Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Hat jede Gesellschaft die Medien, die sie verdient, war eine weitere Frage von Cammann. Das nahmen Welzer und Precht wie eine Steilvorlage auf und gingen auf die historische und psychologische Tatsache ein, wann sich Medien neu erfinden müssen. Als beispielsweise die Fotografie im 19. Jahrhundert aufkam, besann sich die Malerei auf ihre Stärken, zu denen beispielsweise Stimmung gehört oder auch Licht, der Impressionismus entstand, was die Fotografie dann nachahmte, aber viel später hatte der Fotorealismus dann wieder als Malerei die Fotografie geschlagen.
Davor hatte der Expressionismus der Fotografie ein Schnippchen geschlagen, ein Ausdrucksmittel, daß die fotografische Abbildung einfach nicht hatte. Grundsätzlich gleichen wir uns den Medien an.
Wie kann man sich davor schützen, vor dem Blühen von Küchenpsychologie und dem Konzert der Dauererregten? Man muß Resilienz gegen die von Medien hervorgerufene Dauererregung erwerben, meinte Welzer, und man könne dies auch; wir hätten die Möglichkeit, dies sozialpsychologische Thema öffentlich zu erörtern.
Beifall gab es für die gelungene Formulierung: „Was war die Frage, auf die die GRÜNEN eine Antwort sein wollten?“ Gerade durch Konflikte entsteht der soziale Modus, entstehen soziale Bewegungen, man braucht den Streit über Sachen und nicht über die Haltung von Personen. Die Haltung sei schon da, ehe eine Position deutlich werde: „Wer ist ein Arschloch, wer ist kein Arschloch?“
Besonders deutlich wurden Welzer und Precht bezüglich von Minderheitenpositionen, die nicht durchkämen, wobei einzelne für alle genommen würden. So kämen Sahra Wagenknecht und Alice Weidel auf 10 Prozent der Talkshowbeiträge. Aber die überwiegende Mehrzahl der Gäste der öffentlichen Medien seien die, die eine angebliche, noch dazu große Mehrheit der Bevölkerung vertreten. Wie irreführend, ja falsch das sei, könne man an den Umfragen zu Waffen für die Ukraine nachlesen. Während in den Talkshows die Forderungen nach immer mehr und immer stärkeren Waffen einhellig erhoben worden seien, Forderungen, die sich an die Politik richten, widersprächen die Umfragen in der Bevölkerung dieser vorgetragenen einhelligen Mehrheitsmeinung. Da nämlich hatte sich über viele Monate eine halbe-halbe, also eine Pattsituation zwischen Mehr Waffen und weniger Waffen ergeben.
Was die Autoren grundsätzlich vermissen, sind deliberative Prozesse, ein Begriff, der noch nicht Allgemeingut der Öffentlichkeit ist, wohl aber sein Inhalt. Denn der lateinische Begriff deliberare, bedeutet nichts anderes als abwägen auf Grund eines Austausches von Argumenten, wobei das Wesentliche zum einen das Ziel in der Entscheidungsfindung liegt, das aber in der Form des argumentativen Austauschs unter Gleichberechtigten. Und genau daran hapert es derzeit, wo jeder, der nicht die angebliche Mehrheitsmeinung vertritt, isoliert wird.
Und das genau ist Inhalt des Buches „DIE VIERTE GEWALT. Wie Mehrheitsmeinung gemacht wird, auch wenn sie keine ist“, das Richard David Precht und Harald Welzer im Fischer Verlag veröffentlicht haben.
Zwar hat die Diskussion die Hauptthese sehr gut herausgestellt und die beiden Autoren wurden vom zahlreichen Publikum mit rauschendem Beifall verabschiedet, aber das Buch ist natürlich sehr viel umfangreicher, was die Thematiken angeht und sehr viel differenzierter, was die Beweislast angeht, wo Belege für Behauptungen angeführt werden. So geht es auch um die Fehlstellen, nämlich, was die Leitmedien nicht zum Thema machen, was aber eines ist. DAs Problem dabei ist, daß eine Wirklichkeit erst dann zur Realität wird, wenn sie angesprochen wird, also in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird, was im Umkehrschluß heißt, daß alles, was nicht öffentlich zum Thema gemacht wird, nicht vorhanden ist, obwohl es da ist.
