Vor zehn Jahren startete Wolfgang Asen mit dem ersten Teil seiner Trilogie "DAS DRITTE WISSEN" durch

Alexander Martin Pfleger

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Der geübte Leser dürfte es als Symptom subtiler Ironie erachten, wenn sich ein Rezensent weitgehend kommentarlos beim Klappentext eines Buches und bei weiterführenden Informationen von der Website des Verlages als Zitatvorlage bedient, um das zu besprechende Werk zu charakterisieren.

Ganz so einfach ist der Fall hier aber nicht – im Gegenteil: Offenbar hat es sich der Autor zum Ziel gesetzt, den Eindruck absoluter Einfachheit, vielleicht auch noch Oberflächlichkeit und Klischeehaftigkeit zu erwecken, um diese dann dezent zu unterlaufen.

Aber immer brav der Reihe nach. Wir haben es hier mit einem Taschenbuch zu tun, die Seiten sind nicht nummeriert; zweifaches Nachzählen des Rezensenten – von hinten nach vorne und von vorne nach hinten – ergab deren 128. Am Anfang, wie das bei Büchern bisweilen so üblich ist, finden wir ein Verlagsimpressum und Informationen über Autor und Werk, auf der Schlußseite bietet dem Leser Verlagswerbung sich dar. Dazwischen jagt ein erzählerischer Text dahin, welcher laut Vorsatzblatttext als "ein rasanter Trip durch das globale Dorf" verstanden werden will. Da kommen wir der Sache schon etwas näher. Eine Gattungsbezeichnung trägt dieser erzählerische Text leider nicht, man könnte sich aber mit einiger argumentativer Anstrengung auf den Begriff "Roman" einigen – wenn auch nicht unbedingt von der Länge her. Über die gegenwärtige schriftstellerische Tätigkeit des Verfassers ist zu erfahren, daß er gerade am zweiten Teil der Trilogie "DAS DRITTE WISSEN" schreibe – da vom "dritten Wissen" im Roman (na also, es geht doch!) einige Male an überaus profiliert anmutender Stelle die Rede ist, liegt der Schluß nahe, es hier mit dem ersten Teil zu tun zu haben.

Frank Weinstein ist für den Chipbroker Emerson rund um den Erdball im Einsatz. Genaueres über seine beruflichen Vorgehensweisen erfährt man nicht – entscheidend ist lediglich der Hinweis, daß er potentielle Kunden bevorzugt mit schlechten Nachrichten ködert. Hilfreich ist ihm dabei eine rätselhafte paranormale Begabung, die er selbst "DAS DRITTE WISSEN" nennt – einerseits eine schwer definierbare Abart der Telepathie, andererseits ein plötzliches Aufschießen von visionären Bildern, die zumeist die Zukunft der sich in seiner unmittelbaren Umgebung befindlichen Menschen zeigen.

Diese sonderbare Fähigkeit nimmt Weinstein seit seiner Kindheit an sich wahr, an welcher einiges im Dunkeln bleibt. Irgendwann fand man ihn als etwa zwölfjährigen Jungen mit einer Stirnwunde durch die Straßen Londons umherirrend, ohne Erinnerung an seine Herkunft, aber offenbar fließend mehrere Sprachen beherrschend, weshalb man bei ihm auf eine Abstammung aus einer Diplomatenfamilie schloß und ihn in einem Waisenhaus für hochbegabte Kinder unterbrachte.

Weinstein reist durch alle Welt, speist exklusiv, läßt sich in exotischen Kampfsportarten unterweisen, bestellt sich Prostituierte auf seine Hotelzimmer und liest interessante Bücher über die Ermordung Martin Luther Kings und der Kennedy-Brüder, die Geschichte des Flamencos oder die jüngsten politischen Entwicklungen in Afghanistan. Seine Welt ist das frühe 21. Jahrhundert – vielleicht nur wenige Jahre von unserer Gegenwart entfernt. Die Konfliktlage im Nahen Osten und in einigen lateinamerikanischen Ländern hat sich verschärft, ansonsten scheint sich nicht allzu viel geändert zu haben.

In Barcelona lernt er die Ecuadorianerin Mercedes kennen und zieht mit ihr eine Zeitlang hin und her. Seit kurzem hat er den Eindruck, beschattet zu werden. Gleichwohl faßt er immer tieferes Vertrauen zu ihr und erzählt ihr vom "DRITTEN WISSEN". In einem Restaurant in Miami Beach (und nicht in Mexiko, wie man im Vorsatzblatttext fälschlicherweise liest) wird Weinstein betäubt und entführt. Man foltert ihn, ohne ihm genaue Fragen zu stellen, er hat seltsame Visionen, und sechzehn Tage nach seiner Entführung findet er sich wieder in Miami – auf einem Zettel die handschriftliche Nachricht "Wir kommen wieder, Weinstein!"

Man hat ihn offensichtlich nicht bestohlen, allerdings ist Mercedes verschwunden, und sonderbarerweise gelingt es ihm nicht, in Kontakt zu Emerson zu treten. Auch sind einige seiner Bankkonten gesperrt, die Paßwörter für einige seiner Mailadressen geknackt, in seiner Wohnung in Barcelona wurde eingebrochen, und einige Dokumente sind verschwunden.

