Frankfurter Buchmesse 8. bis 12. Oktober 2014, Teil 23

 

Claudia Schulmerich

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Selten konnte man einen Autor erleben, der seine Kunstfigur im Gespräch über dessen Schicksal gar nicht benennt, nur einmal Hauptfigur sagt, ansonsten von 'er' und 'ihm', dem Polizisten, spricht. Der Mann heißt Fallner, Robert Fallner, seine Frau Jaqueline, auch der Name kommt hier nicht vor. Am Schluß müssen wir endlich im Gespräch einmal den Namen Fallner sagen, verstehen aber gut, warum es auch ohne geht.

 

Ich hätte die Frage mit dem Kollegen erst jetzt stellen wollen, und zwar im Zusammenhang. Sie sehen wie schwierig unser Interview wird. Ein Krimi lebt von der Lösung. Wir dürfen die Lösung hier nicht verraten. Aber gibt es überhaupt eine Lösung?

 

Also es gibt so eine Teillösung. Ein echtes Kriminalelement...Also es gibt ja tatsächlich einen Fall, der in diesem Fall eben so gelagert ist, daß er seinen eigenen Fall untersuchen muß. Und da gibt es tatsächlich eine Entwicklung, es gibt auch eine Auflösung, aber das war mir gar nicht so wahnsinnig wichtig, sondern im Grunde die Atmosphäre und diese verschiedenen Zustände zu beschreiben und auch durchzuspielen innerhalb des Buches, das war viel wichtiger und es gibt keine Lösung, die eigentlich direkt angestrebt ist. Man weiß definitiv am Ende nicht, was sein Problem ist: Kann ich eigentlich meinen Beruf weiter ausüben? Kann ich? Habe ich Lust dazu? Fällt mir was anderes ein?

 

Und da gibt es keine Lösung. Das wäre eigentlich, wenn man das so will, der Fall ist vielleicht seltsam, aber nicht so wahnsinnig spektakulär. Das wäre die eigentliche Frage, wie geht das weiter und da gibt es nur einen Hoffnungsschluß. Ich finde den Schluß eigentlich sehr versöhnlich, aber er hat nicht alles ausgemalt, sondern eher angedeutet. So, mit dieser ganzen Geschichte geht es eigentlich nur um Probleme, da sind schon viele aufgezählt. Das andere Problem ist ja, er wird von seinem Opfer in allen Formen und Gedanken und Träumen verfolgt.

 

 

Das ist ja das Eigentliche, was der Roman aussagt und was den Roman zusammenhält.

 

Genau, man könnte auch sagen, das ist vielleicht das größte Problem. Aber die sind alle doch miteinander verbunden, man kann die, glaube ich, gar nicht trennen. Also mir geht es so, ich kann die nicht trennen. Aber auch das ist eigentlich wie bei vielen Sachen, die da vorkommen, in diesem Sinne recherchiert; also alles, was ich an Fachliteratur darüber gelesen habe und auch die Erkenntnisse einer Psychotherapeutin, mit der ich geredet habe, demnach ist das der Normalfall, daß sich so ein extremes Ereignis im Kopf fortsetzt und man es nicht unter Kontrolle bekommt. Es war ein spezielles Thema über Polizisten, für das ich mich auch sehr interessiert habe, man kann sozusagen, wenn so was passiert, kann man überhaupt nicht voraussagen, wie sich jemanden verhalten wird.

 

Deswegen ist auch, worüber ich geschrieben habe, kein besonderer Fall, sondern es ist jemand, der der Überzeugung ist, das alles ist okay, er hat kein Problem damit, doch dieses Problem überfällt ihn. Ein Beamter, mit dem ich lange geredet habe, er hat auch solche Leute betreut, der hat mir zum Beispiel erzählt, es gibt tatsächlich Leute, denen passiert so etwas Extremes, es kommt nicht so oft vor, daß ein Polizist jemanden erschießt. Tatsächlich können die noch in der selben Nacht gut schlafen, unter der Voraussetzung, daß sie von sich glauben: Ich habe völlig okay gehandelt, ich konnte nicht anders handeln. Die können in der Nacht gut schlafen und machen am nächsten Tag ihren Dienst weiter und haben tatsächlich kein Problem damit. Nur niemand weiß das vorher. Wenn einer vorher denkt, er bekäme keine Probleme, ist er nicht davor sicher, daß ihm das nicht doch passieren wird, daß ihn sozusagen das Erschießen nicht doch als Problem überfallartig anfällt.

 

 

Wer ist in Ihrem Roman Ihre Lieblingsfigur und wen können Sie selber nicht leiden?

