Mit dem Erzählungsband „Lagebericht“ legt der Jüngerforscher Tobias Wimbauer sein literarisches Debüt vor

 

Alexander Martin Pfleger

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - In seinem 1990 entstandenen und 1994 veröffentlichten Kurzroman „Durach“, einer Art Persiflage auf Dantes „Göttliche Komödie“, transponiert in die Gefilde der Berliner Bohème Ende der 1980er Jahre, läßt Helmut Krausser seinen Ich-Erzähler die Überlegung anstellen, daß nur mehr wenige Menschen wirklich etwas zu sagen hätten. Das Sprechen sei lediglich ein aufklärerisches Relikt, alles Reden beschränke sich mittlerweile auf Kommentare, und an die Stelle der Aussage sei der Spott getreten.

 

Nur noch Paradiesvögel mit hoher medialer Ausstrahlungskraft, ausgewiesene Experten oder Gurus dürften es noch wagen, eindeutig wertende, für sich stehende Sätze bar des Sarkasmus, der Hyperbel oder der Ironie zu äußern, ohne dabei Gefahr zu laufen, der Provinzialität geziehen zu werden. „Ich bin mir sicher, spätere Generationen werden über den modernen Spötter genauso mitleidig urteilen wie über den Schwärmer, Sektierer oder Dogmatiker. Vor diesem Hintergrund entwarf ich die angetrunkene Theorie, daß nur aus Größenwahn noch Größe und nur aus Geniekult noch Genie entstehen könne, in unsrer filmhaften Realität, in der Verstellung zur Natur wird.“

 

Das geschilderte Dilemma verstand Krausser unter Fortführung disparater literarischer Traditionslinien und mittels Assimilierung divergierender Einflüsse – sie mochten mit Namen wie John Fante oder Charles Bukowski, Knut Hamsun oder Jörg Fauser, Louis-Ferdinand Céline oder Ernst Jünger mehr oder minder hinlänglich bezeichnet sein – in seinem eigenen Schaffen zu meistern, zumindest in seinem Frühwerk: Der Hagen-Trinker-Trilogie, einigen Kurzgeschichten und dem „Durach“. Mittlerweile hat Krausser Schule gemacht, mehr noch: Die jüngere deutschsprachige Literatur ist voller Möchtegerntitanen, die unter der Zwangsvorstellung leiden, Helmut Krausser zu sein. Helmut Krausser erwies sich in den letzten Jahren allzu oft selbst als von diesem Syndrom befallen, wußte jedoch bei aller kunstgewerblichen Verkrustung immer wieder unter Beweis zu stellen, daß er auch tatsächlich Helmut Krausser sei.

 

Tobias Wimbauer, der bislang vorwiegend auf dem Gebiet der Forschung zu Leben und Werk Ernst Jüngers in Erscheinung getreten ist, insbesondere als Autor eines Personenregisters zu Jüngers Tagebüchern, als Entdecker eines unbekannten Briefes von Paul Celan an Jünger sowie mit seiner Neudeutung der berüchtigten Burgunderglasszene, hat mit seinem Erzählungsband „Lagebericht“ ein literarisches Debüt vorgelegt, dessen Titelgeschichte eine Schriftstellerexistenz thematisiert, worin die Krausser´schen Reflexionen auf geradezu ans Parodistische grenzende Weise zu kulminieren scheinen. Wimbauers Ich-Erzähler Manuel (eine Replik auf Jüngers Eumeswil?) zelebriert seine Schreibkrise nach allen Regeln der Kunst: Zappen durch Talkshows, die selbstverständlich unter seinem Niveau sind, Reflektieren über – na logo! – Provinzialität (Berlin dünkt ihm ein Kuhdorf-Mosaik, das Weltstadt sein möchte, aber nicht echt wirke) und subtiles Unterlaufen der (Spieß-)Bürgerlichkeit qua samstäglichen Rasenmähens und Autowaschens: „Indem du ihre Gewohnheiten mit gespielter Ernsthaftigkeit ausführst, schlägst du ihnen ihr gewöhnliches Leben in´s wohlrasierte Gesicht. Die merken den Unterschied nicht einmal. Bürgerlichkeit ist eine perfekte Fassade.“ Antibürgerlichkeit, möchte man hinzufügen, selbstverständlich auch.

