Serie: DIE KRIMIBESTENLISTE im Juli 2023, Teil 7
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Mit der Krimibestenliste kommt man rum in der Welt! Das ist jetzt für mich der dritte Roman hintereinander, der RASSISMUS – hier - die Folgen von Migration in Australien /indigene Herkunft in Neuseeland( 6 TOTE von Michael Bennett /unterste Gesellschaftsschicht in Indien(MORD von Anjali Deshpande) für die nächste Generation zum Thema hat, nachdem in FÜNF WINTER von James Kestrel das alles zusammengemischt war. Ein starker Auftritt.
Und auch Tracey Lien gelingt es, uns die Folgen der Migration ihrer Heldin Ky, deren Eltern aus Vietnam nach Australien kamen und in der Vietnamesenvorstadt Sydneys Cabramatta angesiedelt wurden, unter die Haut gehen zu lassen. Nun hätte doch gerade Immigranten und Kinder von Asylsuchenden in Deutschland genug Anlaß, über ihre Situation und ihre gelungene oder mißlungene gesellschaftliche Einordnung, sei es Assimilation oder Integration, zu schreiben. Und neuerdings gibt es ja sogar eine Flut solcher Romane, meist von Frauen geschrieben, wie STREULICHT von Deniz Ohde, 2021 auf der Sechserliste zum Deutschen Buchpreis und 2023 ausgewählt für FRANKFURT LIEST EIN BUCH. Aber der Unterschied von den vielen, irgendwie doch braven Erzählbänden gegenüber einem aufwühlenden Werk wie das von Tracey Lien fällt ins Auge und man fragt sich, warum so etwas nicht original in Deutschland geschrieben werden kann.
Das muß als Vorbemerkung einfach sein, weil es sich wirklich um ein ungewöhnlich aufrichtiges Buch handelt, das für uns auch deshalb so interessant ist, weil wir die Situation asiatischer Asylanten und Exilanten und ihrer Kinder weniger kennen. Und doch, ein Urteil oder Vorurteil über asiatische Mütter kommt auch in diesem Roman voll rüber. Sie sind kalt, herzlos, treiben die Kinder unentwegt zu Leistungen an und fordern von den Töchtern noch mehr. Aber am Ende weiß auch die Ky Trans, warum ihre Mutter so ist, wie sie ist, so handelt, wie sie gehandelt hat und empfindet Empathie. In diesem Buch passiert viel. Das entsetzliche Unglück, das die Familie Trans trifft, ist aber schon zuvor passiert und der Anlaß, warum die junge Ky nach fünf Jahren in Melbourne und jetzt beruflicher Tätigkeit als Journalistin nach Sydney in die Vietnamesenstadt Cabramatta zurückkehrt zur Beerdigung ihres jüngeren Bruders Denny, der nach der Abiturfeier beim Essen in einem vietnamesischen Restaurant ermordet wurde.
Ausgerechnet Denny hatte ihm das telefonisch empfohlen, mit seinen Freunden in dies Lokal zu gehen, das von den vietnamesenstämmigen Einheimischen vielbesucht ist. Ky fällt es zuerst bei ihren Eltern auf, dann bei der Beerdigung: keiner kann ihr sagen, wie ihr Bruder umgekommen ist. Keiner hat etwas gesehen, weder seine Mitschüler, noch eine anwesende Lehrerin, noch die engagierte Sängerin. Und auch die Polizei hat nichts über das Geschehen herausbekommen. Da stimmt doch etwas nicht.
Ein Problem bleiben dabei die Eltern, denn diese haben kein Interesse, mehr wissen zu wollen, haben auch eine Obduktion verweigert, weil doch Denny leibhaftig vor Buddha erscheinen soll, für sie ist mit dem Tod des Sohnes kulturell/religiös jetzt das Wichtige, daß er von Buddha gut aufgenommen wird, weshalb die Mutter in den buddhistischen Tempeln der Gegend Opfergaben vorbeibringt. Ky merkt, wie sie sich verändert hat. Sie streitet sich ständig mit ihrer, wie sie meint zu angepaßten Mutter, und kann nicht fassen, daß niemanden die Umstände des Todes ihres Bruders, dem Mordes an ihm interessieren.
Das ist die Ausgangslage, in der nun die überangepaßte Ky ihre Recherche zum Tod des Bruders beginnt. Daß sie selber ihre ganze Jugend hindurch über Mißstände ihrer Einwanderung nach Australien nicht reden wollte, nackten Rassismus der Mitschüler, der Britneys und Kimberlys und deren Eltern, ja der ganzen Gesellschaft einfach negierte und so getan hatte, als ob die Welt in Ordnung sei, ist die wichtigstes Selbsterkenntnis, zu der sie gelangt. Aber das ist nur das persönliche Nebenprodukt, denn sie wird durch unaufhörliches Bohren und Nachgehen der Spuren, die die Polizei überhaupt nicht untersuchte, tatsächlich den Tatvorgang und den Täter identifizieren.
Wichtig ist dabei ihre Kindheitsfreundin Minnie, ebenfalls aus vietnamesischen Haus, die bei den Trans als zweite Tochter gehalten wird, bis Minnie in üble Kreise geriet, die Schule abbrach und nie mehr gesehen wurde, aber als Stimme im Kopf der Ky von Anfang an dabei ist und die Subversive, Aufklärung Verlangende ist. Daß Minnie im Lokal dabei war und gewissermaßen sogar der Anlaß für den Mord wurde, kommt strafverschärfend dazu.
Ständig kommt einem vor, man sei dabei, wenn Ky nicht locker läßt und Leute zu Aussagen verleitet, die sich geschworen hatten, nichts zu sagen. Das liegt daran, daß der Roman wenig erzählt, sondern das Geschehen ungewöhnlich häufig in Dialogen wiedergibt. Und die Erzählstimme wechselt zudem. Hauptsächlich gibt es den auktorialen Erzähler, aber dann spricht eine Icherzählerin. Wie gesagt, es passiert viel und das auf verschiedenen Ebenen, wenn die bisher ungesagten Dinge ausgesprochen werden. Statt Schweigen und Verschweigen Reden. Miteinander und übereinander. Endlich.