Bildschirmfoto 2024 11 17 um 00.04.18Ulrike Marie Meinhof: Essay über ihr Leben und Sterben

Ester Awonoor

Leipzig (Weltexpresso) - Rainer Hackels Essay über Ulrike Meinhofs Leben und Sterben ist eine kleine Sensation. Als Student hatte sich der Autor an Ulrike Meinhofs Pflegemutter, die renommierte Historikerin Renate Riemeck, gewandt mit der Bitte, ihm bei einem Vortrag über Ulrike Meinhof behilflich zu sein. Nachdem Hackel in einem ausführlichen Brief seine Sicht auf die Journalistin und Terroristin geschildert hatte, erhielt er von Ulrike Meinhofs engster Vertrauter einen erstaunlichen Brief: „Von allen Menschen, die über Ulrike geschrieben haben, hat noch niemand ihr Wesen so gut verstanden wie Sie.“ Der aus fünf Briefen bestehende Briefwechsel bildet das Vorwort des bewegenden Essays, dessen Grundlage Gespräche des Autors mit Renate Riemeck bilden und der dem Leser das tragische Schicksal Ulrike Marie Meinhofs vor Augen führt.


Anrührendes erfährt der Leser über Ulrikes Kindheit und Jugend. Ihr Mitgefühl galt immer „den Schwachen und Wehrlosen“, aber sie konnte auch „heiter, ausgelassen und übermütig sein“. Nicht nur als Jugendliche, auch später noch ließ sich Ulrike Meinhof ausnutzen und litt zeitlebens unter Selbstzweifeln und Skrupeln. Ihr mangelndes Selbstvertrauen forderte andere dazu heraus, sie zu demütigen, was sie schweigend hinnahm.

Ulrike Meinhofs Schritt in den Untergrund zeichnet der Autor plausibel nach. Offensichtlich handelte es sich um ein „unglückliches Ineinandergreifen unterschiedlicher Ursachen“. Die Trennung von ihrem Mann Klaus Röhl, dem Herausgeber von „konkret“, das Ende ihrer journalistischen Arbeit und die Zerschlagung politischer Hoffnungen durch das Scheitern der 68er Bewegung trieben sie in die Arme von Baader und Ensslin, die sie allerdings wegen ihrer intellektuellen und menschlichen Überlegenheit bei jeder Gelegenheit demütigten. So manövrierte sich Ulrike Meinhof in eine ausweglose Situation hinein, an deren Ende der Selbstmord in Stammheim stand. „Sie war ein vom selbstgewählten Schicksal geschlagener, armer Mensch.“ Dieser Deutung von Renate Riemeck in einem Brief an den Autor wird Rainer Hackel in seinem Essay gerecht, ohne die fragwürdigen Seiten an Ulrike Meinhofs Charakter und Handeln auszublenden.

Hackel setzt sich in seinem Essay aber auch mit Ulrike Meinhofs journalistischer Arbeit auseinander, geht auf den zeitgeschichtlichen Hintergrund – 68Bewegung, NS-Vergangenheit, Vietnam-Krieg, Tod Benno Ohnesorgs – ein und analysiert Ulrike Meinhofs „letzte texte“, die in der Haft in Stuttgart-Stammheim entstanden.

Jedem, der sich für 68 und die Folgen interessiert, sei dieses Buch ans Herz gelegt.

 

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Info:
Rainer Hackel: Ulrike Marie Meinhof: Essay über ihr Leben und Sterben
Engelsdorfer Verlag 2024, 10 Euro
ISBN 978-3-96940-887-2