Drei bis vier biographische Erinnerungen von Schauspielern, Teil 1
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Ich hatte mich zur letzten Buchmesse an ÜBERWIEGEND HEITER. MEIN ZIEMLICH BEWEGTES LEBEN von Vera Tschechowa erfreut, ich hatte schon darüber geschrieben, wollte das schmale Buch von 152 Seiten aber noch einmal lesen, weil die Schar der berühmten Leute, mit denen sie, die aus der berühmten Schauspielerinnendynastie der Tschechowas stammt, gespielt hatte oder befreundet war, mir fast alle über die Jahre ans Herz gewachsen waren. Es war das Bekannte, was mich faszinierte.
Und dann kam der Hinweis ins Haus geflattert, mich doch bitte mit Désirée Nosbuschs Erinnerungen zu beschäftigen, sprich: sie zu rezensieren. Ausgerechnet. Natürlich kannte ich den Namen, kannte ich die Entertainerin von Radio Luxemburg, das ich in Kindertagen mit der Deutschen Schlagerparade auch süchtig gehört hatte. Die Luxemburgerin Désirée Nosbusch war mir also bekannt, hätte aber keine weiteren Gefühle, weder gute noch schlechte, in mir ausgelöst, wenn ich sie nicht auf der Bühne der Alten Oper Frankfurt erlebt hätte, als sie zum Abschluß des Lesefests FRANKFURT LIEST EIN BUCH über ihre Rolle in dem Film NACH MITTERNACHT gesprochen hatte, der 1981 nach dem gleichnamigen Roman von Irmgard Keun aus dem Jahr 1937 in die Kinos kam, um den sich das Lesefest drehte, weil der Roman in Frankfurt spielt.
Es war die erste Filmrolle, eine Hauptrolle, für die 16jährige und sie sprach als 57jährige zwar zugewandt, aber eigentlich sehr distanziert über die Dreharbeiten, weshalb ich mich nicht wunderte, daß auf Seite 71 nur lapidar steht: „Es war 1980. Ich hatte meinen ersten Film Nach Mitternacht mit dem Regisseur Wolf Gremm gedreht, kann aber nicht behaupten, daß ich damals schon eine Schauspielerin war.“ In einem Frankfurter Hotel beantwortet sie Reporterfragen, sieht dann in der Lobby Klaus Kinski, der sich für sie interessiert und mit dem sie dann ein Interview in San Francisco ausmacht, das dieser schmeissen will und wo man über die Tatkraft des jungen Mädchens staunt, die sich nicht klein machen läßt und das Fernsehinterview mit dem Schwierigen über die Bühne bringt, was nur mit Blessuren ihrerseits abgeht. Sie hatte schon als Dreizehnjährige in Wien ein Interview mit Pierre Price geführt und von Anfang an staunt man als Leserin über diese Diskrepanz zwischen mutigem, ja rotzfrechem öffentlichem Auftreten, wo sie als frisch wahrgenommen wurde, und einer tiefen inneren Verunsicherung, die man nicht mit Pubertät und sonstigem erklären kann.
Beim Lesen denkt man, dieser Mensch ist als kleines Kind nicht genug liebgehabt worden, denn wie anders als über Liebe und Bestätigung werden wir in den ersten Jahren zu dem, was uns später Selbstsicherheit gibt und zur Erkenntnis führt, daß wir unser eigener Mensch sind und auf die innere Stimme hören, die kritisch genug ist, und nicht auf das orientiert sind, was wir von draußen als Bestätigung für unser Sein erwarten.
Aber später macht Désirée Nosbusch Frieden mit ihren Eltern und man spürt Liebe. Ist es also vielleicht eher so, daß die vielfach Begabte einfach zu früh erwachsen sein mußte – aber auch wollte – und gleich international eine Rolle spielte, der sie vom Alter her noch nicht gewachsen war? Denn, wenn man liest, wie sie als Zwölfjährige auf eigene Initiative in den Sender kommt und da schon neben Luxemburgisch, das alle sprechen, Französisch spricht, die Umgangssprache ihrer Eltern, die Mutter aus Italien kommt, wo die jährlichen Urlaube in Italien bei der großen Verwandtschaft das Italienische zur Muttersprache werden lassen, Deutsch lernte sie nicht nur in der Schule ab der ersten Klasse, sondern das deutsche Fernsehen war ihr das liebste und so kann sie problemlos von einer Sprache in die andere wechseln, ideal für Funk, Fernsehen und Film.