 

Manuel übt sich zudem in politischer Unkorrektheit (möglicherweise eine selbstironische Replik Wimbauers bezüglich seines langjährigen Engagements im Dunstkreis der „Neuen Rechten“?): Eine Studentin „aus Königsberg“ sucht „Anschluß“, und das Haus seines Freundes Elmar wurde zur Zeit des Deutsch-Französischen Krieges erbaut – „des siegreichen, natürlich“!

 

Auch führt er eine nicht unoriginell anmutende „Rechtfertigung“ des Erzählens in der ersten Person Singular an – „…wovon soll man denn heute sonst noch erzählen, wenn nicht von sich selbst?“

 

Abwechslung von diesem Dasein inmitten geklonten Mittelmaßes und lauter Kopien von Kopien bieten diverse sexuelle Ausschweifungen sowie das Gesuch eines befreundeten Antiquars, für ihn nach England zu fliegen, um dort in den Besitz eines seltenen Traktats aus der Zeit der Renaissance, „De Cognitionis“, zu gelangen. In England erfährt Manuel, daß ihm das Traktat bereits von einem japanischen Sammler namens Kobayashi (Der „Zorn des Khan“ läßt grüßen – Noonian Singh, wohlgemerkt, nicht Oliver!) weggeschnappt wurde. Die Handlung beginnt sich zu verwirren – Manuel erstickt Kobayashi, immer mehr Hinweise auf das geheimnisvolle „Philebos“-Projekt häufen sich, woran Elmar mitarbeite, und schließlich deutet sich gar an, daß Manuel und Elmar miteinander identisch sein dürften. Alles nur Wahnvorstellungen des Ich-Erzählers?

 

Der „Lagebericht“, mit seinen rund 60 Seiten der mit Abstand längste Text des Buches, läßt sich als Reportage aus dem Innern eines nur mehr zitathaften Seins interpretieren, oder besser gesagt: Aus jener Grauzone zwischen geistvoll plaziertem Zitat und platter Kopie. Seinen Fragmentcharakter verleugnet der Text nicht. Man könnte ihn zusammenfassend als kalkulierte literarische Kraftmeierei bezeichnen, ohne sogleich eine Wertung ausgesprochen zu haben. Wimbauer läßt einerseits metaphorisch die Muskeln spielen und signalisiert ein nicht zu übersehendes „Das kann ich auch!“, dürfte sich aber zugleich der unfreiwilligen Komik, der „Provinzialität“ der zur Schau gestellten Pose, bewußt geblieben sein und sich taktisch klug im entscheidenden Moment hinter den Schutzwall der Ironie zurück- sowie im Text vielleicht zum letztmöglichen Zeitpunkt die Notbremse gezogen haben.

 

Inwiefern wir es hier mit einem freiwilligen Krausserimitat zu tun haben, das der Autor abbrach, als es witzlos zu werden drohte, oder um einen ernsthaften Ansatz, den der Autor zunächst naiv zu entwickeln bestrebt war, bis in ihm die womöglich erst spät erfolgte Krausserlektüre die Befürchtung der Gefahr des Epigonalitätsverdachts aufkeimen und ihn das Projekt aufgeben ließ, sei dahingestellt. Unterm Strich bleibt von der Titelgeschichte der Eindruck eines in jedem Falle lesenswerten Experiments, das sowohl Erinnerungen an „Durach“ und „Fette Welt“ wie auch an Jorge Luis Borges und Umberto Eco, hier und da auch an Philip K. Dick, Bret Easton Ellis, Thomas Harris und Stephen King wachruft, über dessen Gewaltexzessen und Sexszenen wahrscheinlich schon im Augenblick ihrer Niederschrift das Siegel der Überholtheit prangte, die indes im Kontext ihre Funktion behaupten, und dessen zahlreiche Bonmots möglicherweise die Geschichte selbst zu überleben angetan sein könnten. Man folgt hier einem Balanceakt über vermintem Terrain – der Absturz in die Lächerlichkeit wird wohl gerade deshalb vermieden, weil der Autor die zu umschiffenden Untiefen schon sehr früh ins Visier zu nehmen verstand: Der „Lagebericht“ ist zu verspielt, um verkrampft zu wirken, aber auch verbissen genug, um nicht in popliterarischem Geplänkel zu versanden.

