmal Miriam Zeh (Foto rechts und unten links, weil die gesamte Jury jährlich wechselt), die nicht lange aufgefordert werden mußte, über die Diskussionen innerhalb der Jury sowie zur Liste der sechs Bücher zu sprechen. Auffällig dabei war, daß sie die ausgewählten Bücher stets vom Inhalt, von der erzählten Geschichte her beurteilte, was schon zuvor als Ankündigung die Runde gemacht hatte, daß es bei der diesjährigen Auswahl nicht mehr um Heldengeschichten gehe, sondern sozusagen um den ganz normalen Wahnsinn, den Alltag...„Zeit für Unspektakuläres“. Daß sie dann aber auf die Rückfrage der Moderatorin, gut, das seien jetzt alles Erläuterungen zu den Geschichten gewesen, wie es aber mit den ästhetischen, den sprachlich- literarischen Gründen für die Auswahl bestellt sei?, auf diese wesentliche Frage nicht einging, kann man nicht verstehen, auch nicht verzeihen. Denn auch hierauf kamen nur Aussagen zu den Inhalten der Erzählungen. Seltsam.
Dann kommen im Ablauf die Filme über die Romane und ihre Autoren
Fatma Aydemir: Dschinns (Carl Hanser, Februar 2022),
Kristine Bilkau: Nebenan (Luchterhand, März 2022),
Daniela Dröscher: Lügen über meine Mutter (Kiepenheuer & Witsch, August 2022),
Jan Faktor: Trottel (Kiepenheuer & Witsch, September 2022),
Kim de l‘Horizon , Blutbuch (Dumont 2022),
Eckhart Nickel: Spitzweg (Piper, April 2022),
jedesmal zum Schluß von einem Jurymitglied gewürdigt. Schwierig, herauszuhören, ob dies die eigene Wahl des Sprechers war, oder ob er im Auftrag der Jury spricht. Auf jeden Fall sind diese Filme das Wichtigste an diesem Abend, weil sie bei aller Kürze doch Wesentliches über den Roman und den jeweiligen Verfasser kund tun. Im Film über Kim de l‘Horizon sprach das Jury-Mitglied Uli Ormann von Agnes Buchhandlung über Buch und Autor, zu dem zu sagen ist, daß er oder sie oder es sich als nonbinär bezeichnet, was ein Hilfsbegriff ist für die Tatsache, daß ein Mensch die Geschlechterdifferenzierung in Mann oder Frau nicht teilt, weil er beide Geschlechter in sich fühlt.
Das war ein Abend des Beifallsklatschens! Und wenn man den lauthalsigen Beifall nach den Filmen vergleicht, waren die Spitzenreiter die Romane von Jan Faktor als Zweiter und Kim de l‘Horizon – übrigens ein Kunstname - als Erster. Das korrespondierte dann mit der Entscheidung der Jury, die BLUTBUCH als besten Roman des Jahres 2022 den Buchpreis zusprach und damit den Schweizer Kim de l‘Horizon zum Buchpreisträger 2022kürte . Daß er außerdem als einer der fünf Finalisten des Schweizer Buchpreises firmiert, wurde kein Thema und wußte auch kaum einer im Kaisersaal, weil in Deutschland weder der Schweizer noch der Österreichische Buchpreis weiter zur Kenntnis genommen werden. Leider. Er knüpft als zweiter Schweizer an Melinda Nadj Abonji an, die 2010 erst den Deutschen und anschließend auch den Schweizer Buchpreis für ihren so lyrischen wie ergreifenden Asylantenroman TAUBEN FLIEGEN AUF errang.
Zum eigentlichen Ereignis des Abends wurde dann die Performance des Preisträgers, die wohl ungewöhnlichsten Dankesworte eines Ausgewählten. Er hatte keine Rede vorbereitet, sagte er, aber er hatte einen Rasierer dabei! Denn nach „Wow! Ich habe keine Rede vorbereitet. Aber ich danke meiner Mutter und meiner Großmutter.”, einem Innehalten und dem Singen von “There is something inside you, it’s hard to explain. They’re talking about you, but you’re still the same.”, des Liedes NIGHTCALL von Kavinsky - wie bei Kim ein Kunstname, den sich der französische Elektro DJ Vincent Belorgey selbst gab. Das Lied ist bekannt aus dem US-Thriller DRIVE, also nach dem Singen sprach Kim: „Dieser Preis ist nicht nur für mich“ und holte aus seinem Täschchen, daß die weibliche Seite wie der lange glitzernde Rock, die Schuhe und das mit Federn besetzte auffälligen Oberteil ausdrückte, besagten Rasierer heraus und rasierte sich schweigend die dunklen lockigen Haare ab, nicht einmal, nein immer wieder fielen die Strähnen im Kaisersaal, bis nur noch hinten Haare stehen bleiben. Längst ist das überrasche Publikum aufgestanden, hat Beifall geklatscht und die Aktion Kims gewürdigt, der die Veranstaltung schließt mit den Worten: „Die Jury vergibt diesen Preis gegen den Hass, für die Liebe, für alle Menschen, die wegen ihres Körpers unterdrückt werden. Dieser Preis ist auch für die Frauen im Iran. Wie dumm war unser Weltbild? Weiblichkeit ist nicht nur im Westen emanzipiert“.
Das geht in die Geschichte ein. In die Geschichte des Buchpreises, aber auch in die des ehrwürdigen Kaisersaals, von dessen Wänden die deutschen Kaiser stummstaunend zuschauten. Das war nun eindeutig nicht „The same procedure as every year“!
P.S. Nach der Veranstaltung im Kaisersaal finden im anschließenden Limpurgsaal jeweils Interviews für Presse, Funk und Fernsehen statt, bei denen Kim auch darauf zu sprechen kam, wie wichtig ihm seine/ihre Haare sind, denn sie sind für Kim ein weibliches Symbol, weshalb ihm das Abrasieren nicht leicht fiel.
Fotos:
©Redaktion
Info:
Unter dem Hashtag #buchpreisbloggen stellen 20 Literaturblogger*innen die nominierten Titel 2022 vor. Die Rezensionen werden unter www.deutscher-buchpreis.de/news veröffentlicht und über die Social-Media-Kanäle des Deutschen Buchpreises geteilt. Auf der Webseite und den Social-Media-Kanälen des Deutschen Buchpreises vermitteln zudem Videoporträts einen Eindruck von den nominierten Werken und ihren Autor*innen.
Weitere Informationen und Lesungstermine von Kim de l’Horizon können abgerufen werden unter www.deutscher-buchpreis.de
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Unter dem Hashtag #buchpreisbloggen stellen 20 Literaturblogger*innen die nominierten Titel 2022 vor. Die Rezensionen werden unter www.deutscher-buchpreis.de/news veröffentlicht und über die Social-Media-Kanäle des Deutschen Buchpreises geteilt. Auf der Webseite und den Social-Media-Kanälen des Deutschen Buchpreises vermitteln zudem Videoporträts einen Eindruck von den nominierten Werken und ihren Autor*innen.
Weitere Informationen und Lesungstermine von Kim de l’Horizon können abgerufen werden unter www.deutscher-buchpreis.de