Bildschirmfoto 2023 10 12 um 02.39.48Tove Alsterdal läßt die Polizistin Eira Sjödin zum Abschluß ihrer Trilogie lange im Regen stehen

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Wir sagen es gleich, wir haben die ersten beiden Bände um die Polizistin Eira Sjödin gar nicht gelesen, sondern sind mit dem abschließenden dritten erst eingestiegen, aber das war überhaupt kein Problem, denn die als „Nr. 1 aus Schweden“ bezeichnete Krimihandlung ergibt sich schlüssig, einschließlich der Frage, wer der Vater des kommenden Erdenbürgers ist.

Meine Güte, wie sich die Zeiten ändern. Früher wäre das, eben auch in Schweden und erst recht dort auf dem Land, ein Skandal gewesen, ein uneheliches Kind zu gebären. Und das Kind hätten sie irgendwo versteckt, denn schließlich ist eine Polizistin eine Respektsperson, eine Vorzeigefrau in der bürgerlichen Welt. Aber hier, in der etwas abgelegenen Region Adalen kommt es noch schlimmer. Eira ist nicht nur unverheiratet schwanger, sondern sie weiß noch nicht mal, wer der Vater ist. Nein, ganz so schlimm ist es nicht, sondern das Problem ist, daß sie nur nicht weiß, wer ihrer zwei Liebhaber denn nun der Vater ist. Das kann sich erst mit der Geburt und einem DNA-Test klären. Dies ist der private Hintergrund in diesem Krimi und obwohl mir die vielen privaten Probleme, die gerade in skandinavischen Krimis Usus sind, auf die Nerven gehen, ist das doch mal eine wirklich wichtige Frage, die nach dem Vater. Sie wird geklärt, aber ob es ihr Ex-Freund oder der Kollege ist, verraten wir hier nicht.

Höchste Zeit über das Skelett zu reden, das Taucher finden und das man auf Anhieb zurückführt auf das ungeheuere Unglück, als direkt vor dem Zweiten Weltkrieg die örtliche Sandö-Brücke einstürzte und alle Passanten auf ihr mit in die Fluten riß. Das wäre eine gute Erklärung für das Skelett, aber haut nicht hin, denn da ist ein Loch, eindeutig durch einen Schuß verursacht. Also ein Mord? Aber wäre der nicht längst verjährt? Ist das der Grund, warum die aufgrund ihrer Schwangerschaft in den Innendienst versetzte Eira auf diesen alten Fall angesetzt wird? Die Ironie der Geschichte wird zum Schluß aufzeigen, daß es noch einen ganz anderen, natürlich niemandem bekannten übersinnlichen Grund für Eiras Einsatz gibt: daß der Tote, bzw. seine Ermordung nämlich mit ihrer Familie zu tun hat.

Um das verstehen zu können, muß man sich Schweden in den Fünfziger Jahren vorstellen. Das ist uns hier nicht weiter geläufig, aber auch die Deutschen, die Westdeutschen, haben den Vietnamkrieg kritisch begleitet, die DDR sowieso. Auch in Westdeutschland gab es US-amerikanische Deserteure, die um Asyl baten, aber immerhin hatten wir damals noch die Amerikaner als Siegernation, die sich für die Demokratisierung der deutschen Gesellschaft einsetzte und etwas dafür tat. Da war es politisch inopportun, groß über Asylmöglichkeiten von amerikanischen Ex-Soldaten zu sprechen. Das war in Schweden anders. Schweden war eines der Länder, wohin US-Soldaten gerne desertierten, weil sie dort gesellschaftliche Akzeptanz erfuhren und eben – das Wichtigste – nicht ausgeliefert wurden.

So die Ausgangslage. Doch der Teufel steckt im Detail, denn da die US-Regierung die schwedische Situation kannte, hat der Auslandgeheimdienst, die CIA, die Szene kräftig durcheinandergewirbelt, denn manche der Deserteure waren nur angeblich desertiert, sie waren CIA-Spitzel, die dafür sorgen sollten, daß Desertierte in die USA gingen, wo sie sofort verhaftet wurden. Doch daran davon wußte man damals nur in Andeutungen.

Die Autorin verwebt nun diese Vergangenheit, in die das Skelett gehört, mit der Gegenwart, was ihr außerordentlich gut gelingt. Am Schluß ist alles aufgeklärt, aber traurig ist diese Angelegenheit schon. Es ist erstaunlich wie sehr man sich auf einmal für das Schicksal dieser Deserteure interessiert, die mit Eiras Familie zu tun haben, die doch eh in einer schwierigen Situation ist, wo ihr Bruder im Gefängnis sitzt und die Mutter dement wird, weshalb Eira doch überhaupt hierher gezogen ist.

Wie gesagt, unspektakulär erzählt geht es um spektakuläre Verhältnisse, die politisch motiviert doch die Menschen auf sich selbst zurückwerfen. Gut gemacht.

Foto:
Umschlagabbildungen

Info:
Tove Alsterdal, Nebelblau, Rowohlt Polaris, 2023
ISBN 978 3 499 00782 8