John le Carrés DER TAUBENTUNNEL bei Ullstein und bei Hörbuch Hamburg, Teil 2
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Die ersten Kapitel handeln von zwei Schwerpunkten. Zum einen dem britischen Geheimdienst, wo sie über Berufskollegen wie Somerset Maugham so Interessantes hören, der vom MI 5 gehörig ausgeschimpft wurde über ASKENDEN (Ein Abstecher nach Paris), so daß sie dies Buch auch gleich lesen wollen.
Und kommt die Sprache auf die Spionageromane von Graham Greene, insbesondere UNSER MANN IN HAVANNA, will man die auch sofort wiederlesen, wie überhaupt die Eifersüchteleien zwischen MI 5 (dem Inlandsheimdienst) und MI 6, dem Auslandsgeheimdienst, in den John le Carré mit seinem bürgerlichen Namen David Cornwell 1960 überwechselt, dokumentiert sind, weil die verärgerten Dienstherrn dies ganz und gar nicht gentlemanlike kommentierten: zu „diesen Arschlöschern auf der anderen Seite des Parks.“
Köstlich dann der Dank des Mitarbeiters Cornwell/Autors le Carré an den MI 5 für „die strenge Anleitung zum Schreiben“ durch humanistisch gebildete Vorgesetzte. „Sie schnappten sich meine Berichte mit hämischer Pedanterie, taten meine in der Luft hängenden Halbsätze und überflüssigen Adverbien verächtlich ab, und die Seitenränder meiner unsterblichen Prosa versehen sie mit Bemerkungen wie 'redundant', 'weglassen', 'begründen', 'schlampig' oder 'wollten Sie das wirklich sagen?'. Keiner der Lektoren, mit denen ich seitdem arbeitete, stellte jemals so hohe, so berechtige Anforderungen.“ (36)
Im Zusammenhang mit dem M 16 kommen dann auch genug verbale Retourkutschen der Geheimdienstler gegenüber einem Autor, der über sie schreibt. „Es hätte sicherlich nichts gebracht, ihn darauf hinzuweisen, daß ich in einigen Büchern den britischen Geheimdienst als deutlich kompetentere Organisation dargestellt habe, als ich sie im wahren Leben kennengelernt hatte. Und wohl auch nicht, daß einer seiner höchsten Beamten sagte, DER SPION, DER AUS DER KÄLTE KAM sei 'der einzige Einsatz eines verfluchten Doppelagenten, der jemals funktioniert hat.“ (32)
In diesem Kontext fallen dann auch die Namen der enttarnten Spione Guy Burgess und Anthony Blunt aus dem Spionagering des russischen Geheimdienstes (erst NKWD, dann KGB) in England, die als die Cambridge Five in die Geschichte eingingen, wobei der dollste, aber erst später enttarnte Doppelagent Kim Philby war, einfach sagenhaft - und dabei kommt einem sofort das hinreißende Buch über ihn von Robert Littell in den Sinn PHILBY: PORTRÄT DES SPIONS ALS JUNGER MANN, erschienen bei Arche, das unsere Meinung nach in Deutschland viel zu wenig Beachtung fand.
Der zweite Schwerpunkt in DER TAUBENTUNNEL bis zur Seite 100 und den beiden ersten CDs gilt dem jungen Westdeutschland mit seiner niedlichen Hauptstadt Bonn. Es tut so gut, einen Ausländer über das damalige Leben erzählen zu hören, denn es deckt sich mit den eigenen Erfahrungen von dieser naziverseuchten jungen Bundesrepublik als Kind und Jugendliche. Sehr schlimm, was le Carré im zweiten Kapitel GLOBKES GESETZE über diesen schreibt. Wie verheerend Adenauers Entscheidung war, diesen Nazi, der ja nicht nur die Nürnberger Rasse- und andere Gesetze mitschrieb, in Amt und Würden als Chef des Bundeskanleramts zu installieren und damit ihm und vielen alten Nazis gehobene Persilscheine zu überreichen, das macht le Carré an vielen Beispielen deutlich, wobei wir uns an das von ihm besonders Hervorgehobene gar nicht mehr erinnern können, weil Kinder und Jugendliche das nicht überblicken: daß nämlich alle Beamten, die hauptsächlich Nazibeamten waren, die in der Wehrmacht oder sonstwo ihre bürgerliche 'Karriere' unterbrechen mußten, in der Beamtenbesoldung so gestellt wurden, als ob sie durchgehend ihr Amt ausgeübt hätten und deshalb x-fach befördert worden wären, was nun auf einen Schlag passiert, weshalb junge Leute sehr lange nicht aufsteigen konnten.
