Oliver Becker, Das Raunen der Toten im Verlag ars vivendi
Martina Ober
Ingelheim (Weltexpresso) - Ein kalter Winterabend in einem kleinen Dorf unweit von Hannover in den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Dass diese Nacht todbringend ist, erfährt Choya, eine junge Indianerin, die das Schicksal aus ihrer Heimat Kanada weg in diese Einöde verschlagen hat.
An der Seite von Christian Falk ist sie hierhergekommen, um ein neues Leben zu beginnen. Eine Fehleinschätzung, wie sich bald herausstellt. Die finanziellen Nöte zwingen sie dazu, ihren Körper zu verkaufen, um mit Christian Falk halbwegs über die Runden zu kommen. Dass sie bei den Einheimischen ein Fremdkörper ist, ganz verständlich, aber dass sie Hassgefühle geweckt hat, muss sie in den letzten Minuten ihres Lebens erfahren, als sie nämlich während ihres Abendspaziergangs auf ihren Mörder trifft.
Ihr Tod trifft Falk schwer. Er war es schließlich, der Choya aus ihrer Heimat gerissen und in die dörflichen Gefilde Niedersachsens gebracht hat. Dass sein Einkommen nicht gereicht hat, sie beide über die Runden zu bringen, macht ihm am meisten zu schaffen. Die eintreffende Polizei stößt bei der einheimischen Bevölkerung auf eine Mauer des Schweigens. Sie versucht durch gezielte Verhöre, feinsäuberlich dokumentiert, das Verbrechen aufzuklären, kommt aber schlussendlich zu keinem Ergebnis.
Da sind es schon eher Falks radikale Methoden, die Männer des Ortes zur Rede zu stellen, die Erfolg versprechen. Unterstützung findet er in Vera, der Tochter des Großbauern Tegger, die vor Jahren weggegangen ist und nun als erfolgreiche Verlegerin zusammen mit Marcus, einem erfolglosen Schriftsteller, in die Heimat zurückgekehrt ist und in Falks altem Elternhaus wohnt. Vera ahnt, dass seinerzeit nicht alles mit rechten Dingen zuging, als Falks Vater sein Geld verlor an ihren Vater und Christian Falk nach dessen Tod mittellos zurückblieb. Sie will ihm jetzt helfen, wieder gutmachen vielleicht, was ihr Vater angerichtet hat.
Auch Tegger bemüht sich um Falk und bietet ihm eine Anstellung an. Was seine Motive sind, ist unklar. Ist es das schlechte Gewissen wegen der Geschichte mit Falks Vater damals oder ist er sogar verantwortlich für den Mord an Choya? Stimmt, der Mord an Choya tritt teilweise in den Hintergrund angesichts der Geheimnisse, die die Menschen umtreiben. Was hat es beispielsweise auf sich mit Marcus? Dass er ein Versager ist, ist uns bald klar. Nur, bei Vera dauert die Erkenntnis länger. Womit vertreibt er sich die Tage, wenn Vera ihren Verlag leitet. Wir vermuten es längst, nicht mit Schreiben, eher mit Besuchen bei Choya. Hat er sie aber deswegen umgebracht, oder war das vielleicht der Sonderling und Außenseiter Abel, von dem keiner was weiß, außer uns natürlich. Warum hat er Choyas Mantel nach ihrem Tod an sich genommen? Ist er deshalb gleich verdächtig? Ein Spießrutenlaufen setzt ein, dem Tegger als Institution im Ort ein Ende setzt mit einer Entscheidung, die nicht zwingend den Schuldigen straft, aber endlich wieder Ruhe schafft unter der Bevölkerung.
Fazit
Man muss sich einlesen in das Buch, das Düstere und teilweise Trostlose zulassen. Angefangen bei der Kleingeistigkeit der dörflichen Bewohner, deren Vorurteile und schnelle Gewaltbereitschaft sowie der Jahreszeit, die mit Kälte, Schnee und viel Dunkelheit einhergeht. Choyas Schicksal passt dazu. Ihr Tod und die Aufklärung des Verbrechens treten teilweise in den Hintergrund angesichts der verschiedenen Schicksale, die hier aufeinandertreffen. Auch die sich langsam entwickelnde Liebesgeschichte zwischen Vera und Christian Falk fügt sich in das Stimmungsbild harmonisch ein. Keineswegs euphorisch sondern äußerst vorsichtig entwickelt sich zwischen den beiden eine Beziehung, die am Ende viele Jahre Bestand haben soll. Kein oberflächliches Buch, das man so nebenher liest, vielmehr ein Stück Zeitgeschehen, aus einer Zeit, die uns fern ist und umso mehr gefangen nimmt.
Info:
Oliver Becker wurde im Jahr 1969 im Schwarzwald geboren. Heute arbeitet er bei einer internationalenWerbeagentur und lebt mit seiner Familie in Frankfurt am Main. Beckers erster RomanDas Geheimnis der Krähentochter erschien im Juli2010 und war der Anfang der Trilogie um die „Krähentocher“, einer Serie historischer Romane, mit der er bekannt geworden ist. Auch Krimis gehören zu seinem Repertoire. Zusammenfassend kann man sagen, Becker lässt sich nicht festlegen und bleibt deshalb spannend.
Oliver Becker , Das Raunen der Toten, Verlag ars vivendi, Januar 2015