Alex Finlay macht’s besonders spannend, aber…
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – 491 Seiten und mit der Prämie: „Ein wahrer Ausnahme-Thriller“ von Karin Slaughter versehen, selbst hochgeschätzte Thrillerautorin, beginnt man und kann das Buch nicht aus der Hand legen, so spannend ist es geschrieben. Die Personen, die Handlung, die Zeiten vor und zurück, die wechselnden Orte von New York über Nebraska bis ins mexikanische Tulum. Toll! Und doch fühlte ich mich nach dem rauschhaften Lesen betrogen. Ich ahnte von Anfang an, wer der wahre Mörder ist – und leider war er es auch!
Das nimmt im Nachhinein den Spaß Lesen und macht auch eine Besprechung schwierig, denn dem Leser soll es ja nicht genauso gehen, denn eine Auflösung in einem Krimi soll schon die vielen Stunden des Mitüberlegens beim Lesen wert sein und zumindest mehrere potentiellen Täter bieten, dann ist es ‚erlaubt‘, dass man einen der Verdächtigten für den Täter hält, der es auch ist. Aber so, wo man nur einen einzigen dauernd vor Augen hat – und der ist es dann auch?
Am Besten endlich anfangen und nur die Ausgangssituation und die wichtigsten Personen einbeziehen.
Wir sind ständig an der Seite von Matt Pine, einem Studenten, der die Tragödie in seiner Familie nicht mehr ausgehalten hat und deshalb zum Studium nach New York geht. Er feiert feuchtfröhlich mit seinen Freunden, die sich später als echte Freunde herausstellen, und muß am nächsten Morgen verkatert erfahren, dass seine ganze Familie, die zum Kurztrip nach Mexiko gereist war, dort durch einen Unglücksfall, wahrscheinlich ein Gasleck, ums Leben kam. Seine Eltern, Olivia, genannt Liv, und Evan Pine, seine so wunderbare Schwester Maggie, die sich auf’s Studieren vorbereitet hatte, und sein kleiner sechsjähriger Bruder Tommy, der Nachzügler, der von allen verwöhnt wird.
„Die ganze Familie“, das stimmt nicht, denn er hat noch einen älteren Bruder namens Danny, doch der sitzt im Gefängnis, als Mörder an seiner Freundin verurteilt, die zusätzlich noch schwanger war. Die Familie weiß, dass er unschuldig ist und der Krimi dreht sich nun darum, dass die ganze Familie versucht, den wahren Schuldigen zu ermitteln. Daß Danny ein harmloses Gemüt ist, erkennt man schon daraus, dass er bei seiner Verhaftung Tage ohne Anwalt verhört wurde und man ihm zusicherte, er dürfe nach Hause, wenn er endlich die Tat gestehe. Was er tat.
Tatsächlich ist dieser Krimi mit Recht Thriller genannt und zudem außerordentlich gut geschrieben. Damit ist gemeint, dass die Handlung so viele Nebenkriegsschauplätze bietet, die aber insgesamt, auch im Nachhinein zum Verständnis des Geschehens und der so positiven Eigenart dieser Familie zugehörig sind und eine Vielfalt an Menschen mit ihren Eigenarten - und keine Schablonen - bringt, die Orte wechseln und dann auch noch die Zeiten, was jeweils in den Kapitelüberschriften kenntlich ist, ob das Geschehen davor „Zuvor“ oder „Danach“ spielt, der Erzählfluß selbst ist die Gegenwart.
Was die emotionale Beteiligung beim Lesen angeht, ist das schon grenzwertig. Denn diese Familie Pine wird nicht nur liebevoll beschrieben, sondern ihre Mitglieder gehen so voller Liebe miteinander um, dass ihr Tod auch für geübte Krimileser und Krimileserinnen hart ist. Das Verhältnis von Vater Evan und der wirklich schlauen Tochter Maggie ist genauso hinreißend geschildert wie die schöne Mutter, die alles im Griff hat.
Kommen wir zum deutschen Titel, der nicht stimmt. Denn hier ist keiner allein, Matt, um den es ja wohl gehen soll, wird durch den Hinweis von Sarah Keller, FBI Agentin, erst auf die Spur gebracht, dass seine Familie nicht durch ein Unglück ums Leben kam. Sie vermittelt ihm, dass er persönlich nach Tulum fliegen muß, weil ohne seine Unterschrift die Leichen nicht in die USA gebracht werden können, was das FBI zwecks Obduktion will. Und diese Sarah Keller gehört zu diesen wunderbaren Menschen bei der Polizei, die, obwohl sie wissen, dass sie kaum durchkommen durch diese Gemengelage von Geld/Verbrechen/Korruption es wenigstens wagen, sich mit den Großkopferten und den autoritären Chefetagen anzulegen, ihre Arbeit durchzieht, oft mit schlechtem Gewissen, weil sie so lange ihre Kinder alleine läßt, aber einen derart sympathischen, ihr telefonisch Zuspruch gebenden Mann hat, dass es nur so eine Freude ist. Sie trifft die richtigen Entscheidungen und wird auch diejenige sein, die die Unschuld von Danny beweisen kann.
Auch die Familie von Olivia spielt eine Rolle und trägt zu der Vielfalt menschlichen Geschehens bei. Olivia stammt aus Adair, wo sie lebten, aber wegzogen, als ihr Sohn Danny verurteilt wurde und sie städnig angegangen wurden, wohin sie jetzt fährt, weil ihr dementer Vater aus seinem Pflegeheim geschmissen werden soll, was sie mit Schwester Cindy verhindern will und kann. Denn ihre alte Highschoolliebe Noah Brawn wird gerade den wegen eines Sexskandals zurückgetretenen Gouverneur ersetzen. Er wird ihrem Vater den Platz im Heim sichern und auch den Fall ihres Sohnes aufrollen. Sein Sohn Kyle spielt Maggie gegenüber eine miese Rolle, aber das alles wird am Schluß aufgerollt, wo sich herausstellt, dass der Mörder der jungen Frau, ein anderer als Danny ist, der auch gleichzeitig die Familie in Mexiko ermorden ließ.
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Umschalgabbildung
Info:
Alex Finlay, Alle gegen die Lüge, Thriller, Goldmann 2025
ISBN978 3 442 49567 2