Weinstein, der über mehrere Pässe und geheime Geldreserven verfügt, reist erneut durch die Welt, betreibt Spurensuche in dem Londoner Waisenhaus,worin er aufwuchs, und zieht sich in ein buddhistisches Kloster zurück, das er jedoch bald wieder verlassen muß, als ihn erneut Schreckensvisionen bedrängen. In Bangkok hört er eines Tages hinter sich eine Stimme rufen: "Weinstein! Bleib stehen!". Das Klicken beim Entsichern einer Pistole ist das letzte, was er vernimmt.

Diese rudimentäre Inhaltsangabe kann kaum dem Rhythmus und der eigentümlichen Atmosphäre des Ganzen gerecht werden. In kurzen, stakkatoartigen Sätzen schnellt der Text vom Anfang bis zum Ende ohne Verschnaufpausen durch. Zahllose Momentaufnahmen und belanglos wirkende Details (Hinweise auf Getränke, Namen und Herkunft verschiedener auftretender Figuren, kurze kulturhistorische oder politische Streiflichter) können den Leser anfangs irritieren, zwischendurch vielleicht auch langweilen, ihn letztendlich aber auch verunsichern – wer könnte jetzt schon beurteilen, was von Bedeutung ist und was nicht?

Diesem in der Tat rasanten Erzähltempo trägt auch die formale Gestaltung des Buches Rechnung. Unterteilt ist es in 80 kurze Kapitel – da muß jemand vom Verlag bei der Erstellung der bibliographischen Angaben die Anzahl der Seiten mit der der Kapitel verwechselt haben! – , von denen keines länger als zwei Seiten ist, manche sogar nur aus einer Zeile bestehen. Ausführliche Beschreibungen oder Psychologie finden hier keinen Raum, und Erklärungen, etwa über Weinsteins Kindheit, oder Reflexionen, beispielsweise darüber, daß das Telephon größere Distanz zwischen Weinstein und seinen Kunden schaffe und etwas Geheimnisvolles erzeuge, fallen nur spärlich aus. Die eigenartig kühle, distanzierte Darstellungsweise der linear erzählten Geschichte – in der dritten Person, allerdings strikt auf die Perspektive Weinsteins konzentriert – ist dazu angetan, beim Leser den Eindruck zu verstärken, hier nur einen Teil der tatsächlich ablaufenden Ereignisse mitgeteilt zu bekommen.

Man denkt bei der Lektüre unwillkürlich an mögliche literarische Vorbilder. Das Motiv des plötzlich aus seiner Lebenswirklichkeit gefallenen Protagonisten, dessen Umwelt ihn nicht mehr zu kennen scheint und der von unbekannten Gegnern beobachtet und gejagt wird, zieht sich von Alfred Elton van Vogts "Null-A-Romanen" über Philip K. Dicks metaphysische Verwirrspiele mit den unterschiedlichsten Realitätsebenen bis hin zu William Gibson und anderen Vertretern des Cyberpunk durch die Science Fiction. Die exklusiven Vorlieben Weinsteins lassen Hans Kneifel, Thomas Harris´ "Hannibal Lecter"-Romane und Bret Easton Ellis anklingen. Das Eingangsmotto von Don DeLillo – "All plots lead toward death" – bietet überdies den Schluß an, daß Weinstein am Ende tatsächlich erschossen wird, was nicht viel heißen muß. Zuletzt die Namen der Protagonisten – der Chipbroker Emerson könnte sich auf Ralph Waldo Emerson beziehen, Mercedes auf die Jugendliebe des Grafen von Monte Christo aus dem gleichnamigen Roman des älteren Alexandre Dumas, Weinstein wiederum auf den gleichnamigen "Star Trek"-Autor, der allerdings Howard mit Vornamen heißt, oder den US-amerikanischen Mathematiker Alexander Weinstein, oder das Filmproduzentenbrüderpaar Harvey und Bob Weinstein. Es muß aber auch gar nichts bedeuten.

Ein abschließendes Urteil ließ sich vor zehn Jahren kaum fällen – und heute sind wir kaum weiter. Asens eigenwilliger Stil und seine auf den ersten Blick leicht zu verkennende Gestaltungskraft ließen den vorliegenden Roman insgesamt als gelungenes Experiment erscheinen – vielleicht zunächst noch nicht übermäßig originell, aber durchaus vielversprechend und intelligent gemacht. Man hat aber leider seither nichts mehr von der Trilogie „DAS DRITTE WISSEN“ und dem Autor Wolfgang Asen gehört. Welches ästhetische Gesamtkonzept er verfolgt und ob es ihm im weiteren Verlauf der Trilogie gelingt, dieses adäquat umzusetzen, ob er nur in einem selbstreferentiellen Spiel mit Genreanleihen verharrt, oder aber auf diesem hier begonnenen Spiel mit traditionellen Versatzstücken aus Science Fiction, Thriller, Mystery und anderem aufbauend tatsächlich eine Form von literarischem Neuland zu erschließen vermag, blieb seither offen. Oder war alles nur als großer, literarischer Fake gedacht? Es bleibt spannend – so oder so.

Foto: Cover

Info:

Wolfgang Asen: Schnelle Welten
Heinz Wohlers Verlag, Harrlach 2006
128 Seiten, 10,00 EUR
ISBN-10: 3-937260-13-7
ISBN-13: 978-3-937260-13-6
EAN: 9783937260136