UNHEIMLICH FANTASTISCH – E.T.A. HOFFMANN 2022 im Deutschen Romantik-Museum Frankfurt, Teil 3
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Es ist immer dasselbe! Es gibt einfach keine richtige, allein seligmachende Vorgehensweise, Literatur zu lesen. Ich selbst bin immer eine, die sich unbedingt eine eigene Meinung bilden will, die erst nach dem Lesen Interpretationen oder sonstige Bemerkungen zum Lesestoff aufnimmt und beurteilt, aber auf Seite 157 des Begleitbuches zur Ausstellung muß ich mich geschlagen geben und werde eines Besseres belehrt.
Das Fräulein von Scuderi hatte ich vage in Erinnerung, wie anderes, was man in jungen Jahren gelesen hatte und ehrlich gesagt, sind ja solche Ausstellungen wie UNHEIMLICH FANTASTISCH einfach eine gute Gelegenheit, etwas wiederlesen zu müssen, was man von alleine nicht täte, einfach, weil so vieles an Büchern, Essays und Artikeln auf einen warten. Das ‚müssen‘ bezieht sich darauf, wenn man darüber schreiben soll, aber genauso geht es ja den Besuchern der Ausstellung, mit denen ich darüber sprach, warum sie gekommen seien – Interesse, weil sie Hoffmann kennen/ oder ihn nicht kennen – und wie sie mit dem Gesehenen und Erlebten umgehen wollen. E.T.A. Hoffmann wieder lesen war die Antwort, lesen, lesen, lesen. Und zweimal hörte ich auch: ihn zum ersten Mal lesen! Gut so. Daß es mit Meister Flo auch einen Frankfurtbezug gibt, hat ja Matou in Teil 2 schon kundgetan. Und selbstverständlich sollten Besucher mit diesem Werk anfangen, mit dem Lesen oder Wiederlesen. Wir aber haben uns der Hoffmann-Filmreihe im Kino des Deutschen Filminstituts und Filmmuseums (DFF) wegen mit DAS FRÄULEIN VON SCUDERI vorgeneommen, was einerseits als der erste deutschsprachige Kriminalfall gilt, andererseits gar nicht in die Richtung Schwarze Romantik und damit auch nicht in die der Phantastik geht. Dafür aber in die Abgründe menschlicher Seelen, menschlichen Handelns, was sich in der Psychologie Objektophilie oder Objektsexualismus nennt, weithin dem Fetischismus zugehörig.
Dachte ich, was sich als falsche Fährte herausstellt. Doch sind wir jetzt schon zu sehr in der Sache, denn auf besagter Katalogseite erfahren wir, daß die vielen Ausführungen zu Gericht und Rechtsprechung in der Novelle, auch den Einschränkungen, die dem doch allgewaltigen König gelten, einen akuten Hintergrund hatten. Daß E.T.A. Hoffmann selbst Jurist war und als Richter wirkte, ist vorausgesetzt, aber daß er selbst auf einmal selbst Angeklagter in einem Disziplinarverfahren wurde, sei der Hintergrund für den rechtspolitischen Hintergrund der Novelle: „daß das Recht dem Menschen Grenzen setze, dem Recht seinerseits aber durchaus menschliche Grenzen gesetzt werden müßten.“
Es sei für die Zeitgenossen, die Verschränkung von französischer Historie des 17. Jahrhunderts in Paris mit preußischem Rechtsdiskurs der Restaurationszeit das Spannende gewesen, heißt es und auch eine Provokation, fügen wir hinzu. Allein schon wegen dieses Aspekts lohnt es sich, dieses Kapitel von Antonia Eder im Begleitbuch zu lesen.
Die völlig unzureichende Kürzestfassung der Novelle lautet: Das Fräulein von Scuderi wird ungewollt, aber aus guten Gründen in einen Mordfall verwickelt, wo lange der unschuldige Mitarbeiter Olivier Brusson des renommierten Goldschmieds Cardillac dessen Ermordung bezichtigt wird. Er hatte den Meister nächtlich, wie immer viele Schritte hinter ihm, begleitet und gesehen, wie ein Mann seinen Meister niederstach, dem noch Lebenden helfen wollen und das Mordwerkzeug, den Dolch, an sich genommen. Verdächtig wird er auch deshalb, weil er mit Cardillacs Tochter Madelon verlobt, den ganzen Besitz an sich bringen wollen, denn Gold und Edelsteine sowie das Haus seien seine Motivation. Allein durch das Nicht-Lockerlassen des Fräulein von Scuderis, worin auch der König, Ludwig XIV, involviert wird, wird der Tathergang vom Täter am Schluß aufgedeckt, wobei aus dem Täter das Opfer wird. Denn es war Cardillac, der den Adligen Miossens angegriffen hatte, weil er ihm das Schmuckstück rauben wollte, daß er für ihn gefertigt hatte und was dieser an diesem Abend seiner Schönen bringen wollte. Mit einem Schlag sind nun die ununterbrochenen Morde an denen geklärt, die bei dem Juwelier Schmuckstücke hatten fertigen lassen. Sie gehen alle auf Cardillacs Konto, weil er die von ihm gefertigten und verkauften Juwelen einfach wiederhaben mußte. Aha, als Cardillac-Syndrom bezeichnet man diese psychische Konstellation, daß sich ein Künstler nicht von seinem Werk trennen kann, was er muß, wenn er davon lebt.
Doch sind die Motive des Autors, diesen Kriminalfall aufzuklären besonderer Art. Es werden nämlich INDIZIEN in neuer Funktion eingeführt. Früher seien sie ausschlaggebend für Folterungen gewesen, jetzt aber nach deren Abschaffung „in Preußen im Jahr 1740“ werden sie zu Tatsachen, aufgrund derer „auf das Verbrechen oder dessen Urheber geschlossen werden kann.“ Damit sind sie Teil einer zielführenden Rekonstruktion des Tathergangs. Es geht also um Rechtspraxis, was für einen Richter besonders wesentlich ist.