BLUTIGE STUFEN von Chris Carter im Ullstein Verlag
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Nein, Tote müssen nicht am Angelhaken, nur gehalten vom Unterkiefer von der Decke hängen! Es gibt Grenzen im Kriminalroman, auch im Thriller, die Chris Carter überschreitet. Und wenn er nicht diesen souveräne Ermittlergespann, der wichtigere: Robert Hunter (nomen est omen) und sein Partner in der UV-Einheit der LAPD von Los Angeles Carlos Garcia, so agieren ließe, daß wir nebenbei eine ausgewachsene psychologische, anatomische, chemische, literarische, waffentechnische etc. Fortbildung erhielten, hätten wir es wegen der Beschreibung der Mordopfer in die Ecke gepfeffert.
So aber haben wir einfach das Auffinden der entsetzlich zugerichteten Toten - ja, es sind mehrere, aber nacheinander, - jeweils überlesen, denn welche Rückschlüsse die Detective daraus ziehen können, das wird ja dann breit erörtert und hält den Lesefluß aufrecht. Daß die hintereinander in kurzen Abständen aufgefundenen Toten, erst zwei Frauen, aber auch ein Mann, dann geht es weiter, die erst einmal nichts miteinander zu tun haben, nur den gemeinsamen Mörder, das wird auch erst deutlich, als jeweils Einzelsätze, die in und neben den Toten aufgefunden wurden, eine gemeinsame Poesie ergeben:
In dieser Dunkelheit wird kein Licht je so hell strahlen wie Deins.
In diesen Augen wir nie ein Mensch so schön sein wie Du.
In diesem Herzen wird keine Liebe je die meine zu Dir übertreffen!
In dieser Seele wird kein Schmerz je größer sein als der, Dich zu verlieren.
In diesem Leben zählt nichts mehr ohne Dich.
Hunter und Garcia geben die Einzelsätze in Suchmaschinen ein. Ohne Erfolg. Na, dachte ich, das mache ich auch, da kommt bestimmt Chris Carter raus. Aber nein, so durchsichtig ist das Netz noch nicht. Aber schon bei IN DIESER DUNKELHEIT WIRD KEIN LICHT SO HELL STRAHLEN WIE DEINS, tauchte in der Reihenfolge erst der Zeitgenosse Khalil Gibran (1883-1931, der libanesisch-amerikanische Dichter (Der Prophet) auf, der sich auf den englischen Philosophen Francis Bacon (1561-1626) bezieht und : „Damit das Licht so hell scheint, muß Dunkelheit vorhanden sein.“; was wiederum auf die Bibel 2. Korinther 4.6 zurückgeht: „Licht soll aus der Finsternis hervorleuchten“, was ja im Kontext eines Kriminalromans bedeutet, daß man die Dunkelheit, das Verbrechen, auf seine potentiellen Ursachen hin untersuchen muß, um Licht in diese Dunkelheit zu bringen.
Ein Mörder, der so grauenhaft zuschlägt und solche Sätze zurückläßt, kann doch nicht ganz und gar schlecht sein? Die obigen Sätze finden sich auf einem Grabstein einer 14jährigen, die sich vor einem Jahrzehnt umgebracht hatte und tatsächlich verfolgt Hunter die Spuren in die Vergangenheit der Mordopfer, die auf einmal doch etwas miteinander zu tun haben, was aber schon lange her ist und auch gar nicht sie selber betrifft, sondern ihre Liebsten, ihren Mann, seine Freundin, ihren Geliebten oder seine Ehefrau.. Aha, wir haben es also mit Rache zu tun. Und das hat mich an diesem Krimi dann zusätzlich interessiert, weil er sehr genau die menschliche Psyche ausleuchtet und zum Thema macht, was mich bei Krimis immer schon beschäftigt hat. Meist wird der eigene Tod als das Schlimmste bezeichnet, wie es dann beispielsweise auch bei Rachemorden der Fall ist. Aber ich selbst empfand immer, daß das Schlimmste, was man mir antuen könnte, der Mord an den mir Liebsten sei, der aufgrund einer Untat von mir geschehe, wenn also die, die mir die wichtigsten sind, meinetwegen sterben müßten. Ja, das wäre für mich schlimmer als der eigene Tod, den man ja nach dem Totsein nicht mehr mitbekommt. Die Trauer um Menschen, die wegen der eigenen Person umgebracht wurden, hält doch sicher ein Leben lang an, führt – ja das passiert in diesem Krimi auch – zum Selbstmord.
Sie sehen, da ist einiges zu bewältigen in diesem Thriller!
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Umschlagabbildung
Info:
Chris Carter, Blutige Stufen. Ein Hunter-und-Garcia-Thriller, Band 12, Aus dem Englischen von Sybille Uplegger, 416 Seiten, 11, 99 Euro
ISBN 978 3 548 06447 5
Erschienen am 1. September 2022
Carters von uns am 29. Oktober angekündigte Lesereise in Deutschland ist gerade vorbei
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