Hanswerner Kruse
Fulfa (EWeltexpresso) - Die sinnliche Leichtigkeit eines Vogelflugs zieht sich durch Dana Grigorceas neuen Roman, den sie im Fuldaer Schloss vorstellte. Dabei ist die Struktur des Buches „Das Gewicht eines Vogels beim Fliegen“, recht gewichtig.
Denn dauernd springt die Autorin durch die Zeit - zum Bildhauer Constantin Avis um 100 Jahre zurück und wieder in die Gegenwart zur Schriftstellerin Dora. Beide sind die Hauptfiguren ihrer Erzählung.
In der Lesung nimmt uns Grigorcea zunächst mit in das Ney York der 1920er Jahre und führt uns in eine freche, exaltierte Gesellschaft: „Der volle Saal beginnt zu schwingen, pausbackige Damen schauen einander an und prusten los.“ Denn Alba im glänzenden Chiffonkleid schmachtet Freddie mit schwarz umflortem Blick an, ruft „Damenwahl“ und tanzt mit ihm. Doch ihr eifersüchtiger Verlobter will sie zurückhaben und lässt ihr, besitzergreifend, ein riesiges Geschenk überreichen. Papierbahn um Papierbahn fällt ab, das Präsent wird immer kleiner. Schließlich erscheint eine schwarze Skulptur, das Abbild von Alba aus Onyx, die verzückt zu rufen scheint: „Damenwahl.“ Später erfahren wir, dass dieses Werk vom Künstler Avis geschaffen wurde.
Nach diesem Prolog begleiten wir, 100 Jahre später im italienischen Frühling, die Literatur-Stipendiatin Dora, mit ihrem achtjährigen Sohn und dessen Kindermädchen, nach Ligurien. Hier am Meer will die Schriftstellerin endlich ihre Damenwahl-Geschichte schreiben, die sie schon lange im Kopf mit sich herumträgt.
Zunächst erfahren wir jedoch, erneut in einer Rückblende, die Ankunft des Bildhauers Constantin in New York. In einer Kiste führt er seinen großen Bronzevogel mit sich. Es kommt zum Streit mit den lachenden Zollbeamten, die darin kein Kunstwerk erkennen können: Das Objekt habe keine Ähnlichkeit mit einem Vogel und sei als Gebrauchsgegenstand zu verzollen: „Das ist kein Vogel“, beharrt der Künstler. „Das ist der Flug eines Vogels.“
Nun unterbricht Grigorcea ihre Lesung und erzählt, dies sei eine wahre Geschichte gewesen, die sie gründlich recherchierte habe. Hinter ihrer Kunstfigur Avis verberge sich nämlich der Künstler Constantin Brancusi. Die amerikanischen Gerichte hätten ihm seinerzeit Recht gegeben, seine Skulptur sei ein Vogel: „It’s a bird!“ Dann liest sie weiter aus ihrem Buch vor:
Dora schreibt sich in ihrem italienischen Hotelzimmer in einen Rausch und läuft in den 1920er Jahren traumartig mit Constantin durch die Straßen New Yorks. Unachtsam wird sie beinahe von einem vorbeirasenden Automobil gestreift. „Du bist fast überfahren worden“ wirft die Romanfigur Avis seiner Schöpferin Dora vor. Auf einmal verkündet er: „Eine Geschichte wie meine gibt es nur in Büchern.“ Zu Fuß sei er von Rumänien nach Paris gelaufen um bei Auguste Rodin zu lernen, aber unter einem so großen Baum könne nichts anderes wachsen. Doch Dora weiß: „Am Ende, mein Lieber ist es für die Literatur unwichtig, ob eine Geschichte passiert ist oder nicht.“
Fotos
© Hanswerner Kruse
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Dana Grigorcea: „Das Gewicht eines Vogels beim Fliegen“, 224 Seiten, gebunden, 24 Euro