Bildschirmfoto 2025 05 22 um 20.37.40 Kopie 2Dana von Suffrin liest im Fuldaer Schloss

Hanswerner Kruse

Fulda (Weltexpresso) – „Ich stehe auf dysfunktionale Familien“, verkündet die Autorin Dana von Suffrin am Ende der Lesung aus ihrem Roman „Nochmal von vorne“ im Fuldaer Stadtschloss. Zuvor hatte sie mit dem Lesen zweier Kapitel detailreich ihre schräge und zerstrittene jüdische Verwandtschaft im Saal vorgestellt. 

 

Aber sie weist auch darauf hin, dass ihr Buch – natürlich – eine fiktive Biografie sei. Ihr recht komplexes Kapitel 8 beschreibt einen Traum, in dem die vereinigte Familie bei einem Tischspiel wieder zusammenkommt. Dabei ironisiert sie sogleich mögliche Deutungen dieser Fantasien, dass es sich um geheime Wünsche handle, und zersetzt vorsorglich verhaltenstherapeutische Weisheiten. Die Ich-Erzählerin Rosa und ihre exzentrische Schwester Nadja sind noch Kinder, doch mit der Distanz als Erwachsene lässt von Suffrin nun die Familienmitglieder aufleben: 

Überheblich lächelt ihre Mutter und wird gleich etwas Gemeines sagen. Der Blick der Großmutter Zsazsa ist, als sie die Kleinen ansieht, „zärtlich und kurz wie ein fallendes Blatt.“ Der Vater hat „wie jeder richtige jüdische Vater, immer Verstopfung“ – für die er seine Nachkommen und seine Frau verantwortlich macht. In diesem Traum redet er viel, einmal weint er sogar, und ist anders als im wirklichen Leben. Denn „über andere Themen als Mahlzeiten, Wasserproben und Stuhlgang“, verlor er nie ein Wort.

Das Tischgespräch dreht sich unter anderem um Hund Dovid, der „an Geschwüren, an Verfettung oder an Überdruss“ starb. Oma Zsazsa echauffiert sich „mit der Autorität alter Damen“, dass man einen Hund nicht nach einem Menschen benennen könne. „Ein Name von einem jiddischen Menschen noch dazu!“ Dann ging sie wieder los – die ewige Streiterei wegen des Hundes: „Aber ihnen wäre jeder Anlass recht, sie würden auch über den scheußlichen Nagellack meiner Großmutter streiten, über den genauen Farbton des Hundefells“ und über andere banale Dinge. Irgendwann löst sich der Traum auf und der Vater beginnt zu schrumpfen.

Von Suffrin erzählt zugleich vom Traum und dem wirklichen Leben mit Sprüngen, Rückblenden und Assoziationen. Sie entfaltet keine durchgehende Geschichte, sondern berichtet in ihrer Collage unaufhörlich von den sinnlosen Streitereien innerhalb der jüdischen Verwandtschaft. Die Sprache ist mit endlos langen Sätzen eigentlich recht elaboriert, doch die Autorin geht auch gerne im Alltäglichen spazieren – daraus entstehen Ironie und Distanz. Nach dem Lesen dieses Kapitels spricht sie selbst von ihren „Kreisbewegungen beim Schreiben“. Sie habe keinen klassischen Plot, verweigere die Hollywood-Dramaturgie und liebe Familienthemen, die sie tragisch, aber dennoch mit Humor untersuche.

Als Schriftstellerin wolle sie das Große und das Kleine beschreiben, sagt sie nach dem zweiten Vorlesen. Das war zuvor exemplarisch zu erleben, denn im Kapitel 4 ist sie einerseits wieder persönlich: Sie erzählt, wie der jüdische Vater in München slapstickartig der rebellischen katholischen Mutter begegnete. Anderseits berichtet sie vom Jom-Kippur-Krieg, als Israel 1973 von Ägypten, Syrien und weiteren arabischen Staaten überfallen wurde. Darin kämpfte ihr Vater als Panzeroffizier. 

Mit großer Leichtigkeit und schwarzem jüdischen Humor vollzieht von Suffrin eine schwierige Gratwanderung zwischen skurrilen familiären Konstellationen und der Weltpolitik. Diese Lesung war eine dichte und fantastische Kostprobe ihres umfangreichen Romans.

Foto:
Die Autorin © Tara Wolf / Verlag Kiepenheuer & Witsch

Info:
Dana von Suffrin: „Nochmal von vorne“, Verlag Kiepenheuer & Witsch, gebunden, 240 Seiten, 
23 Euro