Jo Nesbø, Blood on Snow, Teil 1: DER AUFTRAG, Ullsteinverlag und Hörbuch Hamburg

 

Claudia Schulmerich

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Gebannt hatten wir zugehört. Jetzt ist das Ende da: Obwohl der Profi-Killer, der sich uns als Gutmensch andient, bisher alle anderen ausschalten konnte, muß er nun daran glauben: der Icherzähler wird erschossen, stirbt. Dann auf einmal spricht er auf der CD weiter, aha, er trug ein Kettenhemd. Aber jetzt, jetzt erfriert er. Aber schon wieder spricht er weiter.

 

Solche Spannungen ergeben sich beim Hören, weil wir wirklich dreimal hintereinander immer denken: jetzt ist es mit ihm aus. Schluß. Denn wenn er im Buch das erste Mal am Ende von Kapitel 19, Seite 156 stirbt: „Ein letzter Wunsch zu Weihnachten, Däne. Nicht ins Gesicht. Bitte.“ Ich sah, daß er zögerte. Dann nickte er wieder. Senkte den Lauf der Pistole etwas. Ich schloß die Augen. Hörte die Schüsse. Spürte die Projektile in mich einschlagen. Zwei Bleikugeln. Genau dort, wo bei normalen Menschen das Herz ist.“ - dann sehen wir doch an den noch zu lesenden Buchseiten, daß wir längst nicht zu Ende sind.

 

Wir hatten es eher zufällig völlig richtig getroffen. Das Buch zu lesen, angefangen, gehört, gelesen und den Schluß gehört. Mit Kapitel 20 klärte sich dann auf, warum er doch nicht tot ist, unser, uns ans Herz gewachsene Auftragsmörder, weil ihn der Autor uns vordergründig so harmlos, naiv und verständnisheischend nahebringt, daß man gar nicht anders kann, als auf seiner Seite zu stehen; denn die andere Seite haben die noch viel grausameren, ganz bösen Auftragskiller und ihre Auftragsgeber besetzt. In Kapital 21 heißt es aufklärend: „Das Kettenhemd hatte die Schüsse in Rücken und Brust gut abgefangen, nicht aber den in den Oberschenkel.“ Der tut Olav jetzt also weh und blutet stark. Wir verstehen, warum er weiterlebt und: nein, sterben wird er daran nicht.

 

Und dann heißt es am Ende von Kapitel 20: „Ich nickte und holte tief Luft. Dachte, daß ich jetzt sterben kann, Mama. Denn mehr muß ich nicht schreiben. Einen besseren Schluß für die Geschichte gibt es nicht.“ Also gut, im Einvernehmen mit seiner Liebsten darf Olav jetzt in ein besseres Leben eintreten. Und während wir noch denken, was ist denn mit dem Nesbø passiert: so ein Kitsch!, ist schon wieder nicht Schluß, die Lesestimmer verführt uns nur dazu. Der Buchleser aber kann diese Raffinement gar nicht nachempfinden, denn, wenn weitere Buchseiten kommen, weiß man, da ist noch was. Das wird jetzt natürlich nicht verraten, der dritte, der endgültige Schluß, schließlich müssen wir doch auch erst einmal mit dem Anfang anfangen.

 

Er lullt uns bald ein, Olav, der Auftragskiller, der uns sanft von sich erzählt und wie er es so macht, im Leben durchzukommen. Von Anfang an schwingt mit, daß es da etwas mit seiner Mutter gibt und dem Vater, der schlagend die Familie tyrannisierte, den die Mutter aber liebt. Und, daß er gerne dient, dieser Olav, daß er sich gerne unterwirft, das wissen wir auch von Anfang an, denn dieser Einschmeichler kokettiert mit seinen mangelnden Lese- und Schreibkenntnissen genauso wie mit fehlender Bildung und er sucht sich den Weg in unser Herz, unser Verständnis durch die kleinen Tricks, wie Autor Jo Nesbø diesen zu kurz gekommenen Olav als Ritter der Romantik darstellt, ihn als Sehnsüchtling nach Liebe, ja das auch, aber vor allem sehnsüchtig nach dem Wissen der Welt, sehnsüchtig nach europäischer Bildung zeigt.

 

Wir sind im Oslo der 70er Jahre, als Lese-Rechtschreibschwächen und unterprivilegierte Bildungsverlierer noch richtig bedeutsame gesellschaftliche Themen waren, wie auch der Unterschied von Arm und Reich. Klassisch gehört nämlich Olav zu den Verlierern, denn er kann einfach gar nichts. Das hat er durch Erfahrung im kriminellen Milieu inzwischen gelernt: keine Fluchtwagen fahren, keine Raubüberfälle, keine Prostitution, keine Drogen. Aber er kann schießen und sieht harmlos und unauffällig aus. Also bleibt nur, Auftragsmörder zu sein. Das sehen wir ein. Und da er gerne im Auftrag anderer handelt, gerne die Vorgaben anderer ausführt, ist seine Tätigkeit nicht nur eine gewinnbringende, sondern auch eine ihn zufriedenstellende. Wenn da nicht nur die Sehnsucht nach mehr wäre, die ihn verführt, Ehefrauen von Opfern, also denen, die er im Auftrag erschossen hatte, aus Mitgefühl sein Auftragsgeld heimlich zuzustecken und solche Sperenzchen.

 

Das geht so lange gut, bis Daniel Hoffmann, sein Auftraggeber ihm befiehlt, seine eigene Frau Corina zu ermorden. Die habe einen Liebhaber. Und was dann passiert, ist packend, überraschend, mehrschichtig – und kurz! Denn einen Nesbø über nur 187 Seiten gab es auch noch nicht. Hier langt es. Es ist eine gut komponierte Geschichte, die nicht jeden Tag passiert und wie der Titel andeutet, der erste Teil vom SCHNEE, der im nächsten März weiterfällt mit: DAS VERSTECK.

 

P.S. Man sieht das Geschehen vor dem inneren Auge. Das heißt, Nesbø schreibt von sich aus 'filmisch'. Es muß einen nicht wundern, daß die Filmrechte längst erworben wurden: von Leonardo DiCaprio!

 

 

Info:

 

Jo Nesbø, Blood on Snow, Der Auftrag, übersetzt von Günther Frauenlob, Ullstein Verlag September 2015

 

 

Jo Nesbø, Blood on Snow, Der Auftrag, Ungekürzte Lesung mit Sascha Rotermund, 4 CDs, 237 Minuten Laufzeit, erschienen am 25. 9. 2015