 

Auf die Titelgeschichte folgt eine Reihe kurzer Prosastücke, die der Autor selbst als „Short-Stories“ betitelte und die sich als Etüden in den verschiedensten Stilrichtungen deuten lassen. Zitat oder Kopie, Imitation oder Original – diese Frage stellt sich auch hier, wenngleich in anderer Form. Man trifft in diesen Kurzgeschichten auf verschiedene Gestalten der Zeit- und Weltgeschichte: Christine Westermann, Herbert Wehner, Theodor W. Adorno, Wolfgang Koeppen, Maurice Maeterlinck, Harald Martenstein, Johannes Heesters, Carl Barks, Siegfried Unseld, Götz Alsmann, Horst Tappert, Walt Disney, Harald Schmidt, Günter Guillaume – die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Ob es sich dabei um erzählerisch ausgeschmückte Episoden aus dem Leben der entsprechenden Persönlichkeiten oder um ein geschicktes Arrangement von deren Abziehbildern handelt, oder am Ende gar um Geschichten von Leuten, die tatsächlich nur so heißen (sei es nun in der Menschenwelt oder im Tierreich) – entscheidend bleibt allein, ob der jeweilige Text Überzeugungskraft entfaltet oder nicht, wohingegen der diesbezügliche theoretische Hintergrund getrost vernachlässigt werden mag.

 

Eine eindeutige Wertung läßt sich bei vielen der hier dargebotenen, pointenfreudigen und in aberwitzigem, bisweilen vielleicht auch nur als aberwitzig gedachtem Humor versprühenden Miniaturen nur schwer fällen, allerdings lassen sich sowohl auf der positiven wie auf der negativen Seite einige markante Beispiele dingfest machen. „Frankfurt“ beispielsweise dürfte sich am ehesten als belanglos, wenn nicht gar mißlungen charakterisieren lassen. Wenn man der Auffassung ist, daß es keine objektive Realität gebe, sondern nur einen beliebig großen Pool unterschiedlichster Meinungen, die alle ihre Berechtigung hätten, wird man gewiß auch dieser Geschichte ihre Existenzberechtigung nicht absprechen wollen, welche ein häufig kolportiertes Gerücht über einen der beiden Hauptvertreter der Frankfurter Schule zu verifizieren trachtet. In anderer Weise enttäuschend erweisen sich „Die Sache mit dem Ding am Kopf“, eine Art epische Aufbereitung eines weitverbreiteten Witzes, oder die Sex- und Gewaltorgien in anderen Texten.

 

Doch geht es auch anders. „München“ zum Beispiel ist eine Geschichte, die weitaus mehr ist als nur „die Geschichte“ zum Briefwechsel zwischen Wolfgang Koeppen und Siegfried Unseld, den Wimbauer vor einigen Jahren rezensierte. Der konkrete Bezug auf die historischen Vorbilder ist hier nicht mehr als eine Art Einstiegshilfe zu einer kurzen Studie über das bereits im „Lagebericht“ mit so gänzlich anderem Zugriff abgehandelte Thema „Schaffenskrise“, kombiniert mit den Themen „Freundschaft“ und „Liebe“: Ein melancholiches Stimmungsbild mit behutsamer humoristischer Akzentuierung.

 

Auch „Eine Rezension“ muß in diesem Zusammenhang genannt werden – ein weiteres Exerzitium in Sachen „Fälschung oder Original?“, zugleich eine gewitzte und handwerklich abgerundete Kulturbetriebssatire, ein Thema behandelnd, das in Zeiten des Internets förmlich auf der Straße zu liegen scheint, in solch bündiger Form aber bislang nicht aufgegriffen wurde. Als Rezensent sträubt man sich fast, zu schreiben, daß man über den konkreten Inhalt nichts näheres verlauten lassen möchte – das könnte bei Leuten, die die Geschichte gelesen haben, unter Umständen einen bestimmten Verdacht gegenüber dem Rezensenten und seiner vermeintlich grundsätzlich geübten Verfahrensweise aufkeimen lassen. Gleichwohl – wir lassen es darauf ankommen!

