Stefan Ahnhem, UND MORGEN DU, Hörbuch Hamburg

 

Elisabeth Römer

 

Hamburg (Weltexpresso) – Ehrlich gesagt ist das ja ein richtiger Langweiler, dieser Kommissar Fabian Risk, der in Stockholm Mist gebaut hat, und nun in die Provinz geht, klar eine Degradierung, aber auch eine Chance für seine Ehe, denn die wackelt.

 

Das zeigen die Kinder, der müde und rüde Theodor, der seit der Pubertät den Eltern Schweigen bietet, selbst die lauteste Rap-Musik hört; die zehnjährige Matilda dagegen ist der ganze Schatz des Vaters, sie wird zumindest per Küsse und Umarmungen wahrgenommen, denn abwesend ist der Vater ständig. Zur Abwesenheit in Gedanken kommt dann auch noch die der Wirklichkeit hinzu. Statt Urlaub, denn der Dienst in seiner Heimatstadt Helsingborg sollte erst im nächsten Monat beginnen, muß er gleich einsteigen.

 

Der Mord an einem ehemaligen Mitschüler, dem beide Hände abgehackt wurden, erzwingt das, denn niemand kennt sich da so aus wie er. Was sich steigert, als der nächste Tote gefunden wird. Waren das jetzt die Füße oder die Augen oder...die Reihenfolge ist nicht so wichtig, wie die Erkenntnis, daß alle Toten aus derselben Klasse stammen, aus der des Fabian Risk. Schnell – wir denken dann immer mit – wird klar, daß es um Rache geht. Aber nicht im alttestamentlichem Sinn: Aug um Aug, sondern eher psychoanalytisch. Daß nämlich der mit den fehlenden Händen in der Schulzeit sehr übel zugeschlagen hat und der ohne Füße einst derb getreten hatte – und Augen sind auch klar, vor allem, wenn sie weg sind: da wollte einer nichts sehen, beziehungsweise hat Gemeinheiten, ja Verbrechen übersehen.

 

Aber was heißt Rache? Fabian Risk erinnert sich nach und nach an die schulischen Szenen, die unerträglich waren, sich aber fest in seinem Gedächtnis, nachdem es erst einmal angetickt wurde, eingegraben hatten, nicht nur, weil ein Junge aus der Klasse diese überbordende Gewalt als Opfer ertragen mußte, sondern eben auch, weil auch Risk, der ja alles gesehen hatte, schwieg. Das wird in diesem Krimi, der so spannend ist, daß man ab und zu die Lesung unterbricht, weil die eigenen Nerven angespannt sind, das Thema das Buches werden: wer bei Gemeinheiten zuschaut, wer Gewalt zuläßt, macht sich mitschuldig.

 

Also gibt es gute Gründe für das Mobbingopfer aus der Schulzeit, sich im Nachhinein zu wehren. Da gehen wir als Leser noch mit, weil es keine Kleinigkeiten sind, die da passiert waren. Aber als Äquivalent für das Ermorden einer ganzen Klasse? Daß dies die Absicht des also nun bekannten Täters X ist, ist schauerlich. Macht uns aber aus einem anderen Grund als geübter Krimileser mißtrauisch. Zu offensichtlich ist die Sache. Wenn man weiß, wie geschickt der Täter vor allem die technischen Vorrichtungen für die Morde plante, muß es sich um ein Genie handeln – und es kommt, wie es kommen muß, der Verdächtige mit den starken Motiven ist es nicht. Ist selber auf einmal umgebracht.

 

Da schlägt's nicht nur Dreizehn, sondern 23 oder wie viele in der Klasse waren. Und tatsächlich nimmt UND MORGEN DU da noch einmal Fahrt auf, daß es sich gewaschen hat. Denn der Mörder, es ist wirklich ein einziger Mörder, der hier sein Spiel treibt, war tatsächlich in dieser Klasse. Aber sein Motiv ist ein ganz anderes als die Gewalt der Mitschüler gegen den anderen. Den der wirkliche Mörder übrigens genau so wenig verteidigt hat wie alle anderen. Sein Motiv, nein, das dürfen wir hier noch nicht verraten, aber, lieber, uns auf die Folter der Spannung treibende Krimischreiber Stefan Ahnhem, mit Verlaub, dieses Motiv ist für den Mord an einer ganzen Klasse im fortgeschrittenen Erwachsenenleben schon etwas dünn. Wir vermißten beim Motiv einfach die Kraft der Rache, die dazu führt, daß so viele Menschen dran glauben müssen. Am Ende nicht alle. Auch der Kommissar überlebt, schließlich soll das ja der Auftakt einer ganzen Serie um ihn werden, sogar sein Sohn, der im Krimi eine besondere Rolle spielt und mit dessen Tagebucheinträgen uns der Autor ganz schön foppt.

 

Man mag kaum glauben, daß dies ein Debüt als Krimischriftsteller ist. Und obwohl es wirklich so ist, merkt man die, dem 1966 geborenen Ahnhem seine Erfahrung als Drehbuchschreiber an, unter anderem für Filme der Wallanderreihe. Wenn der Sprecher des Hörbuchs, David Nathan, also über UND MORGEN DU sagt: „Ich hatte schon lange nicht mehr so einen guten schwedischen Krimi vor mir auf dem Tisch liegen..., so können wir das gut nachvollziehen. Der Roman ist einfach rund, weil nicht nur die Krimihandlung spannend verläuft, sondern wir vom Leben der Leute in Schweden viel mitbekommen.

 

David Nathan als Sprecher macht genau das, was widersinnig klingt, aber genau das gute Hören ausmacht: man vergißt ihn. Man vergißt den Sprecher, weil der einen so undramatisch, aber so zwingend in den Verlauf der Handlung verstrickt, daß er nicht ablenkt, sondern hinlenkt in gewisser Weise. Daß er die deutsche Synchronstimme von Johnny Depp ist, wußten wir nicht, zeigt aber die Bandbreite seiner Stimme und seines Einsatzes. Wir freuen uns auf mehr.

 

Info:

Stefan, Ahnhem, UND MORGEN DU, ungekürzte Lesung, 2 mp3-CDs, Laufzeit ca. 900 Minuten, gelesen von David Nathan, Hörbuch Hamburg, September 2014

 

Stefan Ahnhem macht eine Lesereise durch den deutschen Norden:

 

28.10.2014 New Yorker Musische Akademie im CJD, Braunschweig

30.10.2014 Leuenhagen & Paris Buchhandlung, Hannover

31.10.2014 Kunstquartier, Hagen