Wiedergesehen, Wiedergelesen, Wiedergehört, Teil 26
Katharina Klein
Berlin Weltexpresso) – Es ist ein großer Irrtum zu glauben, daß wir erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts angefangen hätten, die Welt zu sehen, sie zu erobern, mehr dort zu wollen als nur das Fremde zu entdecken oder: einfach am Strand sich zu erholen. Nein, schon vor Christoph Columbus im fünfzehnten Jahrhundert sind Männer und Frauen unterwegs gewesen, Länder zu erobern, in fremden Ländern zu wohnen, dort zu arbeiten, bzw. arbeiten zu lassen in der Hoffnung, reich zu werden.
Auf jeden Fall bricht der junge Otto Lagerfeld in Hamburg 1902 nach Südamerika auf, nach Venezuela, weil er dort wie viele andere Auswanderer seine Chance sieht! Aber so richtig wandert er ja nicht aus, er, der im Kaffeehandel gelernt hat, während der Vater Weinhändler war, hat eine richtige Stelle bekommen. Er fährt nicht ins Blaue, sondern zu seinem Arbeitsplatz. Nur klappt das dann doch nicht dort auf Anhieb und wie gut, daß auch sein Bruder in der Neuen Welt lebt, etwas nördlicher in den USA. Es geht nämlich nicht nur um ihn, wenn von der Familie erzählt wird, wo der Vater ein strenges Regiment führt und natürlich, das sagen sie alle, ja nur das Beste für seine fünf Söhne will.
Fünf Söhne, von denen er Mitarbeit erwartet, denn es müssen ja auch die drei Töchter, also acht Kinder, durchgefüttert werden. Auch Sohn Paul zieht es in die Fremde. Aber Hamburg bleibt dennoch das Zentrum für alle, für Otto liegt es auch günstig, denn er ist unterwegs ins Russische Reich, ausgerechnet in Wladiwostok will er amerikanische Dosenmilch verkaufen. Das gehört überhaupt nicht hierher, aber wer die Geschichte der Großfamilie Bockelmann kennt – richtig, der Österreicher Udo gehört dazu, sein Onkel Werner als Oberbürgermeister von Frankfurt auch - , der weiß, daß Rußland um 1900 für viele der sichere Hafen für ein besseres Leben war. Zurück zu Otto.
Es läuft prima. Das Geschäft. Aber auch die Gefühle, die starken, die er für die Schwester seines Freundes empfindet, für Theresia, die ihm den vierblättrigen Klee geschenkt hat – Glücksbringer seit jeher. Wir lesen uns fest, lesen mit einer Neugierde, als ob es die eigenen Vorfahren wären, über die wir viel weniger wissen, als jetzt über die der Familie Lagerfeld. Ein großer Schnitt. Aber in der Tat kann man sich den Schilderungen kaum entziehen, wenn es dann wirtschaftspolitisch zur Sache geht. Denn nach der Dosenmilch aus den USA, kommt er auf die Idee einer eigenen Dosenmilchmarke, die er GLÜCKSKLEE nennt und das typische rotweiße Etikett mit dem grünen Kleeblatt entwirft. Das war alles so erfolgreich,d aß er überall in Deutschland eigene Fabriken errichtete.
Ja, das gehört dazu, man muß es ansprechen, Otto war ein Opportunist. Und wie. Oder ist er 1933 aus Überzeugung in die NSDAP eingetreten. Was wäre schlimmer? Beides. Das hinderte ihn wie die anderen Nazis und Mitläufer nicht daran, in den Fünfziger Jahren seine wirtschaftliche Karriere fortzusetzen.
Höchste Zeit auf Karl Lagerfeld zu kommen, der ohne diesen familiären Hintergrund nicht zu denken ist, denn er hat eine großbürgerliche Selbstverständlichkeit mit auf den Weg bekommen, von der er zeitlebens profitierte. Eine Selbstgewißheit und ein Selbstbewußtsein, das gepaart mit Arbeitseifer ihn zu dem führenden Modeschöpfer machte, der er wurde. Natürlich half der reiche ökonomische Hintergrund, er wäre nie ins Nichts gefallen.
Doch das kennen alle besser, weniger aber, daß Otto, der seine Theresia liebte, die aber gleich 1922 im Kindbett starb, nachdem sie Thea geboren hatte. Karl entstammt der zweiten Ehe seines Vaters, Elisabeth (Ebbe), die er 1930 heiratete, 1931 wurde eine Tochter geboren, 1933 dann Karl, um den es im Folgenden geht. Doch dessen Karriere ist wie gesagt im Großen und Ganzen bekannt.
Heike Koschyk hat es drauf, historisch lebendig zu erzählen.
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Umschlagabbildungen
Info:
Heike Koschyk, Das Glück unserer Zeit. Der Weg der Familie Lagerfeld. 411 Seiten, Goldmann Verlag 2022,
ISBN 978 3 442 20632 2
Heike Koschyk, Das Glück unserer Zeit. Das Vermächtnis der Familie Lagerfeld, 491 Seiten, Goldmann Verlag,
ISBN 978 3 442 20633 9