Anna von Stillmark
Wien (Weltexpreso) - Verena Roßbacher wurde am 21. November für ihr Buch Anna von (Verlag Kiepenheuer & Witsch) mit dem Österreichischen Buchpreis ausgezeichnet. Der Debütpreis ging an Lena-Marie Biertimpel für den Titel „Luftpolster“ (Leykam Verlag). Die Verleihung fand zum Auftakt der Buch Wien-Woche vor rund 170 geladenen Gästen im Wiener Kasino am Schwarzenbergplatz statt.
Durch den Abend führten Dorothee Hartinger und Philipp Hauß.
Österreichischer Buchpreis 2022: Verena Roßbacher – „Mon Chéri und unsere demolierten Seelen“ (Verlag Kiepenheuer & Witsch)
Begründung der Jury:
„Charly Benz: Anfang vierzig, Langzeitsingle, ernährt sich von Fertiggerichten, raucht Kette, hört in ihrer Freizeit Bibi Blocksberg Hörspiele und öffnet aus Angst vor schlechten Nachrichten ihre Post nicht. “Ja, das war das Problem, ich musste immer alles alleine machen, Essen kochen und Musik machen, mich vor meiner Post fürchten, einfach alles. Ich seufzte. So wie es aussah, würde ich auch meine Kinder in Eigenregie zeugen müssen, sollte ich je welche haben wollen. Ich musste mir eingestehen: Die Zeit arbeitete gegen mich.” Das also ist die Romanheldin! Eine desolat-komische Frauenfigur und damit literaturgeschichtlich eine Rarität. Denn komische Frauen haben es schwer bei der Leserschaft. Verena Roßbacher ist es gelungen, mit ihrer Charly Benz nicht nur eine Figur zu schaffen, die man nie mehr vergisst. Sie gesteht ihr auch eine geradezu unglaubliche Persönlichkeitsentwicklung zu. Aus der schrulligen Außenseiterin mit einem Faible für Werbeclips aus den neunziger Jahren (Mon Chéri!) wird im Verlauf dieses rasant lustigen Romans eine Vorreiterin alternativer Lebens- und Liebesmodelle. Nicht nur gibt es auf einmal drei potenzielle Väter für ein Baby. Auch wird ein schwerkranker Mann angstfrei in den Tod begleitet. „Mon Chéri und unsere demolierte Seelen“ erzählt eine Geschichte vom Loslassen. Zwischendrin gibt es Slapstick vom Feinsten. Lustige Frauen, das lernen wir mit Verena Roßbacher, sind einfach unwiderstehlich!“
Für die kurze Liste nominiert waren außerdem:
Helena Adler – Fretten (Jung und Jung Verlag),
Reinhard Kaiser-Mühlecker – Wilderer (S. Fischer Verlag),
Anna Kim – Geschichte eines Kindes (Suhrkamp Verlag) und
Robert Menasse – Die Erweiterung (Suhrkamp Verlag).
Der Österreichische Buchpreis ist mit 20.000 Euro dotiert, die vier weiteren Titel der Shortlist mit jeweils 2.500 Euro.
Österreichischer Buchpreis 2022 – Debüt: Lena-Marie Biertimpel „Luftpolster“ (Leykam Verlag)
Begründung der Jury:
„Vom Suizidversuch der Schwester aus der Bahn geworfen, begibt sich „Peach“, die Ich-Erzählerin, freiwillig in der Psychiatrie. „ich funktioniere nur in gedanken. die gedanken sind wie wellen und ziehen mich in die tiefe, bis ich keine luft mehr bekomme“. Der streng getaktete Klinikalltag gibt ihr Halt: Morgenspaziergang, Medikamentenausgabe, Therapien aber auch die gemeinsamen Zigaretten im Raucherraum mit einer Mitpatientin. Die Geschichte pendelt zwischen dem Jetzt und „vor monaten“ und „vor jahren“. In diesen Rückblenden erfahren wir von Peaches schwieriger Beziehung zu ihren Eltern, von denen sie mittlerweile weit entfernt wohnt Und wir lernen ihren Freund Johnny kennen: „vielleicht waren messer unsere worte und küsse fäden, mit denen wir gegenseitig unsere wunden nähten“. Absolute Kleinschreibung – bis auf die Namen –, keine Anführungszeichen bei direkter Rede und Kürzestkapitel formen die Geschichte, die so ihren ganz eigenen, poetischen Sound entwickelt. Und wir sehen auch, dass Gender* in einen modernen literarischen Text passen. Ein eindringliches Debüt, wuchtig und zärtlich zugleich.“
Für die kurze Liste -Debüt nominiert waren außerdem:
Sirka Elspaß – ich föhne mir meine wimpern (Suhrkamp Verlag) und
Anna Maria Stadler – Maremma (Jung und Jung Verlag)
Der Debütpreis im Rahmen des Österreichischen Buchpreises ist mit 10.000 Euro dotiert, die zwei weiteren Titel der Shortlist mit jeweils 2.500 Euro. Der Debütpreis wird von der Arbeiterkammer Wien gestiftet.