Nein, nach Deutschland zurückgekehrten Juden oder sonstigen Exilanten wurde das nicht zugestanden, die durften ja nicht mal mehr wie zuvor Richter werden, wie es Ursula Krechel in LANDGERICHT aus dem Verlag Jung und Jung – Deutscher Buchpreis 2012 - wiedergibt, wo die Nazirichter weiterarbeiten durften, die aus dem Exil zurückgekehrten Richter nicht mehr als Richter eingestellt wurden, denn die hätten ja dann gegenüber einem potentiellen Straftäter mit NS-Vergangenheit keine Objektivität mehr, die man also Nazi-Richtern zugestand.
Das alles ist so bodenlos, daß in einem mehr als Zorn, ja ein richtiger Widerwille und Haß emporsteigt. Le Carré federt das ab, denn er läßt uns beim Lesen immer wieder laut lachen, wenn er beispielsweise einen aus Rußland Zurückgekehrten zu Wort kommen läßt, der, nachdem er in „das kalbsledergebundene, vertrauliche, interne Telefonverzeichnis des Auswärtigen Amtes geblickt hatte, in folgender Szene geschildert wird: Er ließ sich in einen tiefen Ledersessel gleiten, das Telefonbuch aufgeschlagen in der Hand, las stumm einen herrschafltichen Namen nach dem anderen, von links nach rechts, ganz langsam, all diese Vons und Zus..“ Dann ruft er eine Nummer an: „Wir sehen, wie er den breiten Rücken reckt, strammsteht und die Hacken in preußischer Manier zusammenschlägt...'Heil Hitler, Herr Baron! Hier Ullrich! Ich möchte mich zurückmelden!“ (48)
Gespenstisch, auch wenn es nur im Wohnzimmer des in der Britischen Botschaft beschäftigen David Cornwell passiert, der über seinen Gast noch sagt: „Jede Wiederholung dieser Szene ist für ihn ein Exorzismus, eine choregraphierte Säuberung von all den Dingen, die ihm durch den Kopf gingen, als er zum ersten Mal die Liste der Namen sah. Es sind dieselben aristokratischen Namen und deren Träger, die schon unter dem grotesken Joachim von Ribbentrop ihre Sporen verdienten, unter Hilters Außenminister, der noch aus seiner Todeszelle in Nürnberg seine Loyaliät gegenüber Hitler verkündete.“ (46f)
Was John le Carré dann über Pullach, über Gehlen, über die Zentralstelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen in Ludwigsburg und anderes schreibt, tut einfach weh und manches ist bis heute bei uns gesellschaftliche nicht aufgearbeitet. Bei diesen Passagen vermißt man einen Hinweis auf den Hessischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, mit dem sich John le Carré sicher sehr gut verstanden hätte. Aber, das wird einem dann bewußt, für den Engländer ist halt dieses Westdeutschland von Bonn aus eng mit der britischen Besatzungszone verbunden, während Frankfurt nicht nur in der amerikanischen Zone lag, sondern sich hier sogar im IG-Hochhaus das amerikansiche europäische Headquater befand. Das war doch noch mal eine andere Welt.
Das war's fürs Erste, und das spannende Kapitel über Fritz Erler (SPD) in London ist leider ganz ausgelassen. Aber da heute DER TAUBENTUNNEL ausgeliefert wurde, soll das jetzt raus. Wie gesagt: Kaufen.Lesen. Fortsetzung folgt demnächst
P.S. Das Rechtschreibprogramm mag das Wörtchen TAUBENTUNNEL auch nicht! Es bietet stattdessen an: TRAUBENTUNNEL oder auch TAUERNTUNNEL. Schon lange wollen wir die herrlichsten Verbesserungsvorschläge, regelrechte Verschlimmbesserungen eigentlich unter jedem Artikel verzeichnen. Aber….
Info:
John le Carré, Der Taubentunnel. Geschichten aus meinem Leben, Ullstein Verlag, Aus dem Englischen von Peter Torberg, Erstveröffentlichung 9. September 2016
John le Carré, Der Taubentunnel. Geschichten aus meinem Leben, gelesen vom Autor und von Walter Kreye, 10 CDs ca. 800 Minuten, September 2016