Die Besprechung eines lebhaft aufbereiteten Buches bleibt undankbar, da sie dem Werk nur schwerlich gerecht werden kann
Heinz Markert
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Das Buch ‚Fabelhafte Rebellen, Die frühen Romantiker und die Erfindung des Ich‘ von Andrea Wulf könnte ein Buch für den aufgeklärten Mittelstand werden. Wenn er nicht so sehr in die Alltagsmühle eingespannt wäre. Es könnte der Erhellung eines zu Unrecht vernachlässigten Abschnitts der Literaturgeschichte auf die Sprünge helfen und der Macht des Kapitals mit all seinem Brimborium paroli bieten.
Denn unsere Realgeschichte ist von dieser unserer Zeit mehr geprägt als sie vermeint, sofern sie überhaupt noch ein Literarisches aufnehmen wollte. Der Ansatz zu dem Buch ist der Jenaer Kreis, der Epoche machte. Während nämlich Jena schon eine akademisch aufgeklärte Universitätsstadt war, begab sich im tristen Berlin noch nichts dergleichen. Da war noch tote Hose.
„Gechichte“ (Helmut Kohl) hat ausgedient
Besonders ist es das Einfühlen in eine Phase der Entwicklung, die bislang nur akademisch erfasst wurde. Und damit nur von den durch längere Beschäftigung mit einer faszinierenden Zeit schon halbwegs oder durchweg Eingearbeiteten. Die eigentliche Zeitspanne, um die das Buch sich dreht, ist eine verhältnismäßig kurze. Sie reicht von den 1790er Jahren bis zur Schlacht bei Jena Oktober 1806. Darüber hinaus reicht eine Coda noch bis zum Jahr 1859, dem Todesjahr Alexander von Humboldts. Klar ist, dass uns die Schule in diesen Zeitabschnitt nicht der eigentlichen Sache gemäß einzuführen vermochte. Der Deutsch-Lehrer, obwohl gewendet, blieb ein durch die NS-Zeit beschwerter Charakter. Aber er experimentierte mit uns mittels der Entstehung eines Hörspiels.
Ein Buch, das historisch-soziale Einordnung ermöglicht
Mehr als etwa die Romantik-Ausstellung im dafür zuständigen Frankfurter Museum. Das Buch von Andrea Wulf hat etwas von der Dimension von Arnold Hausers ‚Sozialgeschichte der Kunst und Literatur‘, nur eben fokussiert auf das in den Blick genommene Thema. Zugleich aber sehr ausführlich mit gut 400 Seiten. Der Apparat der Anmerkungen und Verweise beläuft sich auf 95 Seiten. Die Autorin hat also nicht gerade mal so drauflosgeschrieben. Sie hat, wie schon im Fall Humboldt (Alexander von Humboldt und die Erfindung der Natur), alle Register gezogen und mit Kolleginnen und Kollegen ihrer Branche weltweit zum Thema korrespondiert. Hat den Entwurf mehrfach Korrektur lesen lassen. Und sich schlichtweg auch Ratschläge geholt.
Sie ist von der Online-Recherche in Bibliotheken dieser Welt begeistert, da sie damit die durch die Pandemie bedingten Einschränkungen umgehen konnte. Und viele Manuskripte stehen mittlerweile online zur Verfügung. Die Autorin wuchs in ihrer frühen Zeit in Indien auf, lebt nun aber schon lange in England. Immer wieder hat sie sich bei den an sie ausgesprochenen Einladungen befragen lassen und konnte weitere Auskünfte zur Entstehung ihres Buchs geben. So unter anderem auch in der ‚nachtlinie‘ des bayrischen Fernsehens im Gespräch mit Andreas Bönte, der über die Jahre darin auffiel, dass er sich von viel früheren rechten Gesinnungen in Zeiten von report München abgewandt hat und mittlerweile sehr einfühlsam geworden ist.
Nicht ohne Grund war damit erneut ein weltweiter Bestseller geboren (nach jenem zu Alexander von Humboldt). Sie hat den Text in englischer Sprache verfasst, wiewohl sie größtenteils in Deutschland aufgewachsen ist. Daher brauchte es eine Übertragung ins Deutsche durch Übersetzung. Ihre Hinwendung zur spannenden Frühaufklärung ist durch den weltbürgerlichen Ansatz, der durch ihre Biographie vermittelt ist, möglicherweise naheliegend
gewesen.
