ARTHUR MILLER – DIE HÖRSPIEL-EDITION aus dem Hörverlag
Helmut Marrat
Hamburg (Weltexpresso) - Der Hörverlag hat in diesem Jahr – zum 100. Geburtstag Arthur Millers - eine bemerkenswerte Hörspiel-Edition seiner Theaterstücke und Hörspiele herausgebracht.
Arthur Miller wurde 1915 in Harlem/New York geboren, das damals ein noch eleganter, teurer Stadtteil war. Durch den Zusammenbruch der New Yorker Börser 1929 verlor die Familie ihr Vermögen und musste nach Brooklyn umziehen. Aber auf geistigem Gebiet konnte sich der junge Arthur Miller weiter entwickeln.
Diese CD-Sammlung befindet sich in einer ansprechenden Box, die im Stil der 1950er Jahre aufgemacht wurde. Sie enthält 11 Hörspiele und einen Originalton-Mitschnitt einer Lesung Arthur Millers von seinem berühmtesten Stück, dem „Tod eines Handlungsreisenden“. - Miller schrieb sein erstes Stück mit 19 Jahren während seines Studiums an der University of Michigan, das den Titel „No Villain“ - „Kein Schurke“ trug und bereits mit einem Preis (dem Avery Hopwood Award) bedacht wurde. - Aufgrund dieses Erfolges wechselt er sein Studienhauptfach vom Journalismus in Englische Literatur.
Während des 2. Weltkriegs war Miller wegen einer Sportverletzung vom Wehrdienst freigestellt, schrieb aber für eine New Yorker Werft, die Flugzeugträger und andere Kriegsschiffe baute, ermunternde Hörspiele, die bei CBS gesendet wurden. - 1947 erlebte „All my sons“ („Alle meine Söhne“) seine Uraufführung am Broadway. Die Regie führte Eliza Kazan (1909 – 2003), künstlerisch hochbegabt, menschlich und politisch aber, um es zurückhaltend auszudrücken, äußerst unzuverlässig. Das Stück erlebte 328 Aufführungen und bedeutete für Miller den Durchbruch. Der Erfolg wurde durch den Tony Award, den seit 1949 verliehenen Theaterpreis, der im Theaterreich dem Oscar des Filmreichs entspricht, noch bestätigt und erhöht.
Zwei Jahre später, 1949, erlebte „Der Tod eines Handlungsreisenden“ / „Death of a salesman“ seine Uraufführung in New York, wieder inszeniert von Elia Kazan. Noch im selben Jahr wurde das Werk mit dem Pulitzerpreis (verliehen seit 1917), dem höchsten US-amerikanischen Literaturpreis, ausgezeichnet. - Wichtig für Millers Werk ist auch „Die Hexenjagd“ / „The Crucible“, uraufgeführt 1953 in New York. In diesem Stück verarbeitete Miller seine Erfahrungen mit der McCarthy-Ära, in der vor allem die US-Film- und Medienindustrie vom Kommunismus gesäubert werden sollte; eine Begleiterscheinung des Kalten Krieges mit der Sowjetunion und ihrem Rüstungswettlauf auf der Erde und im All.
Im Gegensatz aber etwa zu Elia Kazan war Miller, selbst Mitglied der CPUSA, der kommunistischen Partei der USA, nicht bereit, die Namen von Kollegen und Freunden preiszugeben. Kazans Verhalten vor dem Untersuchungsausschuss für unamerikanische Umtriebe hatte dieses Stück und damit den Bruch der beiden ausgelöst. - Einige Jahre später wurde Miller ebenfalls vor diesen Untersuchungsausschuss vorgeladen und aufgrund seiner Weigerung zur Aussage zu einer Geld- und Gefängnisstrafe verurteilt. Das Urteil wurde 1958 wieder aufgehoben. - 1956 heirate Miller die begehrenswerteste Schauspielerin der USA: Marilyn Monroe. Die Ehe wurde 1961, wie Billy Wilder, der während der Dreharbeiten zu „Manche mögen's heiß“ (1959) entsetzlich unter der Monroe gelitten hatte, nicht ohne Schadenfreude feststellte, nach Millers und Monroes gemeinsamem Film „Misfits“ („Nicht gesellschaftsfähig“) geschieden.
