Die Betrogene von Charlotte Link im Blanvalet Verlag

 

Martina Ober

 

Ingelheim (Weltexpresso) - Richard Linville, vor seiner Pensionierung ein hoch angesehener Polizist, missachtet alle Regeln der Vernunft, als er versucht, den nächtlichen Einbrecher auf eigene Faust zu stellen. Erst als er, grausam gefoltert, seinem Tod ins Auge blickt, weiß er, dass es mehr als nur ein gewöhnlicher Einbrecher ist, der ihn heimgesucht hat.

 

Sein Tod war vorher schon längst beschlossene Sache. Er kennt den Grund für den abgrundtiefen Hass des Mannes und nimmt sein Geheimnis mit ins Grab. Seine Tochter Kate trifft sein Tod schwer, sind sie und ihr Vater nach dem Tod der Mutter doch sehr eng verbunden und waren sich gegenseitig eine Stütze in der Einsamkeit.

 

Wie Kate es geschafft hat, als Ermittlerin bei Scotland Yard zu arbeiten, ist unverständlich. Zu unsicher und farblos ist sie, um berufliche Erfolge zu erzielen oder auch nur Menschen für sich einnehmen zu können. Sie weiß um ihre Defizite und will dafür umso mehr, dass der Mord an ihrem Vater, ihrer einzigen Bezugsperson, aufgeklärt wird. Sie lässt sich beurlauben, um die Ermittlungen aus der Nähe zu verfolgen.

 

Dass ihre Nähe Caleb Hale, dem leitenden Ermittler in diesem Fall, missfällt, ist klar. Verfolgt er doch mit seinem Team schon eine heiße Spur. Denis Shove heißt der Hauptverdächtige, der, von Linville seinerzeit ins Gefängnis gebracht, Morddrohungen ausgestoßen hat und nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis untergetaucht ist. Ihn zu finden hat oberste Priorität.

 

Was die verwitwete Melissa Cooper mit Richard Linville verbindet, ist zunächst unklar. Dennoch sucht diese völlig verängstigte Frau das Gespräch mit Kate. Sie fühlt sich schon seit geraumer Zeit verfolgt, wird aber nicht ernst genommen, nicht von den Söhnen und nicht von ihren Nachbarn. Zu diesem Gespräch wird es nicht kommen, da auch Sie, ähnlich wie Linville, grausam getötet an ihrem Arbeitsplatz, dem Sekretariat einer Schule, aufgefunden wird.

 

Mit diesem Verbrechen lichten sich aber die Nebel um das große Geheimnis von Kates Vater. Ihn verbindet eine mehrjährige Beziehung zu dieser Frau, die aus ungeklärten Gründen 12 Jahre zuvor geendet hat. Wie sich im Laufe der Ermittlungen herausstellen soll, kühlte zu dieser Zeit auch seine Freundschaft zu dem ehemaligen Polizisten Norman Dowrick ab. Dass die Ereignisse zu dieser Zeit zu den Verbrechen 12 Jahre später geführt haben können, damit rechnen wir schon. In welcher Verbindung Denis Shove dazu steht, erschließt sich uns noch nicht.

 

Shove, der sich unter dem Namen Neil Courtney neu eingerichtet und in der Wohnung von Terry, seiner neuen Freundin, Unterschlupf gefunden hat, verbringt nach wie vor seine Zeit damit, seine Umwelt, vorzugsweise Terry, zu tyrannisieren. Als er erfährt, dass Terry mit 16 Jahren ein Kind bekam, das sie zur Adoption freigegeben hat, sieht er eine Chance, seine knappen Ressourcen möglicherweise aus dem vermeintlichen Vermögen der Adoptiveltern des kleinen Jungen aufzubessern. So lernen wir die Familie Crane kennen. Jonas, Stella und der kleine Adoptivsohn Sammy geraten völlig unverschuldet in einen Strudel von Ereignissen, bekommen es mit menschlichen Abgründen zu tun, die ihnen bis dahin fremd waren und aus denen sie sich aus eigener Kraft nicht mehr befreien können. Sie verdanken es einzig und allein der Ermittlerin Jane Scapin, lebend aus der Geschichte rauszukommen.