 

Andere interessante Texte sind „Kulisse“, worin ein altes Motiv der Phantastik variiert wird, „Bonn“, eine Art Momentaufnahme zwischen Banalität und Paranoia, „Aus dem Antiquariat“, worin Wimbauer, der auch nach der Gründung seines „Eisenhut Verlags“ immer noch hauptberuflich als Antiquar tätig ist, womöglich eigene Erfahrungen mit „schwierigen“ Kunden verarbeitet, und „Fellbürstsüchtlinge und andere Herrschaften“, die Bekenntnisse eines Katzenliebhabers. Nicht jedermanns Sache dürfte der „Tod eines Tulpenhändlers“ sein, eine Groteske über nationale Vorurteile, bei der es – den entsprechenden Einlassungen im „Lagebericht“ vergleichbar – wieder hart zur Sache geht und die allein schon aufgrund ihres Titels Aufsehen erregt. „Sommerferien“ und „Wie Maurice Maeterlinck die Mickey Mouse erfand“ sind weniger zwei Fassungen derselben Geschichte als vielmehr zwei Geschichten mit demselben Hauptdarsteller und wechselnden Nebenfiguren – die erste erzählt vom Zustandekommen eines bekannten Maeterlinck-Zitats, die zweite von der Entstehung einer populären Cartoonfigur aus einem Mißverständnis heraus. „Da staunt der kleine Grubenhund“ wiederum basiert auf einer tatsächlich „sich ereigneten, unerhörten Begebenheit“, dokumentiert in einer Pressemitteilung der Polizei Hagen vom Mai 2006.

 

Besondere Aufmerksamkeit verdienen jedoch zwei Texte, die vielleicht am entschiedensten das Potential des Autors Wimbauer aufscheinen lassen und sich überdies als Produkte höchsten künstlerischen Ernstes erweisen, der sowohl die Grundlage für jede Art von wahrhaftig intendierter Stimmung, als auch von wirklicher Komik und wahrem Humor ist: „Kinners, die Zeit“ und „Mal hoch mal runter“.

 

In „Kinners, die Zeit“ wird man Zeuge einer Beziehungstragödie, wie sie todtrauriger kaum sein könnte, und deren Wirkung umso heftiger ist, weil das meiste der Spekulation überlassen bleibt. Das Ganze beginnt durchaus komisch: Ein Mann schreibt an seine entschwundene Geliebte, Freundin oder Ehefrau, die schon sehr lange weg ist. Um noch rechtzeitig bis zur Leerung des Briefkastens fertig zu sein, hämmert er den Text in eine nicht mehr voll funktionstüchtige alte Schreibmaschine, die ihm eine Abfassung in durchaus experimenteller Kleinschreibung aufnötigt. Man lauscht einem unfreiwilligen inneren Monolog, vielleicht einer écriture automatique per se, und kann nur vage Schlüsse ziehen, was da im Einzelnen vorgefallen ist. Als der Schreiber schließlich nach einer kurzen Unterbrechung auf einen offenbar schon längere Zeit übersehenen Zettel der erhofften Empfängerin stößt, worauf ihm mitgeteilt wird, daß es aus sei, und sich zudem noch eine kryptische Notiz bezüglich ihres weiteren Vorgehens findet, wird ihm klar, was tatsächlich geschehen sein muß. Ob man nun auf einen Selbstmord schließen möchte oder darauf, daß sie ihn verlassen und dabei einen Großteil seines Vermögens habe mitgehen lassen – es bleibt die Atmosphäre der Trauer um das unrettbar Verlorene bestehen. Die verhaltene Lakonie der Geschichte weckt Erinnerungen an Vladimir Nabokovs „Zeichen und Symbole“, das ein anderes, aber ähnliches Thema zum Gegenstand hat.

 

„Mal hoch mal runter“ schließlich ist der innere Monolog eines namenlosen Ich-Erzählers, bei dessen Worten man eine bekannte Gestalt zu erblicken vermeint. Doch so offensichtlich die Parallelen auch sein mögen – der Kiosk, die Nachbarin, das Bier, das perlt, und die Arbeitslosigkeit – : Die Übereinstimmungen verschwinden sogleich oder werden belanglos. Es bietet sich hier der Einblick in die Lebenswirklichkeit eines Hartz-IV-Empfängers, dem kein „Ingo“ und kein „Schildkröte“ als Adressaten seiner Weltdeutungsversuche mittels Bildzeitungsexegese zu Gebote stehen. Dieser „Dittsche“ hat sich offenbar in der Hoffnungslosigkeit eingerichtet. Fernsehen und Presse bestärken ihn nur in der Erkenntnis, daß das Dasein an sich verpfuscht und jede Unternehmung zum Scheitern verurteilt sei. „Probleme haben die da. Würden die einfach zuhause bleiben. Und nicht paaren. Dann hätten die die Probleme nicht. Aber nein, dauernd irgendwo rumhüpfen und einen drauf machen und so.“ Die Entscheidung zwischen der Möglichkeit, sich auf dem Dachboden zu erhängen oder noch ein Bier zu trinken, wird durch topographische Gegebenheiten erleichtert: „Kühlschrank ist näher, also weitersaufen. Auch egal.“ Auch egal?