DIE VIERTE GEWALT ist für viele demokratiefördernde Überlegungen gut, die nicht Theorie bleiben sollten, sondern so diskutiert werden müssen, daß wieder deliberative Prozesse im Zeitungsgewerbe, den Talkshows und der Öffentlichkeit stattfinden.
Fotos:
Redaktion
Info:
Stand der ZEIT auf der Buchmesse an Donnerstag, 20. Oktober, 13 Uhr, Richard David Precht "Die vierte Gewalt" Moderartion Alexander Cammann
Wie kann man sich davor schützen, vor dem Blühen von Küchenpsychologie und dem Konzert der Dauererregten? Man muß Resilienz gegen die von Medien hervorgerufene Dauererregung erwerben, meinte Welzer, und man könne dies auch; wir hätten die Möglichkeit, dies sozialpsychologische Thema öffentlich zu erörtern.
Beifall gab es für die gelungene Formulierung: „Was war die Frage, auf die die GRÜNEN eine Antwort sein wollten?“ Gerade durch Konflikte entsteht der soziale Modus, entstehen soziale Bewegungen, man braucht den Streit über Sachen und nicht über die Haltung von Personen. Die Haltung sei schon da, ehe eine Position deutlich werde: „Wer ist ein Arschloch, wer ist kein Arschloch?“
Besonders deutlich wurden Welzer und Precht bezüglich von Minderheitenpositionen, die nicht durchkämen, wobei einzelne für alle genommen würden. So kämen Sahra Wagenknecht und Alice Weidel auf 10 Prozent der Talkshowbeiträge. Aber die überwiegende Mehrzahl der Gäste der öffentlichen Medien seien die, die eine angebliche, noch dazu große Mehrheit der Bevölkerung vertreten. Wie irreführend, ja falsch das sei, könne man an den Umfragen zu Waffen für die Ukraine nachlesen. Während in den Talkshows die Forderungen nach immer mehr und immer stärkeren Waffen einhellig erhoben worden seien, Forderungen, die sich an die Politik richten, widersprächen die Umfragen in der Bevölkerung dieser vorgetragenen einhelligen Mehrheitsmeinung. Da nämlich hatte sich über viele Monate eine halbe-halbe, also eine Pattsituation zwischen Mehr Waffen und weniger Waffen ergeben.
Was die Autoren grundsätzlich vermissen, sind deliberative Prozesse, ein Begriff, der noch nicht Allgemeingut der Öffentlichkeit ist, wohl aber sein Inhalt. Denn der lateinische Begriff deliberare, bedeutet nichts anderes als abwägen auf Grund eines Austausches von Argumenten, wobei das Wesentliche zum einen das Ziel in der Entscheidungsfindung liegt, das aber in der Form des argumentativen Austauschs unter Gleichberechtigten. Und genau daran hapert es derzeit, wo jeder, der nicht die angebliche Mehrheitsmeinung vertritt, isoliert wird.
Und das genau ist Inhalt des Buches „DIE VIERTE GEWALT. Wie Mehrheitsmeinung gemacht wird, auch wenn sie keine ist“, das Richard David Precht und Harald Welzer im Fischer Verlag veröffentlicht haben.
Zwar hat die Diskussion die Hauptthese sehr gut herausgestellt und die beiden Autoren wurden vom zahlreichen Publikum mit rauschendem Beifall verabschiedet, aber das Buch ist natürlich sehr viel umfangreicher, was die Thematiken angeht und sehr viel differenzierter, was die Beweislast angeht, wo Belege für Behauptungen angeführt werden. So geht es auch um die Fehlstellen, nämlich, was die Leitmedien nicht zum Thema machen, was aber eines ist. DAs Problem dabei ist, daß eine Wirklichkeit erst dann zur Realität wird, wenn sie angesprochen wird, also in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird, was im Umkehrschluß heißt, daß alles, was nicht öffentlich zum Thema gemacht wird, nicht vorhanden ist, obwohl es da ist.
DIE VIERTE GEWALT ist für viele demokratiefördernde Überlegungen gut, die nicht Theorie bleiben sollten, sondern so diskutiert werden müssen, daß wieder deliberative Prozesse im Zeitungsgewerbe, den Talkshows und der Öffentlichkeit stattfinden.
Fotos:
Redaktion
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Stand der ZEIT auf der Buchmesse an Donnerstag, 20. Oktober, 13 Uhr, Richard David Precht "Die vierte Gewalt" Moderartion Alexander Cammann