Adam Andrusier läßt uns an seinem Aufwachsen zwischen Komödie und Tragödie in der Londoner Vorstadt teilnehmen
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Eher durch Zufall nahm ich das Buch in die Hand, fing zu lesen an und mochte gar nicht mehr aufhören. Kurzgefaßt ist es das Leben des Autors bis zu den Endzwanzigern, immer in der Peripherie Londons, immer als Sohn seines jüdischen Vaters, der im Gegensatz zur Mutter nicht seine Familie in deutschen Konzentrationslagern verlor, aber vielleicht um so mehr unter einem lebenslangen Rechtfertigungsdruck des Überlebens stand, ein ewiger Spaßmacher und Sammler von Postkarten jüdischer Synagogen, die von den Nazis zerstört wurden.
In Adam Andrusier kommen für mich zwei Spezifika zusammen. Er kommt aus der Ecke jüdischen Witzes, dieser einzigartigen mehr als humorvollen, eigentlich schon satirischen Art, sich selber auf den Arm zu nehmen, ergänzt durch die ebenfalls spezifische britische Lebensart, daß jedem Tierchen sein Pläsierchen gehöre. Wem dies auf Anhieb nichts sagt, den braucht man nur an die vielen skurrilen englischen Typen erinnern, die in den meisten Ländern an einer gesellschaftlichen Norm gemessen würden, die es in England in diesem Sinne nicht gibt.
Das allerdings ist eine Analyse, die man zum Lesen nicht braucht, die nur erklären soll, weshalb sich der Roman von alleine liest. Wir nehmen es als Roman, auch wenn des Autors eigenes Leben durchscheint, ist doch das Darüberschreiben wiederum eine neue Ebene. „Willst Du nicht lieber wirklich was erleben, anstatt immer nur zu dokumentieren?“, fragt Adams Mutter Anna seinen Vater Adrian, weil dieser ständig mit seiner Kodak ein Foto nach dem anderen von der Familie knipste, zu der noch die ältere Schwester Ruth gehört. Allein in den 80ziger Jahren sind das 73 000 Fotos. Adrian ist allerdings ein Schalk und schneidet immer wieder die Köpfe seiner Lieben aus und setzt sie Berühmtheiten auf, was er dann wiederum abfotografiert, so daß es absolut echt aussieht.
Der Vater spricht ununterbrochen über die Verbrechen des Dritten Reiches. „‘Schon wieder die Nazis’, rief meine Mutter aus der Küche. ‚Kannst du nicht mal damit aufhören? Es ist erst zehn.‘“
Aber man kann den Vater so gut verstehen, denn er hat ja überlebt und seine Familie auch. Er steht als Finanzberater und Vermittler von Lebensversicherungen gut da, ist die - seine Frau nervende - Stütze für seine schon lange verwitwete, recht exaltierte Mutter, hatte in jungen Jahren begeistert Israel besucht und nimmt seitdem jeden Donnerstag an dem israelischen Tanzabend teil, was die Familie länger mitmacht. Und dann nicht mehr. Auch Annas Eltern konnten dem Holocaust entkommen, sie flohen erst vor den Nazis aus der Tschechoslowakei, dann 1948 vor den Russen nach England, wo der Großvater ein erfolgreicher Geschäftsmann wurde. Aber seine Eltern wollten nicht mitkommen und wurden mit anderen Familienmitgliedern vergast.
Mutter Anna kocht nicht nur, sondern fertigt Skulpturen, worüber der Sohn aber eigenartiger Weise weiter nichts sagt, während die Verhaltensweisen des Vaters und sein Tun eine große Rolle spielen, der Sohn sich an ihm regelrecht abarbeitet, zumal sich später auch sein Verdacht bewahrheitet, daß es für den Vater eine andere Frau gibt (Tanzabend!), also Scheidung und neue Ehe.
Das ist die Gemengelage, die aber im Roman nur das Hintergrundrauschen ist, in dem es um etwas völlig anderes, mich zunehmend faszinierendes Sammlerleben geht, wie nämlich aus dem kleinen sammelnden Adam ein anerkannter, gut verdienender Autographenhändler wurde. Folgerichtig ist der Roman in Kapitel untergliedert, die jeweils Namen wie Sinatra, Liz Taylor, Nelson Mandela, Salman Rushdie und eben auch Hitler und Marilyn Monroe tragen, in denen uns Adam Andrusier erzählt, wie er zu den Unterschriften kam und wie er lernt, die echten von den unechten zu unterscheiden. Normalerweise nämlich ahmen die Sekretärinnen die Unterschriften der Stars nach, die sie dann gleich mit der Post verschicken. Und die ganz Berühmten haben Stempel, die wie Handschriften aussehen. Verkaufen kann man alle, aber richtig Kasse macht man nur mit den echten.
Am Anfang seiner Sammlerleidenschaft sind es erst einmal berühmte Personen, die in London auftreten, wo er sich echt clever anstellt, um an ihre Autogramme heranzukommen. Zunehmend rutscht er dann, wenn er beispielsweise schon vier gleiche Unterschriften hat, wie bei Kirk Douglas, ins Tauschen und ab irgendwann gibt es für ihn nur noch die Entscheidung, entweder alles zu lassen, oder aus seinem Hobby einen Beruf zu machen und Autographenhändler zu werden, was wir mitverfolgen mitsamt den Höhen, wenn er viel Geld verdient und den Tiefen, wenn er Fälschungen aufgesessen ist, viel Geld verliert und um seinen Ruf bangen muß.
Aber dann gibt es noch die private Ebene, wie er vom Kind zum jungen Mann wird, die erste Liebe, die Freundschaften, das obsessive Klavierspielen, das Musikstudium am King’s College und sein Konzertauftritt, wo er dem Druck nicht standhält, patzt und das Stück noch mal von vorne anfangen muß, was seine Musikkarriere, bevor sie begann, beendete. Und dann die eher dezenten Hinweise auf Liebschaften, wo dann immer wieder die Erste auftaucht, Rachel, die er heiratet.
Am Schluß ist man einfach dankbar, daß man dieses Buch lesen, an diesem Leben teihaben durfte.
Foto:
Umschlagabbildung
Info:
Adam Andrusier, Tausche zwei Hitler gegen eine Marilyn, aus dem Englischen von Dirk van Gunsteren. Unionsverlag 2023
ISBN 978 3 293 00593 8