Wiedergesehen, Wiedergelesen, Wiedergehört, Teil 29
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Unter historischem Krimi kann man viel verstehen. Ich weiß noch, wie ich vor vielen Jahren anläßlich der Buchmesse ein Interview mit dem Meister des Keltenkrimis Peter Tremayne (1943) führte, der wie seine Kollegin Ellis Peters (1913-1995) eigentlich einen anderen Namen hat. Witzig dabei, daß sein echter Name Ellis einfach nicht zum Autor historischer Krimis taugte, weil den längst Edith Pargeter mit ihrem Pseudonym Ellis Peters mit ihren 20 mittelalterlichen Krimis über den Zeitraum 1120 bis 1145 besetzt hatte.
Solche Kriminalromane sind sozusagen die echten historischen Romane, weil sie ausschließlich die jeweilige historische Epoche abbilden. So kann es Renaissancekrimis oder welche aus der Barockzeit geben. Näher liegen uns , wie gerade veröffentlicht, Kriminalromane über das 20. Jahrhundert, erst einmal über die erste Hälfte, hier: Krimis der Weimarer Republik, zum anderen aber die über die Nachkriegszeit in Westdeutschland. Das sind erst einmal die, die die Fortsetzung nationalsozialistischer Umtriebe in der jungen Bundesrepublik, bzw. den Einfluß der Amerikaner zum Thema haben. Dann bringen die Kriminalromane, die im Anschluß an der 68-Bewegung, den Terror der RAF abbilden und die Abkehr der intellektuellen Elite von ihnen in den Siebziger Jahren bis hin zum Deutschen Herbst 1977, eine bleierne Zeit, einen neuen Ton, doch wirklich tonangebend wurden dann Ost-West.Spionageromane, die in der Nachfolge von John le Carrés DER SPION, DER AUS DER KÄLTE KAM reüssierten. Seltsam, daß der Anschluß der DDR an die BRD und die Abwicklung durch die Treuhand kein Thema für Wirtschaftskrimis wurde. Interessant, daß ein westdeutscher Autor, der Kölner Max Annas, heute Kriminalfälle der DDR literarisch aufarbeitet. Inzwischen setzte mit den Regionalkrimis auch eine neue Beschäftigung mit Regionalgeschichte ein.
Unsere beiden heutigen Krimis spielen Ende der 60er Jahre in Westberlin Lutz Wilhelms Wellerhoffs TEUFELS BERG, und Ende der Siebziger in Westdeutschland: „44TAGE und Deutschland wird nie mehr sein, wie es war“ von Stephan R. Meier.
TEUFELSBERG aus dem Ullstein Verlag hat erst einmal die Besonderheit, daß Autor Lutz Wilhelm Wellerhoff eine Dreifaltigkeit, wenngleich keine heilige bedeutet, denn hinter diesem Namen verbergen sich drei Männer: Martin Lutz, Sven Felix Kellerhoff und Uwe Wilhelm, die hier nach DIE TOTE IM WANNSEE zum zweiten Mal Kommissar Wolf Heller in den späten 60er Jahren in Berlin ermitteln lassen. Das war erst 23 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und faschistisches Gedankengut war noch weit verbreitet, einschließlich antisemitischer Vorfälle. Daß nun die jüdische Ehefrau Rebecca eines Berliner Richters erwürgt aufgefunden wird, setzt eine Lawine in Gang, denn die Wohnung des Präsidenten des Amtsgerichts Tiergarten, Joachim Hirsch, wird überwacht, weil Linksradikale einen Sprengstoffanschlag auf den Richter angekündigt hatten.
Die Autoren nutzen diese Situation, um viele politische und gesellschaftliche Informationen über die Zeit einzustreuen, zu der ja auch die Mondlandung der US-Amerikaner gehörte. Aber auch die private Situation des Kommissars Heller spielt eine große Rolle, weil sie ihn immer wieder vom Fall abzieht. Zudem ist er nervös, seine angegriffenen Nerven lassen ihn beruflich schludern. Hilfe erhält er von einer unerwarteten Seite. Die junge Amerikanerin Louise Mackenzie ist die Nichte der Toten, ärgert sich über die lahme Ermittlung und legt selber los. Dann erschießt sich ihr Onkel und ab da geht die Post ab, denn wir sind ja in Berlin, wo alle Staaten ihre Geheimdienste arbeiten lassen und Spione und Doppelspione sich austoben.
Ein knappes Jahrzehnt später läßt Stephan R. Meier in 44.TAGE. UND DEUTSCHLAND WIRD NICHT MEHR SEIN, WIE ES WAR mit dem Abstand von über 40 Jahren die schwierigste Situation Westdeutschlands Revue passieren: die RAF und ihre Morde. Aus einer antikapitalistischen Freiheitsbewegung war eine Mörderbande geworden, die an wichtigen Männern – ja, nur Männer standen an wichtigen Positionen von Wirtschaft und Gesellschaft – ein Exempel statuieren wollte, daß sie jederzeit zuschlagen und jeden der staatstragenden wichtigen Würdenträger aus der Welt schaffen kann.
Beim Autor muß man einfach hinzufügen, daß er wie wenige dicht am Geschehen dabei war, vermittelt sozusagen, aus privaten Gründen, denn er ist der Sohn des damaligen Leiters des Verfassungsschutzes Richard Meier (1928-2015), den er im Roman als Roland Manthey agieren läßt und der ständig, täglich, ja stündlich vor lebenswichtigen Entscheidungen steht, die sicher auch zu Hause Thema waren. Was tun?
Denn am 5. September wurde als Höhepunkt des RAF-Terrors und als Erpressungsversuch auf offener Straße Hanns Martin Schleyer entführt, Arbeitgeberpräsident. Die seit 5 Jahren inhaftierte RAF-Prominenz sollte im Austausch gegen den Entführten freigelassen worden. Für den Staat ging es auch darum, daß er sich nicht erpressen lassen, nicht vorgeführt werden soll. Wer das damals mitbekommen hatte, und auch den Tod des Entführten, weiß für sein ganzes Leben, was es bedeutet, wenn eine ganze Gesellschaft hysterisch wird, weil die Verhältnisse einfach dazu führen. Von daher kann und muß man dem Autor bescheinigen, daß sein Roman absolut wirklichkeitsnah ist und man sich beim Lesen fragt, wo der Unterschied zu einem historischen Kriminalfall, einem Sachbuch liegt.
Vermutlich darin, daß er in der Gestaltung seiner, der echten Geschichte, einfach mehr Freiheit hat. Seine Protagonisten sind fast alle mit ihren Klarnamen benannt, er hat nur wenige hinzugedichtet, bzw. deren Namen neu geschöpft. Daß alle gedachten und gefühlten Äußerungen auf diese Art einfach glaubwürdiger sind, kommt hinzu.
Wen Geschichte interessiert, dem wird dieses Buch viel, sehr viel geben. Wen sie nicht interessiert, kann hier nachlesen, wieviel einem Menschen verloren geht, wenn er nicht weiß, woher er und seine Gesellschaft kommt, und wie oft die Politik vor Lebensentscheidungen steht, die die ganze Bevölkerung betreffen.
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Umschlagabbildungen
Info:
Lutz Wilhelm Kellerhoff, Teufels Berg, Ullstein Verlag 2021
ISBN 978 3 550 05065 7
Stephan R. Meier, 44 Tage. Und Deutschland wird nie mehr sein, wie es war, Thriller, Penguin Verlag 2021
ISBN 978 3 328 10544 2