mordinselMORD AUF DER INSEL GOKUMON von Seishi Yokomizo bei Blumenbar

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Den Namen wird man sich merken müssen und da es der 2. Band einer Serie dieses Vielschreibers Seishi Yokomizo (1902-1981) um den berühmtesten Detektiv Japans, Kosuke Kindaichi, ist, die in Japan auf 77 Bände(!) kommt, ist man zwar auch auf Weiteres gespannt, will aber unbedingt auch den Anfang kennenlernen: DIE RÄTSELHAFTEN HONJIN-MORDE.

Eine so umfangreiche Serie eines Mordermittlers kann nur erfolgreich sein, wenn an diesem Detektiv etwas dran ist, was ihn so einzig macht, daß er ein ganzes Krimi-Universum - wie Maigret beispielsweise - ausfüllt. Das kann man nach einem Krimi noch nicht beurteilen, aber Kosuke Kindaichi, gerade 1946 aus dem Krieg zurückgekehrt, fällt schon erst mal aus dem Rahmen, wenn er äußerlich beschrieben wird: „Er trug einen traditionellen Hosenrock und einen zerbeulten Filzhut. Zu jener Zeit war selbst bei den Bauern westliche Kleidung gang und gäbe, noch dazu auf einem Ausflug in die Stadt. Auf der Fähre trug nur noch ein weiterer Mann japanische Kleidung, nämlich ein buddhistischer Priester. In jenen Tagen gehörte ein gewisser Eigensinn dazu, sich traditionell zu kleiden…“

Nein, eigensinnig erleben wir den Detektiv um Mitte Dreißig nicht, eher etwas unsicher, wenn er sein aufkommendes Stottern durch Haareraufen kompensieren will; er ist sehr zuvorkommend, ja geradezu sanftmütig und mit höflichen Umgangsformen, was heißt, daß er erst einmal aus Prinzip den anderen Recht gibt und dann aus der Hinterhand seine Theorien entwickelt, die eines auszeichnet: sie stimmen!

Fähre? Ja, er ist unterwegs zur Familie seines Kriegskameraden und guten Freundes Chimata Kito, die als reiche Fischereibesitzer auf der berühmt berüchtigten Insel Gokumon, einst Gefangenen- und Pirateninsel mit Inzucht, residiert; er muß ihnen den Tod des Erstgeborenen und Erben mitteilen, der den Krieg zwar überlebte, aber dann auf dem Rücktransport von Neuguinea nach Japan auf dem Schiff wohl an Malaria verstarb.

Worüber er erst einmal nicht spricht, sind die letzten Worte des Freundes, der ihn beschwor, seine Familie zu besuchen und alles zu tun, daß seine drei Schwestern - Tsukiyo, Yukie und Hanako – und Cousine Sanae nicht ermordet werden! Na so etwas.

Alle handelnden Personen aufzuführen -dankenswerter Weise auf zwei Seiten zu Beginn mit ihren Funktionen benannt – sprengt den Rahmen, aber man muß wissen, daß der Hintergrund der Sorge von Chimata darin liegt, daß er und seine Schwestern die Stammfamilie vertreten, nach deren Tod aber die Nebenlinie den Familienbetrieb und die Macht übernimmt.

Noch auf der Fähre hatte er den Priester Ryonen kennengelernt, für den er einen Brief von Chimata hat, der zudem auch an den Arzt und den Bürgermeister gerichtet ist.

Kurzum, es geht um düstere Ahnungen, die auch eintreten, denn tatsächlich werden alle drei Mädchen unter mysteriösen Umständen, versehen mit je einem klassischen Haiku, ermordet. Und das bleiben nicht die einzigen Toten, weil sich Kosuke erst einmal und auch immer wieder dämlich anstellt, wie er selber feststellt. Doch er ist lernfähig und zeigt dann, daß er in der Tradition von Sherlock Holmes sein Köpfchen gebrauchen und kombinieren kann, daß er zum Schluß zur Überraschung aller diese wirklich komplizierte Mordserie aufklärt.

Dabei fällt auf, daß die drei Schwestern äußerst unsympathisch dargestellt sind, sie lachen, wo Trauer angesagt ist, sie sind ‚vulgär‘ , auch ‚kokett‘, albern sowieso und wirken abstoßend. Ihre Ermordung wird auch weiter nicht bedauert, von niemandem. Das wirkt merkwürdig. Daß durchaus frauenfeindliche Züge in der Darstellung auszumachen sind, erhärtet sich bei den anderen Frauen, lebenden und schon toten. Die sind verführerisch, halbseiden, intrigant etc. Wahrscheinlich wäre dies beim Lesen im Erscheinungsjahr des Romans 1971 gar nicht aufgefallen, heute schon.

Doch tut das dem Vergnügen, das Japan von gestern und seine Abgründe kennenzulernen, keinen Abbruch. Und daß man über die klassische Poesie des Landes, speziell Haiku, so viel erfährt, vergnügt einen zusätzlich.

Foto:

©Umschagabbildung

Info:
Seishi Yokomizo Mord auf der Insel Gokmon, übersetzt von  Ursula Gräfe, Blumenbar Verlag 2023