 

Ach (lacht lange). Ich mag einige sehr gerne, ich kann viele nicht leiden. Ich sag jetzt mal, meine sehr geschätzte Nebenfigur ist eine Kellnerin, die nur zweimal vorkommt, aber das Wichtige ist eigentlich, daß Sie zweimal vorkommt. Sie ist eine totale Kunstfigur, denn es ging nicht darum, Kellner realistisch zu schildern, sondern sie hat eine spezielle Funktion auf einer völlig abgehobenen Ebene. Es sind nur zwei kurze Szenen und in der zweiten unterhält sie sich auch noch über völlig abseitige Filme mit der Hauptperson. Aber ich fand's trotzdem auf eine gewisse Art schlüssig. Also, die fand ich sehr interessant. Vielleicht habe ich nur vergessen, dies im Roman deutlicher zu machen.

 

Wen ich nicht leiden kann,das wäre komisch zu sagen. Irgendeinen von den Bösen, die da herumlaufen.

 

 

Also fast alle?

 

Das ist gut, das ist wirklich gut. Das ist ja immer die Frage, da wüßte ich jetzt auch keine Antwort, aber die Frage ist eigentlich interessant. Ist dieser Polizist eigentlich zu positiv dargestellt oder ist der böse oder was ist er? Ich könnte das selber gar nicht genau beantworten.

 

 

Sprache ist ja verräterisch, bzw. mehrdeutig. Ihr Robert Fallner fällt aus der Bahn, was durch Bahnfahren wieder geheilt werden soll, will also mit der Bahn wieder in seine Bahn gelangen.

 

Hm, Sie interpretieren viel, aber es stimmt auch alles. Ich wüßte jetzt auch nichts anderes zu sagen. Ja. Ja, so ist es?

 

 

Haben Sie eine Jahreskarte der Bahn – für mich ein nicht finanzierbarer Traum – selber genutzt?

 

Nein.

 

Eigentlich sollte die Bahn Ihnen doch eine Freikarte geben, denn sie kommt doch – abgesehen von Verspätungen wie heute wieder – gut bei Ihnen weg.

 

Ich finde auch, daß sie gut wegkommt, aber wir wissen ja jetzt nicht, was die dazu sagen. Da bin ich mir jetzt nicht so sicher, ob die Geschichte dort gut ankommt.

 

 

Das müßte ich also bei der Bahn nachfragen.

 

Der Punkt ist ja, wenn man jetzt fragen würde, was hat das mit mir zu tun, in dem Punkt bin ich natürlich mit meiner Hauptperson identisch. Ich glaube, auf die Idee mit den Zügen kommt man nur, wenn man eigentlich Fan ist von Zügen. Da kam natürlich seit Jahren die Idee, ich wollte das mal machen, weil ich Züge tatsächlich sowohl faszinierend finde und auch Bahnhöfe und Bahnhofsgegenden, als auch abenteuerlich und ...einfach ein guter Ort, um...ich finde, es ist die einzige akzeptable Art, gewisse Strecken zu reisen, sozusagen in ganz Deutschland, genau, da treffe ich mich mit dieser Figur und da sagt er auch einiges, was im Grund sehr persönlich ist, so von mir aus, egal, ob das jetzt eine Szene ist, ich glaube, das kommt mehrmals vor, wo er sagt, daß ihm Hooligans total auf die Nerven gehen. Oder auch Leute in Situationen, die jeder kennt, der ein bißchen mehr Zug fährt, wie diese Leute, die immer jemanden anquatschen müssen und und und. Das alles trifft sich natürlich auf eine Weise, da bin ich eben mit dieser Buchperson vollkommen identisch.

 

 

Bahnfahren haben wir gemeinsam. Wir haben noch etwas gemeinsam – vielleicht. Sie sind ein Verehrer von Johnny Cash oder nur allgemein von dieser Musik?

 

Ich bin schon ein Verehrer von Johnny Cash und von dieser Musik kann ich das gar nicht so pauschal sagen, aber sicher von dem johnnycashartigen Teil dieser Musik.

 

 

Gibt es etwas, was Sie gerne von uns gefragt worden wären?

 

Das fällt mir jetzt nicht ein. Ich habe auch nicht den Eindruck, daß Sie – was ja durchaus vorkommt – irgendetwas Wesentliches übersehen hätten.

 

 

 

P.S. Das wollten wir eigentlich gar nicht abdrucken, aber dachten uns dann, auch wir hören gerne Lob, ob es stimmt oder nicht.

 

Noch ein P.S. Der Witz an diesem Interview über DER BULLE IM ZUG war dann, daß der Autor zum ausgemachten Termin auf der Buchmesse nicht da war, nicht da sein konnte – weil die Bahn Verspätung hatte! Allerdings eine, die sich überbrücken ließ, aber immerhin ein guter Auftakt für das Gelächter zu Beginn des Gesprächs war.

 

FOTO: Martina Ober

 

 

INFO:

 

Franz Dobler, Ein Bulle im Zug, Tropen Verlag 2014