Voller Hochachtung liest man diese Sprachenvielfalt, die sie einfach zur geborenen Moderatorin für Europa machte und macht, was sie noch toppt, weil sie ihr noch nicht perfektes Englisch damit perfektioniert, daß sie als Siebzehnjährige einfach nach New York fliegt und später einfach dort bleibt. Anlaß war – witzig für eine spätere Schauspielerin – der Besuch des Films FAME – Der Weg zum Ruhm, wo junge Leute die New Yorker High School für darstellende Künste besuchen und ihre eigenen beruflichen und privaten Rollen finden. Das will auch Désirée Nosbusch, fliegt einfach los und wird später wirklich eine Schauspielausbildung abschließen. Die Vereinigten Staaten werden für fast drei Jahrzehnte ihre Heimat, wobei dies Wort eigentlich nicht zutreffend ist, sie werden zumindest ihr Wohnort, wohin sie auch mit ihrem österreichischen Musikerehemann zieht, zwei Kinder groß zieht, doch eigentlich sind ihre Heimat die Wolken, denn sie fliegt unaufhörlich zwischen den Kontinenten hin und her, da sie in Europa einen Höhenflug mit Moderieren hat und in einer unglaublichen Anzahl von Filmen mitspielt.
Die Vielzahl von berühmten Künstlern, die im Buch von Anfang bis Ende auftauchen, wirklich viele und eigentlich alles Männer, älter, meist sehr viel älter als sie, von denen sie nur Gutes zu berichten weiß, wollen wir nicht aufzählen. Sie selber macht kein Namedropping, das hat sie auch gar nicht nötig, alle Begegnungen werden glaubwürdig geschildert, das ist wirklich sehr interessant zu lesen, aber spätestens seit Seite 62 sitzt einem der Schreck im Nacken. Sie spricht von einem dreißig Jahre älteren Mann, der beruflich seit 1977 für sie bei Radio Luxemburg zuständig war und sie, das junge Mädchen, das sich weder in seiner Familie, noch in der schulischen Umwelt angenommen fühlte, was die jugendlichen Radio- und dann Fernsehaktivitäten wettmachen sollte, nicht nur vergewaltigte im körperlich-seelischen Sinn, sondern auch emotional so manipulierte, daß man von einer psychischen Abhängigkeit sprechen muß, der sich Nosbusch erst 1990 endgültig entziehen konnte.
Wenn einem selber schon beim Lesen der Schreck im Nacken sitzt, wie muß das erst im Leben der Betroffenen gewesen sein und die Diskrepanz zwischen der munteren, redseligen, öffentlich erfolgreichen, in vielen Sprachen parlierenden jungen Frau und der unglücklichen, zumindest nicht glücklichen Privatperson mit ihrem mangelnden Selbstbild, keinerlei Selbstvertrauen und auch einer fehlenden Selbstliebe ist erschütternd.
Ändern wird sich ihre öffentliche und fachliche Einschätzung als Schauspielerin – als Moderatorin war sie durchgehend auf einem bestimmten Level sehr erfolgreich – wahrnehmbar mit der TV-Serie BAD BANKS und ihrer Rolle als eiskalte Investmentbankerin Christelle Leblanc, dann auch als deutschstämmige Polizeipsychologin Cathrin Blake in Irland. Und das wird sicher so weitergehen. Der Knoten ist geplatzt.
Auffällig bleibt schon, daß sie nur wenig über ihre Kolleginnen schreibt, wie beispielsweise Anke Engelke, mit der zusammen sie bei Radio Luxemburg anfing und auch später zusammenarbeitete. Auch Paula Beer, ihre Antagonistin in BAD BANKS, vermißt man, aber Warmherziges erzählt sie dann über die meist älteren Frauen, mit denen sie monatelang in Litauen und Lettland die Fernsehserie SISI drehte, wo sie die Rolle der Erzherzogin Sophie, Mutter des Kaisers spielte.
P.S. Auf Seite 79 kommt sie doch noch mal auf ihre erste Filmrolle der Sanne Moder in NACH MITTERNACHT zu sprechen, was ihr miese, zumindest mittelmäßige Kritiken eingebracht hatte und dann auf Seite 81 ihre Nacktaufnahmen in diesem Film, von denen sie heute sagt, daß ihr damals ihr Körper von ihr abgetrennt erschien, was man nachempfinden kann, aber eben auch Mitgefühl empfindet, weil es zeigt, daß damals grundsätzlich die Außen- und die Innenwirkung nicht in Übereinstimmung waren. Schreiben konnte sie das Buch nur, weil sie ihr Ich und damit auch ihre innere Stärke endlich von der Sicht auf sie durch andere als Außenwirkung abkoppeln konnte. Welche Rolle dabei ihr ‚Mitarbeiter‘ Jochen Simmens spielt, erläutert sie auf Seite 349
Foto:
Umschlagabbildung
Info:
Désirée Nosbusch, Endlich noch nicht angekommen, unter Mitarbeit von Jochen Siemens, Ullstein Verlag 2022
ISBN 978 3 55 20173 8
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