„Der Preis“ / „The Price“ von 1968, eine Abrechnung über das Leben zweier Brüder angesichts des Todes der Eltern und des Preises, der für die hinterlassenen Möbel zu erzielen sind, ist in der Kassette ebenfalls enthalten. Vermisst habe ich nur den „Zwischenfall in Vichy“ von 1965, das ein jüdisches Schicksal 1942 in Vichy, dem Ausweichregierungssitz des unbesetzten Frankreichs behandelt, dessen deutsche Erstaufführung Professor Willi Schmidt am Hamburger Thalia Theater in Zusammenarbeit mit den Festspielen in Recklinghausen inszenierte und wovon es einen sehr hochwertigen Mitschnitt gibt.
Aber die Box ist allemal gut gefüllt – und es gibt vieles zu entdecken. Die Hörspiel-Fassungen der Stücke sind mit sehr guten Schauspielern besetzt. Um nur einige Namen zu nennen: Hans Quest (der die Uraufführung von Wolfgang Borcherts „Draußen vor der Tür“ spielte); Max Eckard, Solveig Thomas und Heinz Drache aus dem Ensemble von Gustaf Gründgens; Hans Paetsch (der in „Winnetou“ dessen Vater sprach); Franz Schafheitlin, einen Spezialisten für strenge, sachlich-humorlose Figuren; Joseph Offenbach, der an einen nörgelnden Zwerg erinnerte; Mathias Habicht ist dabei wie auch der elegant-noble und gleichzeitig halbseiden wirkende Peter Fricke und nicht zuletzt Michael Habeck, der in der Rolle des „Puck“ in Shakespeares „Sommernachtstraum“ an den Münchner Kammerspielen 1983 berühmt wurde, und zuvor schon die Synchronstimme von Oliver Hardy war.
Gehört habe ich zu allererst die Hörspiel-Fassung vom „Tod eines Handlungsreisenden“; Hessischer Rundfunk 1950. Dieses Stück, das von unser aller Überforderung durchs Berufsleben handelt, ist von immer erneuter Aktualität. Es beschäftigt und bedrückt einen. Und man nimmt voll Bewunderung an seinem Aufbau und Ablauf teil. Die Hauptfigur ist ein Familienvater, Willy Loman, ein Vertreter, der alt geworden ist und kaum noch Erfolge vorzuweisen hat. Einst sah er, als junger Mann, einen alten Vertreter, 84 Jahre alt, der alle seine Verkäufe von seinem Hotelzimmer über das Telefon mit großem Erfolg abwickelte. Diese zentrale Stellung, sozusagen vom Hotelzimmer aus die Welt regierend, ist ihm nie gelungen. Stattdessen wurde er in einem Hotelzimmer von seinem Sohn Biff bei einem Seitensprung ertappt. Ihr Verhältnis ist seitdem durch gegenseitige Scham zerrüttet.
„Nach dem Sündenfall“ heißt ein anderes Stück von Arthur Miller (von 1963) – und genau das ist hier passend. Biff, der sein Liebling war, der ihm nachstrebte, hat sich seitdem fallen lassen. Den Tiefpunkt, eine Gefängnisstrafe wegen Diebstahls, hat er, wie wir im Laufe des Stücks erfahren, gerade hinter sich. Das Stück führt die ganze Familie noch einmal zusammen: Den Vater, der sich nicht mehr getraut, zu seinen Kunden aufzubrechen, auch weil er nicht mehr sicher fährt; und dann die beiden Söhne, die nichts geworden sind; neben Biff: Happy, mit dem sprechenden Namen, der zum Schürzenjäger wurde. (Hier liefert Miller aber keine psychologische Begründung; zumindest ist sie im Hörspiel ausgespart.) Und nicht zu vergessen die Mutter, die alle Gegensätze, die sie wahrnimmt, aber deren Ursache sie nicht begreift, zu glätten versucht.
