Lamya Kaddor, Die Zerreißprobe. Wie die Angst vor dem Fremden unsere Demokratie bedroht, bei Rowohlt Berlin, Teil 2/6
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Liest man den Untertitel: „Wie die Angst vor dem Fremden unsere Demokratie bedroht“, wundert man sich erst einmal leicht, zum einen über das 'wir', zum anderen darüber, als ob es in Deutschland wirklich um Angst vor dem Fremden ginge. Und auch wenn wir die zu hohen AfD-Stimmanteile anderen Beweggründen zugrundelegen, liest man doch erst einmal los.
Aber schnell regte sich mein Widerstand beim Lesen, was erst einmal schlicht mit der Sprache zu tun hatte, die unangenehm auf mich wirkte, der ganze Ton behagte mir nicht. „Wir?“. Wer ist wir? Ständig trägt die Autorin mir ein 'Wir' an. Eine Berliner Kollegin sagt immer so leicht ironisch, dieses 'wir' gäbe es nur in Frankfurt. Richtig, wir in der Weltexpresso-Redaktion schreiben oft im Wir-Ton, auch unsere Redaktionskollegen aus anderen Städten. Und ständig finden wir in der in Frankfurt ansässigen FAZ ebenfalls dieses vereinnehmende „Wir“, das – so war es im Journalismus mal Brauch - verhindern soll, vom 'Ich' zu sprechen, schließlich ist eine Zeitung keine Selbstverwirklichungsgeinrichtung, in der das Ich eine Rolle spielen sollte. Aber unser 'Wir' läßt sich identifizieren und personalisieren, ist eindeutig auf die Redaktion, auf die Ausrichtung der Zeitung gemünzt, so wie es auch in der FAZ der Fall ist. Das 'Wir' ist definiert.
Aber was meint die 1978 als Tochter syrischer Einwanderer geborene Lamya Kaddor mit ihrem 'Wir'? Ich fürchte, sie meint die Deutschen i als Gesamtheit oder dann doch zumindest diejenigen, die sich als Gut-Deutsche von solchen Menschen wie Flüchtlingshassern oder noch schlimmer ,aktiv Flüchtlinge Bekämpfenden und Bedrohenden' distanzieren und deren Straftaten durch die Justiz verfolgt sehen möchten. Und obwohl ich Letzteres teile und hoffentlich auch die gesamte Weltexpressoredaktion darin übereinstimmt, möchte ich mit diesem ständig formulierten 'Wir' von Frau Kaddor nichts zu tun haben, nicht so angesprochen werden und mich nicht vereinnahmen lassen.
Das hat ganz einfache Gründe. Ich halte diese Angst vor dem Fremden, für die Lamya Kaddor die Trommel rührt, für vorgeschoben, erst einmal vorgeschoben von solchen Rechtspopulisten wie AfD, aber auch Teilen der CSU und sehe die Ursache im Zulauf Enttäuschter und Abgehängter in rechtsradikale Gruppen, die vom alten schönen Deutschland und seiner Wiederherstellung (alp)träumen aus anderen Gründen, nämlich in deren Verlustängsten und realen Verlusten. Da braucht man nur einmal in die Statistik zu schauen, wieviel vom heutigen Grund und Boden der damaligen DDR heute Westdeutschen gehört. Würde sich die Verfasserin die Mühe machen, und sich die Sozialreporte der Länder anschauen und erkennen, wie viele Menschen abgehängt sind vom Goldenen Westen, dann würde sie nicht „die Angst vor dem Fremden“ als die Wurzel heutiger politischer Probleme bezeichnen. Sie schürt die Angst mit einem solchen Buch und der Hoffnung, daß nun viele über die von ihr hochstilisierte Angst reden, schreiben, Veranstaltungen abhalten etc. Denn wenn ein Thema nur laut genug öffentlich durchgekaut wird, dann wird es schon zum Problem.
Wenn der Soziologe Harald Welzer in der Frankfurter Rundschau am 20. September, also einen Tag vor der Veröffentlichung des 238 Seiten starken Taschenbuches schreibt: „Im Moment haben die Vertreter der Angstrhetorik die Lufthoheit“, so ist mir das aus dem Herzen gesprochen und beim Zuendeschreiben dieser Rezension immer gegenwärtig gewesen. Die FR fragte ihn – natürlich ohne jeglichen Zusammenhang mit DIE ZERREISSPROBE: „Herr Welzer, können Sie den Begriff 'Angst' überhaupt noch hören?“
Er antwortet: „Schlecht. Dieses ständige Gerede von einer verängstigten Gesellschaft' macht mich inzwischen regelrecht wütend, weil es die Angst selbst erst hervorruft, die es behauptet. 'Hysterische Gesellschaft' wäre deshalb der passendere Begriff. Der Eindruck einer um sich greifenden Angst ist ein extrem gelungenes Marketing der Rechtspopulisten. Das Verhängnisvolle ist, daß Politik und Medien diesen Quatsch auch noch für bare Münze nehmen.“
Das paßt perfekt auf das Vorhaben der Autorin Kaddor. Hysterisch wird erst einmal von einer ZERREISSPROBE gesprochen und dann mit 'die Angst vor dem Fremden' im Titel solche Ängste erst geschürt, statt sich die Wirklichkeit der Bundesrepublik Deutschland anzuschauen.
Welzer spricht vom Phänomen der Verschiebung in der Psychologie: „Das, wovor man eigentlich Angst haben müßte, was sich aber schwer greifen und begreifen läßt, wird verschoben auf leichter faßbare Pseudo-Bedrohungen. Die internationalen Finanzströme zum Beispiel kann ich nicht sehen. Flüchtlinge schon.“ Das gibt mir persönlich eine gute Erklärung, warum ich über dieses Buch DIE ZERREISSPROBE so verärgert bin. Es lenkt ab von den eigentlichen Problemen in Deutschland und führt hin zu einer Diskussion über die Autorin Lamya Kaddor und ihre Angstthesen. Das dachte ich am 20. September. Inzwischen ist dies in vollem Umfang eingetreten, weil in der öffentlichen Diskussion kaum die erwähnte Angst eine Rolle spielt, sondern es nur noch kontinuierlich um die Person der Autorin geht. Seltsam.
Fortsetzung folgt
Info:
Lamya Kaddor, Die Zerreißprobe
Wie die Angst vor dem Fremden unsere Demokratie bedroht
Originalausgabe, 240 Seiten
€ 16,99 (D)/ € 17,50 (AT)
ISBN: 978-3-87134-836-5
Erstverkaufstag 21. September 2016