 

Je mehr wir Denis Shove kennen lernen, seine Unberechenbarkeit und Gemeinheit, kommen uns dennoch Zweifel an seiner Verantwortung für die Ermordung von Linville und Cooper. Irgendwas stimmt da nicht. Da wir aber keinen anderen Verdächtigen im Visier haben, es geht uns wie der Polizei, halten wir eisern an unserem Verdacht fest.

 

Immer mal wieder denken wir an das Eingangskapitel und die Schilderung des kleinen Jungen von damals. Das muss der Schlüssel zur Aufklärung sein. Wir erkennen ihn sofort, als er uns angeboten wird und von da an geht es ganz schnell. Die Lösung ist klar, der Ausgang für die Protagonisten jedoch nicht.



Fazit:

Sehr spannend und temporeich erzählt. Mehrere Schicksale, parallel nebeneinanderher erzählt, lassen keine Langeweile zu und machen uns neugierig darauf, wie das alles zusammenhängt. Gleich zu Anfang der dramatische Einstieg mit dem Jungen auf dem Fahrrad. Natürlich wissen wir, dass alles Kommende seinen Ursprung findet im Schicksal dieses Jungen, den wir aber im Geschehen bis zum Schluss nicht wieder finden.

Das Ermittlerteam, keineswegs eine Heldenriege. Der Chef der örtlichen Polizei, Caleb Hale, dem nach seiner Entziehungskur nach eigener Auffassung der kriminalistische Spürsinn abhanden gekommen ist, versteift sich auf den untergetauchten Exsträfling Denis Shove in Ermangelung anderer Ideen. Kate Linville, die Tochter des ersten Mordopfers, fühlt sich als Versagerin im Beruf und im Leben. Verzagt macht sie sich auf, eigenen Spuren nachzugehen, nur um zu erkennen, dass ihr Vater nicht der war, für den sie ihn hielt. Verglichen mit diesen beiden scheint Jane Scapin aus ganz anderem Holz geschnitzt. Sie unterstützt Caleb Hale in seiner Vermutung, dass Denis Shove verantwortlich ist und leistet bei ihren Ermittlungen ganz Erstaunliches.

Trotzdem sind es am Ende Caleb und Kate, die in einem großen Finale die Zusammenhänge aufdecken. Leider erleben sie hier, jeder auf seine Art, eine herbe menschliche Enttäuschung, die die positive Sicht auf die Zukunft für beide verbaut. Happy End nicht vorgesehen.



Info:

Charlotte Link wurde 1963 in Frankfurt am Main geboren. Sie gehört zu den erfolgreichsten deutschen Autorinnen der Gegenwart An ihrem Erstlingswerk Die schöne Helena begann sie bereits mit 16 Jahren zu schreiben, sie konnte es dann mit 19 Jahren veröffentlichen.

Sie wurde sowohl mit Gesellschaftsromanen als auch mit psychologischen Spannungsromanen in englischer Erzähltradition bekannt. Die Titel Sturmzeit, Wilde Lupinen und Die Stunde der Erben sind eine Trilogie, die neben anderen Werken vom ZDF für das Fernsehen in dem Fünfteiler Sturmzeit verfilmt wurde. Der Roman Am Ende des Schweigens wurde 2004 in der Kategorie Belletristik für den Deutschen Bücherpreis nominiert, ihr 2000 erschienener Roman Die Rosenzüchterin führte mehrere Wochen die Spiegel-Bestsellerliste an. Die Gesamtauflage ihrer Romane liegt bei über 20 Millionen.

2014 erschien ihr Buch über die letzten Jahre ihrer an Krebs erkrankten Schwester Franziska, die sie während ihrer Krankheit begleitete.



Carlotte Link , Die Betrogene, Verlag Blanvalet, September 2015