Willy Loman verliert sich dazwischen immer wieder in Selbstgespräche mit seinem Bruder, der als junger Bursche in den Dschungel ging und nach wenigen Jahren als Millionär aus ihm zurückkehrte. Ob es diesen Bruder je gab oder ob er eine Erfindung des Handlungsreisenden ist, bleibt offen, ist aber auch zweitrangig. Entscheidend ist, dass er sich immer wieder an diesem Unerreichbaren misst und scheitert. Es geht nicht ohne Geld! Die Familie muss unterhalten werden. Das Haus abbezahlt, der neue Kühlschrank, die Waschmaschine; für all das hat Willy Loman aufzukommen – und seine Erfolgsprämien sind längst eingebrochen. Deswegen bemüht er sich um einen Posten im Büro seiner Firma. Der junge Chef, den er einst auf seinen Armen gehalten hatte, ist aber an Loman nicht mehr interessiert. Sein Vater war da ganz anders. Was nützt es jetzt! Lomans Besuch bei ihm wird ein Fiasko: Er wird entlassen, weil der neue Chef seine Firma durch ihn nicht mehr vertreten lassen will.
Das Stück ist auch eine Kritik an dem Mangel an sozialer Absicherung in den USA. Die Menschen werden behandelt wie die Waren, wie Wegwerfgegenstände. „Hat man die Sachen abbezahlt, dann sind sie im Eimer“, klagt Loman seiner Frau einmal. Mit den abgenutzten, verbrauchten Menschen verhält es sich nicht anders. Einen Ausweg sieht Willy Loman nur darin, sich das Leben zu nehmen. Ein Schlauch am Gashahn wird von der Mutter entdeckt – und von seinem Sohn Biff entfernt. Die Freude der Mutter darüber, dass dieser Schlauch plötzlich verschwunden ist, was sie für ein gutes Zeichen ansieht, das ihr Hoffnung macht, alles werde doch noch einmal gut, erweist sich als Irrtum. Willy Loman begeht Selbstmord. Flüchtet sich in den Selbstmord.
Im Stück begreift es die Mutter nicht, denn gerade zu diesem Zeitpunkt ist das Haus abbezahlt worden! - Die Hörspiel-Fassung gibt noch einen weiteren Schritt, der mir sehr wichtig scheint: Loman begreift plötzlich, dass sein Sohn Biff ihn trotz allem liebt. All seine Aggressionen gegen ihn, um eine vermutete vernichtende Äußerung von ihm beiseite zu schieben, erscheinen nachträglich als unnötig. So tauscht Loman am Ende die Scham gegen die Gewissheit der Liebe. Mit dieser Flamme, die dann in ihm wieder leuchtet, kann er gehen. - (Ähnlich wie zehn Jahre später, 1959, in Samuel Beckets „Das letzte Band“.)
Möglich, dass sich die Hörspiel-Regie diese Variante des Schlusses ausgedacht hat; möglich auch, dass sie bereits im Theaterstück enthalten gewesen ist. Das müsste man nachprüfen. - So macht es den Eindruck eines geretteten Lebens; das berührt. Der Selbstmord erfolgt demnach, um den Ertrag nicht wieder verlieren zu können. Der Mensch ist durch und durch erschöpft und hat das rettende Ufer gerade noch erreichen können.
Wie das Erich Ponto, der Peachum der Uraufführung der „Dreigroschenoper“, als Loman, sehr eindringlich auch Edith Heerdegen als Mutter, und wie das Günter Wagner und Robert Seibert als Söhne und – sonderbarerweise – Peter Frankenfeld, der spätere TV-Quiz- und Showmaster als im Traum erscheinender Bruder Ben machen, ist höchst eindrucksvoll und sehr dicht erzählt. -
FAZIT: Die Box ist also eine sehr spannende und sinnvolle Anschaffung.
Info: Die Arthur Miller – Hörspiel-Edition, erschienen im Hörverlag, enthält 11 CDs mit einer Gesamtspieldauer von 10 Stunden und 20 Minuten. Sie kostet Euro 39,99.