Emma Cline: als Roman im E-book von Hanser, als 9 CDS von Hörbuch Hamburg, Teil 2/2

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Zeit, für alle diejenigen, die mit den Mansonmorde nicht mehr viel anzufangen wissen, eine Information  nachzureichen, ohne die der Hype in Amerika um dieses Buch nicht zu verstehen wäre.


In jeder Generation gibt es Ereignisse, die man nie wieder vergißt, die ins kulturelle Gedächtnis eingemeißelt sind. Für mich gehört sicher der Sektenführer Charles Manson mit seinen Mordgefährtinnen dazu, die als Manson Family in die Geschichte eingingen, als sie am 8./9. August 1969 den Besitzer einer Villa, einen ursprünglich mit Manson befreundeten und nun verhaßten Musiker und Musikproduzenten ermorden wollten. Sie trafen aber auf den derzeitigen Mieter, den polnischen weltberühmten Filmregisseur Roman Polanski, d.h. auf dessen hochschwangere Ehefrau Sharon Tate mitsamt Freunden, die alle ermordet wurden, während Polanski außer Haus war. Der Roman THE GIRLS folgt dem wirklichen Geschehen ziemlich dicht, wobei vor allem die Rolle des Charles Manson authentisch bleibt, der die Morde – es gab vorher und nachher noch weitere – jeweils angeordnet hatte, sie aber von seinen seelischen Sklavinnen ausführen ließ.

Wir können diesen verbrecherischen Guru gleich vergessen, er spielt in THE GIRLS nur eine Hintergrundrolle, denn die Faszination, die diese Farm, also eigentlich die Family auf die Vierzehnjährige ausübt, hat eindeutig in homoerotischen und schwesterlichen Gefühlen ihre Ursache. Der Roman selbst beschreibt, wie gesagt, immer im Rückblick der heutigen Erwachsenen auf ihre Jugend, die evoziert wird, weil sie dies einem Mädchen     erzählt, beziehungsweise durch deren Anwesenheit sich an damals erinnert, der Roman beschreibt also zu großen Teilen das Familienleben, das Zusammenleben des gelangweilten und orientierungslosen jungen Mädchens mit ihrer frustrierten alkoholliebenden Mutter, um daraus die Attraktivität des Zusammenlebens der Mädchen auf der Farm für Evie zu gewinnen.

Für uns hätte man daraus nicht so viele Seiten machen müssen, denn die Grundkonstellation wird sofort klar. Der Kern des Romans wird gegen Schluß auch ein anderer: Das von Russell geschickte Himmelfahrtskommando ist zu den Morden unterwegs, als die geliebte Suzanne in dem Moment Evie aus dem Wagen wirft, als diese ihre Hand auf die von Suzanne legt. Evie wird also bei den Morden nicht dabei sein, ist nicht beteiligt, wird sich aber ein Leben lang fragen, aus welchen Gründen Suzanne so handelte. Ob sie verstand, daß Evie dies alles nur ihretwegen mitmachte, oder ? Auf jeden Fall bleibt Evie auch nach den Morden an Suzanne gebunden. Verrät sie auch nicht, als dieser Mord öffentlich wird und die Täter gesucht werden, verfolgt aber nach deren Entdeckung und Verhaftung den Prozeß und das Urteil.

Wie hätte sie sich verhalten, hätte Suzanne sie nicht aus dem Wagen geworfen, was für sie die Rückkehr ins Elternhaus und ins Internat bedeutete? Das wird zur lebenslangen Frage an sich selbst. Sie selbst drückt latent aus, sie hätte wohl mitgemacht beim Morden, wenigstens ist dies auch der Leserin Meinung, weil diese Evie als braves Mittelschichtskind nie gelernt hatte, sich eine eigene Meinung zu erarbeiten, sondern kindlich nur im Trotz eine Identität gewinnt, was, wie gesagt, auch die erwachsene Evie weiterführt, die aus Anpassungsdruck an die Jugendkultur ihre eigene und eigentliche Meinung nicht äußert und eben weiterhin konfliktfrei durchs Leben gehen will, damit sie gemocht wird. Ja, das ist das eigentliche Motiv ihrer Bindung an die Family, sie will gemocht werden.

Das ist natürlich die entscheidende Frage für heute. Denn heute sind es nicht Hippies und ihre Bewegung, die attraktiv für bindungslose Jugendliche sind, sondern Islamisten – und dies in großem Stil. Da stocken wir aber schon. So sehr Beweggründe für junge Menschen ähnlich oder sogar identisch sind, aus ihrem Leben auszubrechen und sich für eine Sache zur Verfügung zu stellen, nicht nur zu morden, sondern selbst in den Tod zu gehen, so wenig kann man das an einem Roman festmachen, der erst einmal doch eher das zögerliche und mühsame Erwachsenwerden eines jungen Mädchens zum Thema/Inhalt hat.

Und wenn uns etwas mit diesem Roman, der clever zusammengebaut seine Konstruktion durchhält, versöhnt, so ist es, daß es endlich einmal um junge Frauen geht, wo doch die ganze Welt von jungen Männern tönt. Daß allerdings diese GIRLS ihr Heil in einer freiwilligen Versklavung finden, das tut  schon weh, entspricht aber, was den Fall Charles Manson angeht, durchaus der Wirklichkeit, weil dieser rassistische, Hitler verehrende Kerl von so vielen hübschen jungen Mädchen belagert wurde, daß eine strenge Auswahlliste die Schar der Verehrerinnen auf der Farm und damit der Manson Family begrenzte. THE GIRLS unterläuft dies insofern, als das erotische und emotionale Begehren der Evie den Mädchen, insbesondere Suzanne gilt. Aber das hilft nicht.

P.S.I: Wir haben den Roman hauptsächlich als Hörbuch gehört, manches nachgelesen, manches doppelt gehört und gelesen. Wenn man die Stimme von Suzanne von Borsody im Ohr hatte, liest man mit ihr auch dann, wenn die eigenen Augen den Text verfolgen, so stark hat sie sich als diejenige, die als Erwachsene über ihre Jugend erzählt, eingeprägt. Mehr Lob kann man nicht aussprechen.


P.S.II: Was der Romantitel THE GIRLS mit dem Album von Elvis Presley GIRLS! GIRLS! GIRLS! zu tun hat, das als sein sechzehntes 1962 herauskam, wissen wir nicht. Auf jeden Fall begleitete uns der Song als Ohrwurm das Buch hindurch. Im Buch ist vom Musikmachen die Rede, allerdings nur von Männern, von Russell und vom dann ermordeten Musikproduzenten, die Mädchen singen. Auch Charles Manson machte Musik, schrieb Texte, komponierte, allerdings mit mäßigem Erfolg. Er haßte Jazz als Negermusik und liebte die Beatles.


Info:
Emma Cline, THE GIRLS, aus dem Englischen von Nikolaus Stingl, E-Book Hanser

Emma Cline, THE GIRLS, ungekürzte Lesung von Suzanne von Borsody, 9 CDs, ca. 680 Minuten