Über Hitler. Eine Biographie von Peter Longerich, Teil 2/2

Elvira Grözinger
Berlin (Weltexpresso) - Angesichts des Monumentalität und der Detailfülle in diesem Buch, wird sich diese Rezension auf einen Aspekt, nämlich den des Antisemitismus bei Hitler beschränken. Anders als bei seinen Vorgängern, spielt die Auseinandersetzung damit bei Longerich eine große Rolle. Die frühe Wandlung Hitlers zum Antisemiten wird von ihm anhand des österreichischen Milieus gezeichnet, in dem er sich schon in der Jugend bewegte.

Seine ersten politischen Eindrücke bekam Hitler in Linz. Auch orientierte er sich an dem politisch-sozialen Milieu, zu dem sein Vaterhaus zu rechnen ist. Ohne diesen Kontext sei dies nicht zu erklären, denn seine beiden politischen Vorbilder waren die prominentesten Antisemiten des Wiener fin de siècle, Karl Lueger (1844-1910) und Georg von Schönerer (1842-1921). Zunächst war sein Antisemitismus eines von vielen Feindbildern, die er bei den Deutschnationalen und Alldeutschen entliehen hatte: Zu der Phalanx seiner vermeintlichen Feindbilder gehörten die Monarchie, der Staatsapparat, der Adel, das Parlament, die katholische Kirche, die Slawen (insbesondere Tschechen), Juden sowie die marxistische Arbeiterbewegung. Fest hat noch die Bourgeoisie dazu gezählt. Der Turnvater Jahn war der Patron der vaterländischen Gesinnung,  die gegen die „Überfremdung“ gerichtet war und ein „germanisches Volksbrauchtum“ pflegte.

Die vermeintliche „Bekehrung“ zum Antisemiten, so Longerich, der den angeblichen jüdischen Einfluß in Presse, Kunst, Literatur und Theater sowie ihren Marxismus anprangerte, war nicht das Ergebnis der eigenen Beobachtung, Lektüre und Reflexion, wie von Hitler kolportiert, denn die angeführten Zeitzeugenaussagen weisen ihn in dieser Phase noch keineswegs als glühenden Antisemiten aus, da sie über verschiedene persönliche Beziehungen berichten, die er mit Juden unterhielt. Longerichs Fazit ist, dass der Antisemitismus ein fester Bestandteil des österreichischen Alltags und als Geschäftsgrundlage der populären Wiener Stadtregierung diente. Der Antisemitismus sei damals also nur eines der zahlreichen Feindbilder Hitlers gewesen. Nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs herrschte in Deutschland und Österreich ein Gefühl, dass sie sich an der Front gegen eine internationale Front von Feinden befanden, die extreme Fremdenfeindlichkeit und der aggressive Nationalismus steigerten sich. Die Niederlage schließlich, die Österreich und Deutschland von den Feinden zugefügt wurde, entfachte bei Hitler Empörung und Hass vor allem auf die, die er für diese Niederlage verantwortlich machte, in erster Linie die „Führer des Marxismus“ und „die Juden“. Offenbar wurde diese Meinung von Vielen geteilt. Dieser Hass hat sich in der Weimarer Republik verbreitet und wurde zum Movens des „Bolschewiken-“ und Judenhasses mit den bekannten schrecklichen Folgen im „3. Reich“. Die Entwicklung wird in dem Buch sehr detailliert beschrieben. Auch Fest hatte Hitler schon als einen Repräsentanten der Epoche dargestellt, dem der europäische Antisemitismus, der vor allem in Polen, Ungarn, Rumänien oder den baltischen Staaten über großen Anhang verfügte, aber auch in Frankreich und England verbreitet war, von großem Nutzen war. Das darf allerdings Hitlers einzigartigen eliminatorischen Judenhass nicht relativieren.

Longerich meint, „Hitler ist größer als zuletzt dargestellt.“ Doch Hitler und den Seinen wäre es ohne die wachsende Unterstützung durch die „Volksgemeinschaft“ nie gelungen, eine solch gnadenlose Diktatur zu errichten. Zwar hat Hitler seine manipulative Methode im Laufe der Jahre vervollkommnet, die Zuhörer – auch Kirchenleute, Intellektuelle und Gebildete unter ihnen – durch stundenlange Reden mit immer wiederkehrenden Phrasen und Formulierungen einzulullen und auf seine Seite zu ziehen, doch die Bereitschaft, mit der diese aufgegriffen wurden, muss aus einer anderen Quelle gespeist worden sein. Besonders verwunderlich ist die Massenhysterie unter den deutschen Frauen, die den unansehnlichen, uncharmanten Mann so enthusiastisch verehrten. So fiel auch sein Juden- und Kommunistenhass auf fruchtbaren Boden.

Longerich grenzt sich von seinen Biographenvorgängern ab, aber will man das Phänomen Hitler von verschiedenen Seiten kennenlernen, sind die Studien von Fest, Martin Broszat und Ian Kershaw nicht überflüssig.  Für Historiker und gut informierte Leser ist das Buch eine sehr nützliche Ergänzung, für diejenigen aber, die Longerichs Werk nicht als Quelle für eigene Forschungsarbeit betrachten, ist der riesige wissenschaftliche Apparat und die minutiöse Nacherzählung der Begebenheiten eher belastend. Wer sich aber tapfer durch das Dickicht der Informationen durchliest, erfährt mehr über den Lebensweg von Hitler und auch, wie unter welchen Bedingungen er das werden konnte, als was wir ihn kennen, nämlich als einen skrupellosen besessenen Eroberer und Massenmörder. Dabei wirkt er nicht übermenschlich – im Gegenteil, wir treffen hier auf einen Kleinbürger mit Megalomanie, Größenwahn, der jedoch Millionen in seinen Bann zu ziehen vermochte. In Brechts Figur des Arturo Ui, dessen Aufstieg doch aufhaltsam gewesen war, ist Hitler in der Tat sehr gut charakterisiert, wobei wir die Mitschuld  der „willigen Helfer und Vollstrecker“ im In- und Ausland nicht aus den Augen verlieren dürfen.

 

Foto: Peter Longerich (c) deutschlandfunk.de


Info:     
Peter Longerich, HITLER, Biographie, Siedler

Mit freundlicher Genehmigung der Autorin
Quelle
Review of Hitler, by Elvira Grözinger, August 19, 2016
Scholar for Peace in the Middle East (SMPE)