 

Wenn man von der Gegenwartsliteratur verlangt, daß sie sich den Problemen der Gegenwart stellen müsse, dann haben wir mit „Mal hoch mal runter“ ein Stück Gegenwartsliteratur im besten Sinne des Wortes vorliegen – sowohl im Sinne des kritischen Realismus, als auch, wie es Botho Strauß an Ernst Jünger rühmte, im Sinne magisch-schauender, immer prospektiver „Vergegenwärtigung“, die den Sprecher erst zum Sprechen bringt.

 

Den Band beschließt eine Reihe von Aufzeichnungen, die unter dem Obertitel „Träume“ zusammengefaßt und als Ausschnitte aus Wimbauers Tagebüchern der Jahre 1995 bis 2003 ausgewiesen sind. Die Spekulation, ob veröffentlichte Tagebuchaufzeichnungen nun tatsächlich exakte Protokolle der Erlebnisse des Autors am Tag oder im Traum darstellen oder bereits als Ergebnisse genuin literarischer Stilisierung angesehen werden müssen, ist müßig – fest steht, daß das Tagebuch spätestens seit Beginn der Neuzeit sich zu einer speziellen literarischen Ausdrucksform mit eigenen Charakteristika und eigenen Attitüden entwickelt hat; insbesondere das Traumtagebuch. Wimbauer als Jüngerexperte weiß das, und so erweisen sich seine „Träume“ durchaus als Reverenz vor und Reminiszenz an den Diaristen Jünger und reflektieren überdies andere „TagebuchBergwerke“, die ihrerseits die Beeinflussung durch Jünger nicht verhehlen – erneut denkt man an Helmut Krausser, aber auch Rolf Schilling wäre hier zu nennen.

 

Wimbauer gelingen einige witzige Arrangements von Traumimpressionen, die jeder Büchersammler nachvollziehen können dürfte (in seinem Falle dreht es sich vorwiegend um Jüngeriana), surreale Visionen von unvorteilhaft ausgehenden ebay-Auktionen und eigenartigen Situationen aus dem Universitätsleben, außerdem  bizarre Szenarien, in denen die Grenzen zwischen Gegenwart und Vergangenheit verwischen. Das alles wirkt echt, und das soll es ja auch. Das ist ein Teil der Disziplin. Allerdings sei darauf verwiesen, daß es auch hier Punkte gibt, die kritische Nachfragen erforderlich machen: Am 9. November 2001 begegnet Wimbauer in einem Traum, der zeitweise während des Zweiten Weltkriegs spielt, in Dresden Oswald Spengler, der aussieht „wie Armin Müller-Stahl als Thomas Mann“ – angesichts der Tatsache, daß Heinrich Breloers „Die Manns“ erst ein paar Wochen nach diesem Traum ausgestrahlt wurden, muß man sich Wimbauer wohl als einen Zeitgenossen vorstellen, auf den bereits die ersten Vorabdrucke von Szenenphotos aus dem Dreiteiler einen besonders tiefgreifenden Eindruck gemacht haben müssen.

 

Wie auch immer – mit dem Erzählungsband „Lagebericht“ liegt das abwechslungsreiche Debüt eines undogmatisch zu Werke gehenden Autors vor, der es in jedem Falle verstanden hat, die Neugierde auf mehr aus seiner Feder oder eher Tastatur zu wecken, was bei der derzeitigen Lage der Dinge nicht wenig ist.

 

Tobias Wimbauer:

Lagebericht und andere Erzählungen

TELESMA-Verlag, Schwielowsee 2008

140 Seiten, 18,90 EUR

ISBN-10: 3981005783

ISBN-13: 978-3981005783