Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 1. September 2016, Teil 10

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Nein, es lohnt einfach nicht, literaturwissenschaftlich die Neuerfindung der Ururenkelin des Autors von BEN HUR kritisch zu würdigen, ein Buch, das uns so ohne weitere Hinweise untergeschoben wurde, damit darüber geschrieben werde und viele das Buch kaufen, was Ahnungslose ja tun, wenn sie den Titel BEN HUR und den Namen WALLACE lesen.


Was wir dem Leser jedoch bieten wollen, sind einige Stellen im Original von Lew Wallace (bearbeitet von Ilse Leutz) sowie der Ururenkelin Carol Wallace Nachschrift wiederzugeben, damit man sich über Inhalt, Stil und Atmosphäre klarer wird.

Im ERSTEN KAPITEL geht es bei Lew Wallace (1880) los:

Dschebel el Zubleh heißt eine über fünfzig Meilen lange Hügelkette, die so schmal ist, daß sie auf Landkarte wie eine nach Norden kriechende Raupe aussieht. Steht man auf ihren rötlichweißen Felsen, so erblickt man gegen Osten das steinige Arabien. Zahlreiche Wadis oder Rinnsale, die in der Regenzeit ihr Wasser dem Jordan zuführen, kreuzen den Weg. Aus dem einen, das sich am äußersten Ende der Hügelkette zum Bette des Jabbokflusses erweitert, kam eben ein Wanderer hervor, der sich auf dem Wege nach der Hochebene befand, über die sich die Wüste ausbreitet. Dem Aussehen nach war dieser Wanderer ungefähr fünfundvierzig Jahre alt. Sein einst tiefschwarzer Bart zeigte bereits Spuren von Grau. Sein Angesicht, braun wie gebrannter Kaffee, war von einem roten Kopftuch bedeckt und nur teilweise sichtbar. Von Zeit zu Zeit erhob er seine großen dunklen Augen. Er trug die im Orient übliche lange Kleidung und ritt ein großes weißes Kamel, das eine Art Sonnenzelt trug...“


Bei Carol Wallace (2016)  heißt es zu Beginn des Kapitel 1, das STAUNEN betitelt ist:

„ War dies der Ort, nach dem er gesucht hatte?
Seufzend verlagerte Balthasar sein Gewicht, woraufhin das Kamel sofort stehen blieb. Es schien ihm beinahe, als würde es vor Erleichterung ächzen, doch das hatte er sich vielleicht nur eingebildet.
Während das Tier geduldig auf einer felsigen Anhöhe verharrte, entlockte der heiße Wüstenwind den Glöckchen am Geschirr leise Klänge. Zudem nahm Balthasar noch andere Geräusche wahr: das Knirschen der Steine, auf die das Kamel trat, das Flattern des überhängenden Stoffes der Howdah, wie sich der gedeckte Sitz auf dem Rücken des Kamels nannte. Sonst noch etwas?
Nein – nur das unaufhörliche Pfeifen des Windes.
Balthasar schirmte seine Augen gegen die Sonne ab und blinzelte in die Ferne. Vor ihm erstreckte sich eine karge hügelige Landschaft. Niedrige Dornbüsche duckten sich auf dem Boden, der in den unterschiedlichsten Farben schillerte – er changierte von elfenbeinfarben zu grau und rostrot. Diese Nuancen rühren von den Mineralien in den Steinen her, die der Wind in tausenden von Jahren zu Sand gemahlen hatte.“



Ergebnis

Was ist an dieser Neuerzählung des Stoffes BEN HUR besser? Nimmt man es einmal ganz genau, so kann man diese sogar als geschwätzig bezeichnen oder auch als filmisch orientierte Erzählung, denn sie geht von Sinneseindrücken aus, während sich Autor Lew Wallace an die Informationsweitergabe hält. Bitte lesen Sie das noch einmal genau durch, dann sehen Sie sofort, wieviele Informationen Sie im Originaltext hintereinander erhalten, die in der Neufassung nicht vorhanden sind und die von den Gefühlen des Kamels beispielsweise überlagert werden. Das alles ist Ausdruck eines gefühls- und sinnbetonten Schreibens, wie man es in den Schreibwerkstätten oder den universitären Ablegern heutzutage lernt. Ziemlich genormt das Ganze und auf unser schnelles Überblicklesen geeicht, das erkennt man schon daran, daß einmal dem Leser ein ganzer, ein langer Einführungsabsatz 'zugemutet' wird, während die Neufassung dauernd im Zeilenwechsel Neues avisiert, auch wenn es nicht eintritt. Durchsichtig auch in der gewählten Form.

Leider lassen sich die weiteren Kapitel nicht vergleichen, weil den 44 Kapiteln im Original bei der Neufassung 51 Kapitel und ein Epilog gegenüberstehen, in denen die Handlungsvollzüge nicht parallelisiert werden können. Und liest man ganz genau, dann erkennt man, daß die Autorin das alte Kapitel 44 zu ihrem Epilog umschrieb, da geht es nämlich bei Wallace um „Ungefähr fünf Jahre nach der Kreuzigung...“, bei der Nachschrift um ungenannte Jahre später, wo der an Judah gerichtete Brief mit dem Siegel des Scheichs Ilderims auftaucht. In ihm spricht – im Original – der neue Scheich Ilderim vom Tode des Vaters und der Übertragung des Eigentums an Judah. Der Roman von Lew Wallace endet: „Der Leser, der Rom besucht und die Katakomben des heiligen Calixtus betritt, kann sich überzeugen, was aus Ben Hurs Vermögen wurde, und ihm Dank wissen. Aus jener großen Gräberstätte stieg das Christentum empor und stürzte das heidnische Rom.“ Ende.

Bei der Neuautorin heißt es zum Schluß, nachdem Judah von seinem Zusammentreffen mit Jesus am See mit dem Fischfang durch Petrus erzählt: „Er atmete tief durch. 'Und dann stellte Petrus ihm die Frage. Die Frage, die wir uns immer wieder stellen: Was sollen wir jetzt tun? Ich erzähle dir diese Geschichte, weil ich in meinem Leben über viele Jahre die falsche Antwort darauf gelebt habe. Aber jetzt versuch ich zu tun, was Jesus gesagt hat...so gut ich es kann. Er sagte zu Petrus und uns allen: 'Weidet meine Lämmer. Hütet meine Schafe. Folgt mir nach.'“ Ende

Nein, auch dieses Ende überzeugt nicht. Eine christliche Botschaft mag in den USA werbewirksam eine Neuerzählung abschließen. Da sind mir die geschichtsträchtigen, leicht pathetischen Worte von 1880 und vom Originalautor Lew Wallace doch sehr, sehr viel lieber.

Mit einem Wort. Besser den originalen Wallace lesen, den wir uns in der dtv Fassung besorgen wollen. Und besser den BEN HUR von 1959 anschauen, dann hat man auch gleich einen Hauch der Filmgeschichte verspürt, den die Neuverfilmung einfach nicht bringt.

 

Foto: amerikanische Oriignalausgabe von 1880 (c) wikipedia



Info:

Lewis Wallace, Ben Hur, Eine Erzählung aus der Zeit Christi, neu bearbeitet von Ilse Leutz, Paul Franke Verlag, Berlin o.J.

Carol Wallace, Ben Hur, Ein Roman aus der Zeit Christi, adeo Verlag 2016

Ben-Hur. Eine Erzählung aus der Zeit Christ. Vollständige Ausgabe. Herausgegeben, mit einem Nachwort und Anmerkungen von Günter Jürgendmeier, dtv München 2002