Die Autorin hat es vermocht, das, was über einen Zeitbogen von 70 Jahren durch einander vermittelt ist, in eine Sequenz zu transformieren. So ist sie aus tiefster Seele die begnadete Erzählerin eines noch nicht genügend aufgedeckten geschichtlichen Wesens geworden.
Die Lektüre ist herzerfrischend und, was späte Konsequenzen anbetrifft, so etwas wie eine Offenbarung. Was auch schon für das Humboldt-Buch galt. Sind wir nicht alle bis zum heutigen Tag durch die Unfähigkeit der Schulen, spannende und dringliche Themen zu vermitteln, mal mehr oder weniger noch mit einer gewissen Stutzigkeit beschlagen? – Ohne die Rebellion der Schüler und Studenten wäre es wohl noch schlimmer. Ist nicht heute potentiell alles nur noch Werbung wie Verkauferei und dadurch einander gleichgemacht?
Die fabelhaften Rebellen haben Zeichen für Zeiten gesetzt
Der Buchumschlag zeigt die nicht alleinigen Akteure des Zeitabschnitts und Aufbegehrens eines maßgeblichen literarisch-philosophischen Milieus jener Zeit: Novalis, Caroline Schlegel, August Wilhelm Schlegel, Schelling. Sie stehen stellvertretend für noch andere wie Goethe, Schiller, die Philosophen Fichte (Ich und Nicht-Ich), das Urrumpel Friedrich Schlegel - zwischendrin - und Hegel. Caroline war die Muse, die dem bedeutendsten Freundeskreis der deutschen Geistesgeschichte eine regelmäßige Zusammenkunft bot und so das Cliquenwesen zusammenhielt.
Sie waren – typisch deutsch – keine Revolutionäre auf den Barrikaden, sondern unentwegte Heißsporne in Debattierkreisen und Feierrunden. Generell lässt sich folgern: Frankreich ist mit der Revolution gegen König und Adel vorausgeprescht, die übrigens Goethe und der Jenaer Kreis für höchlich an der Zeit hielten (Goethe begrüßte Napoleon als er in Jena einzog); die fabelhaften Rebellen - ein sehr zuständiger Ausdruck für diese Jenaer Clique – aber haben dem selbstbestimmten Ich eines Fichte - und der Freiheit des Willens, gepaart mit der Einbildungskraft eines Novalis - die Bahn gebrochen und zwar heftigst. So wurde die Einbildungskraft zum eigensten Bewegungszentrum der frühen Romantik, die summa summarum unabgeschlossen ist, weil sie revolutionär ist und von der durchgängigen Reaktion, die wieder ihr Haupt erhebt, bis zum heutigen Tag bekämpft und verfolgt wird.
So ist die Jenaer Clique leider nur ein Transitorisches und zeitlich Vorübergehendes geblieben, was die möglichen und denkbaren Konsequenzen angeht. Die eigentliche Selbstermächtigung der befreiten Menschheit steht also noch aus.
Im Frankfurter Romantik-Museum ist auch eine ETA Hoffmann-Ausstellung platziert. Diese ist von einer buchbaren Führung begleitet. Samstag und Sonntag führt die junge Schauspielerin Kate Schaaf, als ‚Kater Murr‘ durch die Ausstellung, die das beiwohnende Publikum fasziniert, wie mir berichtet wurde (vergl. Ende), immer um 15 Uhr, noch bis 15. Februar.
Zur Information: Was die Lebensansichten des Katers Murr angeht, habe ich diese während meines Studiums der Germanistik und Philosophie gelesen. Die Seiten, die Kater Murr betreffen, wurden der Kunde nach als Makulaturblätter zwischen einem anderen Textkorpus gefunden. Der Schriftsetzer hat das rabiat wie er war, einfach so übernommen. Es wird also zwischen 2 Ebenen gewechselt. Das Buch ist fragmentarisch aufgebaut und könnte damit als zur frühen Postmoderne zugehörig betrachtet werden.
Übrigens, auch ganz erfrischend und spannend zu lesen: Bettine von Arnim, aus der Reihe rororo Bildmonographien. Ist ein ganz reizvolles Bändchen. Frau Schaaf wird auch als Bettine erscheinen.
Foto:
© C. Bertelsmann
Info:
www.kate-schaaf.de und www.dj-cat.de