DasLichtfuetternCover 180xVollkommene Misere: was Menschen schon gleichsam adelte, ist auf ihren Wegen vielfach wieder verloren gegangen, Teil 2

Heinz Markert

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Kürzlich erreichte uns eine weitere Ausführung der Bibliothek der Intrasonanz, die eine in Schrift gesetzte Form eines langfristig angelegten Kunstprojekts darstellt. Schrift und Kunst sind ineinander verschränkt.

Im Band 2 liegt die Optik auf Schwarzweiß, mit kleinen Zeichnungen, die zwar jeweils für sich stehen, aber einen Zusammenhang bilden. 

Der keinerlei Abschluss verträgt, wegen des im ersten Band akzentuierten Kronenbereichs der intelligenten Kreatur (auch despektierlich als Krone der Schöpfung bezeichnet),interessanterweise mit Anklang an die Corona-Zeit. Die sich noch immer müht, ihren Begriff zu erfüllen (die Kreatur eben). Hiermit also ist ein langfristiges Projekt andeutend bezeichnet: was verlorenging, möge doch endlich wiedergewonnen werden. Rückbindung also an die älteste Utopie der Menschheit.

Vernetzung ist immanent, Intrasonanz und Kronenbereich aber transzendent

Die gegenwärtige Kunst ist vielfach auf Vernetzung angelegt und insofern eine Mahnung, die Gemeinsamkeit des Menschengeschlechts in Verbindung mit der Natur doch bitte zurückzuholen und wiederzugewinnen. Die Künstlerin Ulrike Streck-Plath schwebt demnach nicht im abstrakt abgehobenen Raum, sondern verfolgt ein Projekt; nicht dick aufgetragen, sondern wohldurchdacht und eingefädelt, wobei die Spontaneität nicht zu kurz kommt. Die von Schrift begleiteten und darin dezent erweiterten Schwarz-Weiß-Zeichnungen, die an etwas Linolschnittartiges gemahnen, wie es gern noch im schulischen Unterricht betrieben wird, machen das Gepräge des 149-seitigen Bandes.

Bild und Wort durchdringen sich mit den Zeichnungen wechselseitig, sind ineinander vermittelt. Die Zeichensprache tritt reduziert auf den Plan, um die Pointe zu setzen. Jede Zeichnung ist daher von knapp gehaltenen Sentenzen eingerahmt, von Feststellungen, Fragen, verbalen Streiflichtern, Anweisungen. Was war früher da, Bild oder Sprache oder ist beides in einer Einheit aufgehoben? Am anschaulichsten – für Leserinnen und Leser - erscheint mir die Zeichnung auf Seite 127: Sie zeigt einen mit Ausdruck gezeichneten Strichmenschen, der an einem Tümpel steht, der von Gras und Blüten umrankt ist und dessen Blick über den Tümpel streicht, in dem eine Flasche, schrägt liegend, vom Wasser gewiegt wird. Der Tümpel ist bewegt und um die Flasche bewegen sich kleine Wellen vom Zentrum weg. Der Hintergrund ist Schwarz, die Striche weiß und neben dem Menschen ist hier der Ausdruck „Hoffen.“ eingezeichnet. So arbeitet also das Prinzip.

Der Clou des Ansatzes von Ulrike Streck-Plath ist, wie im ersten Band entwickelt, der Antennenbereich des menschlichen Wesens. Allein nur die wechselseitige Vernetzung des Kreatürlichen und Natürlichen wäre unzureichend. Sie bewegt sich also aus der Ebene heraus in den Raum und in den Himmel, der aber sich auf Erden einrichten lässt. Was die Religionen vergessen haben, weil sie herrschaftsorientiert sind und lange derartig agiert haben und dies weiter tun. Es handelt sich um 100 Zeichnungen mit den jeweils beigeordneten gedanklichen Inspirationen. Der Kronenbereich mit Antenne ist so etwas wie die Ahnung von Dingen zwischen Himmel und Erde.

Die gezeichneten Werke gehören dem Zwischenbereich von Kunst und (kursiver) Sprache an

Sie drängen aber und wollen in den Oberbereich wechseln. Ein bisschen schon wie die Kunst auch im Kirchlichen. Der Band weist auf wie Sinn und Grafik sich verschränken. Es handelt sich um etwas, das zwischen den Worten lagert und auf Hebung wartet. Der verborgene oder offen gemachte Sinn schießt über die Worte hinaus. Damit wird dem Funktionalismus der Sprache widersprochen. Sprache verbirgt mehr als sie sagt. Sie verbirgt immer schon Gedanken, auch geheime, vernachlässigte. Ein wenig spielt insofern auch die Sprache der Kinder hinein, die die Grammatik eines Besseren belehren, bevor diese den Gedanken schleift.

Insofern sei aus dem Abschnitt ‚Kindheit ansehen‘, die fünfte Zeichnung betreffend, per exemplum zitiert [Mensch mit Austritt von Strahlen über seinem Kopf auf sein Inneres Kind schauend]: Will bei Dir sein, daheim. War lange genug allein. Es ist kalt, hol mich bald. Ich gehör doch zu Dir und ich frier. Dein Inneres Kind.

Die Zeichnungen reduzieren auf ein Wesentliches. Ideen waren flugs umzusetzen. Ihre Geburt ist spontan gelaufen. Diese grundsätzliche In-Form-Setzung wurde auch in einer kollektiven Performance zum Gedenken an den Todesmarsch der Häftlinge des KZs Adlerwerke von Frankfurt nach Hünfeld eingehalten, wie am Schluss des Bandes auf einem während des Marsches gemachten Fotos im Nachwort zu erkennen ist. Ein Todesmarsch ist die Absage an alle Utopie und Wirklichkeit von Menschlichkeit.

Charakteristisch ist das durchgängige T als Reduktionismus für das Gesicht. Überwiegend ist aber auch dem Herz im Korpus des Bandes weitestgehend entsprochen. Die übergestülpten reduzierten Gewänder der zum Todesmarsch Getriebenen haben im Brust-Bauchbereich eine aufgebrachte Häftlingsnummer. Dass nun der Mensch zur Nummer ward, zum Konsumenten der von Werbeagenturen eingeflößten Bedürfnisse, stellt eine immer wieder noch vorangetriebene Begleiterscheinung der modernen Zivilisation, trotz allen Sozialstaats, dar. Die Rede vom Letzten Menschen war keineswegs eine Marotte von Friedrich Nietzsche.

Foto ©
renidere-Verlag

Verweis auf Teil 1 (Rezension)
Weltexpresso - Suche: Markert, Vom Zurückrufen des Sonars aus dem Kronenbereich