...und plötzlich ist sie selbst das Opfer, Verlag Knaur
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Ein Ritt über den Bodensee, den Sie auf 381 Seiten unternehmen, nicht sicher, ob Sie drüben, am Ende also ankommen, denn der Fährnisse sind allzu viel in diesem auf Thriller gebürsteten literarischen Parforceritt, dessen verstörendes Thema für alle gilt, wo Männer und Frauen mit und gegeneinander leben: Vergewaltigung und was es braucht, damit Männer davon kommen und Frauen sich schuldig fühlen.
Staranwältin Kelly McCann, deren Mann sie immer gepuscht hat, mit dem Hinweis, daß sie nicht Kelly McCannicht heiße, ist nun eine, die sich als Anwältin durchgebissen hat und ihre Fähigkeiten, die Unschuld von Mandanten, an die sie selbst nie glaubt, zu beweisen, zur Perfektion gebracht hat. Ein Sieg vor Gericht über den anderen, denn für sie sind es Siege, wenn sie einen Prozeß gewinnt. Und einen, der unsicher wäre, den beginnt sie erst gar nicht, sondern läßt den Mandanten nicht im Unklaren, daß er besser seinem Opfer Schweigegeld für die Vergewaltigung zahlen soll, was mit einer Verschwiegenheitsklausel verbunden sicher sein läßt, daß nichts nach draußen dringt.
Seit Kindertagen hat sie sich auf diese schneidende Prozeßstrategie vorbereitet, sieht sie im Nachhinein. Sie will, sie muß gewinnen.Und ihr Sätze sind spitz und entlarven diese Frauen, denen nichts geschah, die nur Geld aus einem anerkannten Wissenschaftler, aus einer Wirtschaftsgröße, aus einem bekannten Schauspieler herausschlagen wollen. Diese Siegeslust ist ihre intentionale Motivation, daß die Mandanten reich und ihre Kanzlei auch noch viel Geld damit verdient, ist Nebensache, dabei kann sie Geld gut brauchen, denn ihr Lebensstil ist aufwendig, sehr sehr aufwendig.
Nachdem man sich erst mal an der so unsympathischen Heldin und Spitzenanwältin Kelly McCann abgearbeitet hat und wir Zeuge geworden sind, wie sie den Unsympath Dr. Benedict, vom Verdacht eines Sexualverbrechens reingewaschen hat, denn natürlich folgen die Geschworenen ihrem Plädoyer und nicht dem Staatsanwalt und sie sich wie im Rausch als Siegerin fühlt, obwohl sie genau weiß, daß er seine wissenschaftliche Mitarbeiterin Dr. Reeza Patel vergewaltigt hatte, schüttelt uns die Autorin im Folgenden ganz schön durch.
Das Erste ist, daß sie ihr Mandant für den Abend zu sich nach Hause zur Siegesfeier einlädt, sie dann in die Bibliothek bittet, sie nach dem Schluck aus dem Glas das Bewußtsein verliert, weil er sie mit Curare gefügig macht, er sie anschließend vergewaltigt und nachts dann in seiner Privatmaschine nach Hause verfrachtet, was er ihr versprochen hatte.
Das Zweite ist, daß sie in ihrem großen Haus als erstes gegen jede Vernunft sich ausgiebig duscht, um den Ekel zu lindern, damit aber auch alle Spuren beseitigt, denn sie hat nicht vor, diese Vergewaltigung anzuzeigen, das kann sie gar nicht, da hat sie ihr Mandant richtig eingeschätzt: Vergewaltiger sind Sieger, Vergewaltigte sind Verliererinnen. Und das ist sie eben nicht, sie, die Siegerin.
Das Dritte ist, daß sie liebevoll bei ihren beiden halbwüchsigen schlafenden Kindern hereinschaut, sie liebkost. Aha, sogar Mutter, hatte man ihr nicht zugetraut.
Das Vierte, daß sie sich neben ihren im Bett schlafenden Mann legt, ihn umarmt und küßt. Da wissen wir schon, daß er monitorüberwacht im Koma liegt, seit zehn Jahren schon. „Er war immer noch da, ihr starker, witziger, blitzgescheiter Ehemann.“ Siegerin eben.
Bißchen viel auf einmal? Dabei kommt das Eigentliche erst.
Zwei Informationen sind wichtig.
- Der berühmte Forscher Dr. Benedict scheint gerade ein Mittel gegen Alzheimer entwickelt zu haben, das an die Ursachen der Krankheit herangeht und den Eintritt verzögern kann.
- Kelly McCann spricht die vier Frauen an, die unterschiedliches Schweigegeld von Benedict erhalten hatten und denen sie eine Verschwiegenheitspflicht aufgedrückt hatte, nun gemeinsam den Vergewaltiger Benedict ans Messer zu liefern.
Letzteres bestimmt dann den Handlungsverlauf, der hin und herspringt, denn es liegt nahe, daß man Benedict am meisten schadet, wenn man ihm unterschieben kann, daß er seine Alzheimerforschung seiner Untergebenen Dr. Reeza Patel gestohlen und als seine ausgegeben hat.
Doch wird die tot aufgefunden. Erst Selbstmord, dann Medikamentenvergiftung, dann sterben zwei der vier Frauen, Kelly gerät immer stärker unter Druck, welche Dimensionen ihr Schlachtplan angenommen hat. Sie möchte aufgeben. Alles. Doch muß sie das dicke Geld verdienen, denn schon sehr lange hatte sich die Versicherung aus der Versorgung ihres Mann zurückgezogen, sie zahlt alles selbst, seine 24-Stunden-Pflege, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Büro, das Haus.
Und dann kommt auch noch Courtney, Adams Tochter aus erster Ehe, die gerade das Jurastudium beendet hat und will ihren Vater ausschalten lassen, ihm den Tod und damit Ruhe gönnen, was juristisch durchaus erfolgsversprechend ist.
Wie Kelly McCann, zu der wir nun schon sehr lange halten, in dieser Gemengelage Dr. Benedict erledigt, bzw. er sich selber und sie nun einen Schlußstrich ziehen kann und anders und besser leben wird, benötigt erst noch einige Morde und eine dann doch ungewöhnliche Mörderin.
Foto:
Umschlagabbildung
Info:
Bonnie Kistler, Die Anwältin...und plötzlich ist sie selbst das Opfer, Knaur Verlag, 2.12. 2024