Sara Paretskys bereitet uns mit ihrer Privatdetektivin auf die Trumpschen USA vor
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Harte Kost, dieser (der wievielte?) Krimi um die cleverste und aufopferungswilligste und aufopferungsfähigste Privatdetektivin, die man sich denken kann, V.I. Warshawski, die uns ein Chicago zu Zeiten von Corona zeigt, das apokalyptisch anmutet: Armut, Dreck, Ansteckung, Gebrechen, Tod, Mord, Familien, in denen einer gegen den anderen agiert, aber doch alle zusammenhalten und die, die zum Abschuß freigegeben sind, wobei die schlimmsten Verfolger und Mörder bestimmte Polizisten sind.
Im Ernst, so entschlossen selbstzerstörerisch und anderen helfend als Mutter Theresa oder doch besser als Heilige Johanna der Schlachthöfe, denn auch Brecht siedelte diese in Chicago an, wo die Heilige Victoria so was von zu Hause ist, also so umtriebig, ständig unterwegs, die vielen, so unterschiedlichen Termine wahrnehmend, aktiv in Präsenz und zwischendurch überall, in Bibliotheken, zu Hause, unterwegs am Rechner recherchierend oder Mandantenberichte und Rechnungen schreibend, kaum zum Schlaf kommend und für alle um sie herum einkaufend und sorgend, da dachte ich nur noch, das bin ja ich. Nein, nein, nicht so gefährlich, aber die Arbeit einer Journalistin, die ständig in der Stadt Termine wahrnehmen und darüber schreiben muß und dann nachts noch die Zeitung macht, liegt vom Zeitdruck, Unterwegssein und kaum zum Schlaf kommend in Übereinstimmung, aber nur strukturell mit dem großen Unterschied, daß das eigene Leben nicht in Gefahr ist und nicht ständig die Leute ermordet werden. Außerdem und auch das gehört zu den Verdiensten der Victoria, Vic genannt, durch ihr vorausschauendes und emsiges Tun gibt es weniger Tote, weniger Morde. Wer kann schon eine solche Bilanz vorlegen?
Da nimmt man das Hin und Her der Protagonisten als Leserin in Kauf, denn sie fordert schon, daß man in diesem irrsinnigen Kuddelmuddel mitmacht und so den Überblick nicht verliert, wenn sie neben den zwei Hauptsträngen noch immer wieder ihre ‚normale‘ Privatdetektivarbeit auf 471 Seiten verrichtet. Dabei ist übrigens das von der Übersetzerin Elsa Laudan erstellte Glossar, vorher, dabei, im Nachhinein zu lesen, sehr nützlich, wo man nur noch mit den Ohren schlackert, wenn man vom Polizeilichen Folterring oder Homan Square liest, letzterer seit 1999 existierend, wo seitens der Chicagoer Polizei systematisch geprügelt, gefesselt, gefoltert und vergewaltigt wurde.
Für den einen Hauptstrang, den kleineren, wird sie sogar minimal bezahlt. Sie kümmert sich nächtelang um den Schutz für eine kleine Synagoge, wo nicht nur der Antisemitismus eine Rolle spielt, sondern auch Häuserspekulation etc. Aber der entscheidenden Hauptstrang, für den sie kein Geld erhält, hält sie, viele andere und auch uns Leser in Atem. Ihre zwei Hunde haben am Ufer des Lake Michigan zwischen Klippen verborgen ein Mädchen erschnüffelt, das gerade noch so am Leben ist. Sie ruft sofort die Rettung, zieht sich ihre neue schicke neue rote Jacke aus und hüllt das junge Mädchen ohne Papiere damit ein. Als sie diese nach der Stabilisierung im Krankenhaus besucht, ist sie weg, aber ihre Jacke hängt noch dort, die sie an sich nimmt. Diese rote Jacke wird ein roter Faden für die Ermittlung, die wir auf keinen Fall so detailliert verfolgen können, wie es not täte.
Warshawski führt die rote Jacke in ein Altenheim, das eine Abteilung für die Pflegefälle hat. Denn nach und nach entwirrt sie, daß das junge verschwundene Mädchen Julia heißt, eine ungarische Großmutter hat, die in der Altenpflege gequält wird, weil im Hintergrund doppelte Gier waltet: ihr Sohn Gus will das weitläufige, für Immobilienspekulanten hochattraktive Haus erben, daß sie aber ihrer Enkelin vererbt hat. Das Testament liegt in einer Schatulle beim Notar, deren Schlüssel Julia hat. In die Immobilienspekulation ist die Mutter von Brad verwickelt, mit der die Familie Litvak ins Spiel kommt, wo Vater Donny mit all seinen Geschwistern die Jugendgespielen von Vic sind, also ständig die persönliche die berufliche Ebene aushebelt und die Emotionen rund laufen – bei allen! Mr. Contreras nicht zu vergessen, der wunderbare Nachbar, inzwischen 92 Jahre und immer widerständiger, wenn die Polizei, ach was, ganz bestimmte korrupte Polizisten Vic ans Leder, notfalls um die Ecke bringen wollen. Er kümmert sich ja nicht nur um die Hunde, sondern versteckt auch Julia und Brad bei sich.
Eigentlich müßte man nun von Brads Mutter und ihrem Liebhaber sprechen, die die Tragödie und die Immobiliengier in Gang setzen, so daß der Tod von Alten die Voraussetzung für das Aufkaufen von Häusern wird, so daß man möglichst viele Alte ‚entsorgen‘ sollte, aber genauso wäre wichtig, daß ENTSORGT ein erschütternder Corona-Roman ist, wo beim Lesen der Zustände auch unsere Erinnerungen heftig werden, wie das war mit den Masken und dem Gefühl von Beschmutzung. Bei Warshawski auf jeden Fall hilft für alle Lebenslagen heißes, langes Duschen, womit sie auch den inneren Dreck, dem sie ständig ausgeliefert ist, abwäscht.
Wie gesagt, harte Kost. Aber ehrlich.
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Umschlagabbildung
Info:
Sara Paretzky, Entsorgt, Ariadne1276 im Argument Verlag 2024
ISBN 978 3 86754 276 0