1 meier graefe cover 96dpi 1

KUNST – KULISSEN – KETZEREIEN  von Julius Meier -Graefe im Nimbus Verlag

Wolfgang Mielke

Hamburg (Weltexpresso) - Der Nimbus-Verlag bei Zürich ist längst bekannt für seine hochwertigen Editionen. In der Reihe "Unbegrenzt haltbar" ist jetzt, als Band 9, dieses umfangreiche Buch über den Kunstkritiker, fast muss man schon von Kunstpapst sprechen, Julius Meier-Graefe (1867 – 1935) erschienen; das auch - in Anlehnung an Heinrich Mann (1871 - 1950) - den Titel hätte erhalten können: "Ein Zeitalter wird besichtigt".


2 Lovis Corinth Julius Meier Graefe 1912 14 1Das Buch hat einen ansprechenden, Appetit machenden gelben Buchrücken; und auf dem vorderen wie hinteren Buchdeckel je ein schwarzweißes Foto, das die fortlaufenden Säle eines Schlosses oder einer Gemälde-Galerie zeigen, oder eben eine Kombination aus beidem. Damit ist optisch das Thema bereits unübersehbar angeschlagen.

Aus dieser Reihe kannte ich bisher nur den Band über den Journalisten Ferdinand Hardekopf (1876 – 1954), mit dem diese Reihe 2016 eröffnet wurde. Weil dieser Band über die Stärke eines Taschenbuches nicht hinausgeht, war ich überrascht, dass dieses Buch über den Kunstkritiker Julius Meier-Graefe etwa dreimal so umfangreich ist; physisch schwerer damit, keine Frage; aber geistig, durch den Schreibstil Meier-Graefes, leichter, luftiger, auch süffiger.

Was die 'unbegrenzte Haltbarkeit' angeht, trifft sie überall da zu, - bis heute -, wo Meier-Graefe am konkreten Beispiel arbeitet, wo er über seine vielfältigen Kontakte zu den Malern des Impressionismus und der Jahrzehnte danach schreibt und einem so Kenntnisse verschafft, die eigen und besonders sind, und da, wo er ganz konkret Bildbeschreibungen liefert, die durchweg – und das nach wie vor – gewissermaßen den Nagel auf den Kopf treffen. Dabei steigt man, hält man sich als Leser an die vom Verlag vorgenommene Reihenfolge der Texte, in der Zeit allmählich zurück oder auch tiefer, vom Sommer 1933 bis zur Weltausstellung um 1900 in Paris; ergänzt durch eine erstmals veröffentlichte "Autobiographische Skizze" von 1922. -

Erst gegen Ende dieses, - einschließlich seines sehr gut gearbeiteten Anmerkungsteils!-, fast 600 Seiten starken Buches, dem nur ein Personenverzeichnis fehlt, aber erlahmt das Interesse. Das hängt damit zusammen, dass mehrere kunsttheoretische Schriften Meier-Graefes eingefügt wurden, die allenfalls mäßig interessieren und zuletzt ermüden, so dass man das Buch beiseite legt. Man hat Meier-Graefe damit keinen Gefallen getan. Der vielzitierte Satz "weniger ist mehr" trifft hier zu. Denn es ist besser, sich etwas hungrig noch vom Tisch erheben zu müssen, neugierig, was von diesem Autor noch zu finden sei, als - !

Den Abschnitt "Zwischenrufe" und den langen Aufsatz "Entwicklungsgeschichte der modernen Kunst" hätte man daher besser nicht eingefügt; auch der "Fragebogen", der auf die simple Antwort des Lesers zielt: "Natürlich wollen wir die neue Kunst!", ist ein bißchen primitiv. Solche Texte verlängern das Buch um ungefähr 60 Seiten und führen nachher zu der beschriebenen ermüdenden Versandung. - Denn: Meier-Graefe ist ein brillanter Bildbeschreiber und Analytiker und Erzähler von biographischen Verbindungslinien, aber eben kein rhetorisch begabter Theoretiker. -

Ich merke das auch deutlich an der Zahl meiner Anstreichungen; und Anstreichungen sind etwas durch und durch Positives, weil ich hier nämlich lesend das Bemerkenswerte und später vielleicht einmal als Zitat Verwendbare mit Bleistift anstreiche. In Meier-Graefes theoretischen Bemühungen habe ich so gut wie nichts markiert.

In "Knaurs Lexikon moderner Kunst" schreibt Lothar-Günther Buchheim (1918 – 2007): #"Julius Meier-Graefe (...) war einer der feinsinnigsten Interpreten der impressionistischen und nachimpressionistischen Malerei, als Schriftsteller ein hervorragender Stilist. 1895 edierte er in München gemeinsam mit Bierbaum die Kunstzeitschrift 'Pan', 1896 bis 1900 in Paris 'L'Art décoratif', 1900 (ebenfalls in Paris) 'Germinal'. Er schrieb die grundlegenden Werke über die großen Maler seiner Generation. Durch seine Bücher und seine kritischen Arbeiten wirkte Meier-Graefe auf Jahrzehnte hinaus erzieherisch."# (S. 192.)

#"Erzieherisch"# am konkreten Beispiel – ja! Denn, wer erziehen will, muss nachvollziehbar sein, muss überzeugen durch die höhere Qualität seines Blickes oder seiner Einsichten. Dass hier Meier-Graefes Stärke liegt, nachvollziehbar gemacht durch die sorgsame Bebilderung dieses Buches, das überträgt sich auf jeden Leser, denke ich, mit Leichtigkeit. -- In der sehr - ebenfalls - lesenswerten Autobiographie des Pianisten Emil von Sauer (1862 – 1942) heißt es über den zu seiner Zeit vergleichbar einflussreichen Musikkritiker Eduard Hanslick (1825 – 1904): #"Man braucht durchaus nicht alle seine Ansichten zu unterschreiben, ja, man kann sogar ein rabiater Gegner seiner Richtung sein, und dennoch wird sich niemand dem Zauber seiner Schreib- und Sprechweise zu entziehen wissen. Dazu kommt, dass sich an seine Person gewissermaßen ein Stück Musikgeschichte heftet; stand doch der selbst so interessante Mann mit fast allen musikalischen Koryphäen der letzten sechzig Jahre, Komponisten und Virtuosen, in näheren Beziehungen. Allein seine Intimität mit Schumann, Mendelssohn und Brahms macht ihn uns intim. Will ich mir an freien Abenden etwas Besonderes zu gute thun, so nehme ich einen Band seiner Schriften zur Hand; inhaltlich mit Vorbehalt, formell bedingungslos, sind sie für mich ein musikalischer Katechismus."

Foto:
Umschlagabbildung
Lovis Corinth Julius Meier Graefe 1912
©

Info:
Julius Meier-Graefe
Kunst Kulissen Ketzereien
592 Seiten, 21 x 13,5 cm
Halbleinen, Fadenheftung
ISBN 978-3-03850-078-0
EUR 38,00 | CHF 38.00

Erschienen Mitte November 2022