Die Jury
Die Jury für den Österreichischen Buchpreis setzt sich 2022 aus Bernhard Bastien (Buchhändler, Buchhandlung Lerchenfeld), Edith-Ulla Gasser (Redakteurin, Ö1), Stefan Gmünder (Literaturkritiker, Der Standard und Volltext), Katharina Teutsch (Literaturkritikerin, FAZ) und Günther Stocker (Literaturwissenschaftler, Universität Wien) zusammen.
Statements der Träger des Preises
Andrea Mayer, Staatssekretärin für Kunst und Kultur: „110 Titel aus 58 Verlage waren heuer für den Österreichischen Buchpreis, 23 Debüts aus 18 Verlage für den Buchpreis Debüt eingereicht. Die fünfköpfige Jury hatte also viel zu lesen, zu diskutieren, zu vergleichen und abzuwägen, bis sie schließlich zur Long- und dann zur Shortlist kam. Nun stehen auch die beiden Preisbücher fest: Verena Roßbacher erhält den Österreichischen Buchpreis für „Mon Chéri und unsere demolierten Seelen“, und der Buchpreis fürs beste Debüt geht an Lena-Marie Biertimpel für „Luftpolster“. Aber es gibt noch einen dritten Gewinner: die österreichische Gegenwartsliteratur, die mit diesem Wettbewerb in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit der Medien und des Lesepublikums gestellt wurde und gezeigt hat, was Romane, Erzählungen und Gedichte in schwierigen Zeiten zu leisten imstande sind. Ich gratuliere den beiden Preisträgerinnen und freue mich für alle nominierten Autorinnen und Autoren. Ein großer Dank gilt den Mitgliedern der Jury für diese gelungene Auswahl an bemerkenswerten Büchern. Und wenn Sie noch nicht wissen, was Sie über die Weihnachtsfeiertage lesen sollen: Die zum Buchpreis nominierten Bücher sind eine sichere Empfehlung und eine lohnende Lektüre.“
Benedikt Föger, Präsident des Hauptverbandes des Österreichischen Buchhandels: „Im siebenten Jahr seines Bestehens ist der Österreichische Buchpreis nicht mehr aus dem literarischen Kalender Österreichs wegzudenken. Jedes Jahr stellt dieser Preis die herausragenden Leistungen der Autorinnen und Autoren und der Verlage in den Mittelpunkt, und verschafft der zeitgenössischen Literatur die größtmögliche und verdiente Aufmerksamkeit. Ich gratuliere den diesjährigen Preisträgerinnen Verena Roßbacher und Lena-Marie Biertimpel, sowie allen Nominierten, sehr herzlich.“
„Ich freue mich sehr, den Debütpreis im Rahmen des Österreichischen Buchpreises an Lena-Marie Biertimpel übergeben zu können“, sagt AK Präsidentin Renate Anderl. „Lesen bereichert unser Leben ungemein. Gerade in Zeiten zunehmender Digitalisierung in praktisch allen Lebensbereichen ist der Griff zu einem Buch eine willkommene Pause davon. Angehende Schriftstellerinnen und Schriftsteller haben einen wesentlichen Anteil daran, dass die Welt der Bücher, das Reich der Fantasie immer fortbesteht. Die Arbeiterkammer Wien unterstützt sie daher gerne mit dem Debütpreis, so wie wir auch andere kulturelle Aktivitäten fördern.“
Über den Österreichischen Buchpreis
Ziel des Österreichischen Buchpreises ist es, die Qualität und Eigenständigkeit der österreichischen Literatur zu würdigen und ihr im gesamten deutschsprachigen Raum die gebührende Aufmerksamkeit zu verschaffen.
Der Österreichische Buchpreis wird vom Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport (BMKÖS), dem Hauptverband des Österreichischen Buchhandels und der Arbeiterkammer Wien 2022 bereits zum siebenten Mal ausgerichtet.
Kurzkommentar: Wir können die Preisvergabe nicht richtig einordnen, weil wir das ausgewählte Buch nicht kennen. Was auffällt, ist, daß Robert Menasse wieder den Preis nicht erhielt. Für den Vorgängerband seiner auf eine Trilogie anberaumte Geschichte DIE HAUPTSTADT (Suhrkamp) hatte er den Deutschen Buchpreis erhalten. Auch Reinhard Kaiser-Mühleckers Roman wurde hervorragend besprochen. Er hat dafür schon Spezialpreise erhalten. Tatsächlich ist dieser nun ausgewählte Roman der einzige, den wir aus der Liste nicht gelesen haben.
Foto:
©Veranstalter
Info:
Die Gewinner:innen der Vorjahre:
Buchpreis: Raphaela Edelbauer (2021), Xaver Bayer (2020), Norbert Gstrein (2019), Daniel Wisser (2018), Eva Menasse (2017), Friederike Mayröcker (2016)
Debütpreis: Anna Albinus (2021), Leander Fischer (2020), Angela Lehner (2019), Marie Gamillscheg (2018), Nava Ebrahimi (2017), Friederike Gösweiner (2016)
PS. Uns fiel auch auf, daß alle drei nationalen Buchpreise zwei bundesdeutschen Verlagen zugekommen sind. Das finden wir schade, daß die österreichischen und schweizerischen Verlag erneut unten durchfielen.