Die sechs Finalisten. Deutscher Buchpreis 2016, Teil 17
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Daß sich der Titel des Romans auf Iwan Turgenjew bezieht, muß man dazusagen. Der Leser nimmt es als Motto vorneweg wahr: „Du weißt ja, eine fremde Seele ist wie ein dunkler Wald.“ Aber so viel Fremdheit zu fühlen beim Erzählen über die Männer und wenigen Frauen vom Dorf in Oberösterreich, das hätte ich dann doch nicht erwartet.
Wenn es so toll beginnt: „'Diese verdammten Russen', sagte Alexander Fischer nach langem Schweigen und schob sein leeres Glas über die Theke, an der er seit dem späten Vormittag stand. 'Welche Schwierigkeiten haben wir mit denen schon gehabt! Und welche werden wir erst noch haben...'“, dann ist man ob des Politisierens am Wirtshaustisch – noch dazu an einem normalen Werktag am Vormittag – leicht amüsiert. Doch das legt sich schnell. Wie Mehltau liegt nämlich etwas Dräuendes über diesem Personenkreis, der mit der Familie Fischer seinen Anfang nimmt.
Sagen wir es gleich. Wir halten das Buch für meisterlich. Und es ist schon das sechste des gerade mal über dreißigjährigen Autors, der hier wie von einem anderen Stern spricht. Diese Bauernwelt vermittelt sich vor allem über die Menschen, die überhaupt keine Bauern mehr sind oder es nie waren und ständig dem einzigen Menschen, den wir im Buch kennenlernen, der wirklich Bauer sein möchte, dieses Bauernsein verbieten, hintertreiben, unmöglich machen. Wir sprechen von Jakob, dem Bruder, der oben mit an der Theke steht. Ungern, aber der ältere und früher bewunderte Bruder Alexander, der obwohl er einmal Priester werden wollte, Soldat geworden ist, ist gerade von einem Auslandseinsatz zurückgekehrt, weshalb Jakob ausharrt. Und in diesem Zusammenhang fällt auch das Wort von den Russen, das vom Wirt mit Bedenken erwidert wird, alles dürfe es geben, nur keinen Krieg.
Solche Reden und solches Biersaufen sind vorerst böhmische Dörfer für Jakob. Und das Tragische am Geschehen ist dann, daß er genau dort endet, wo er nie sein wollte, an der Theke biersaufend. Dabei ist er zu Beginn, wenn Alexander kommt, aber keine Ruhe findet und bald wieder die Heimat und die Familie flieht, ist also Jakob tatsächlich der, der den Hof führt. Alleine die Tätigkeiten, die wir per Worten nachvollziehen, so kann nur einer schreiben, der das kennt. Und schon hierin liegt der kulturelle Wert des Romans, der eine bäuerliche Welt vorführt, die sich selbst erledigt. Wir fassen zu Jakob ein Vertrauen und die Zuversicht, daß er das schafft mit dem elterlichen Betrieb.
Doch alle anderen stehen dagegen. Alexander interessiert das alles nicht, die Mutter hat genug damit zu tun, über die Sperenzchen ihres Gatten jahrzehntelang hinwegzusehen. Der nämlich hat den Spekulationswahn, hofft jeden Tag den großen Reibach zu machen und verscherbelt so nach und nach jeden Acker, jedes Vieh, bis überhaupt kein Hof mehr zurückbleibt. Das sieht doch auch Jakobs reicher Großvater, der sich in dem fleißigen Jungen wiederfindet und ihn darin bestärkt, Bauer zu werden und ihm verspricht, ihm das Geld zu geben zum Kauf eines eigenen Hofes. Die Großmutter – alle leben in einem Haus – spielt erst einmal gar keine Rolle und am Ende eine üble.
Unterdessen verfolgen wir lustlos, wie es mit Alexander weitergeht. Denn da geht es uns Lesern wie dem Alexander selbst. So viel hat er von sich gehalten, denn er war einmal einer, der wußte, was er wollte und die Welt brachte ihm sein Bild eines strahlenden zukunftsträchtigen Jungen zurück. Nur wurde nichts draus, diese Elvira war schuld und überhaupt die Frauen. Doch auch Jakob geht es nicht anders. Er, der alle Hoffnung hatte, läßt sich auf merkwürdige Verhältnisse ein. Zieht mit der Frau zusammen, die er eigentlich nicht mag – ihr Geruch ist das Schlimmste – und die von einem anderem ein Kind erwartet. Dieser andere, Markus, ist wie eine Leerstelle im Buch. Es geht immer wieder um ihn, aber er ist gleichzeitig gar nicht vorhanden. Erst schwärmt Jakob geradezu für ihn, dann langweilt er ihn, befreundet sich trotzdem. Unablässig gehen hier Menschen irgendwelche Beziehungen ein, ohne sie zu wollen, ohne an ihnen Freude zu haben. Wie zwanghaft.
Nein, mehr wollen wir gar nicht erzählen, denn nicht die Geschichte allein ist es, die so in Bann zieht, sondern in gleicher Weise die sprachliche Kraft, mit der erzählt wird. Dieser zitierte Beginn, wo wir ein völlig anderes Buch, eine andere Geschichte über Alexander erwarten, hat uns erst mal verführt, in diese Welt einzudringen, die dann hauptsächlich aus des Bruder Jakobs Welt besteht, aus der uns Reinhard Kaiser-Mühlecker erst nach 301 Seiten entläßt, so spannend wird das, was er von seinem literarischen Personal erzählt, so spannend, aber auch so traurig.
Wir kannten noch keinen Roman des Autors und werden das nachholen. Denn hier haben wir einen, von dem noch viel zu erwarten ist. Er könnte den Deutschen Buchpreis auch für diesen Roman erhalten, aber sicher wird es ein späterer Roman werden. Übrigens: Reinhard Kaiser-Mühlecker, was der einzige, der auf beiden Buchpreislisten stand.: der deutschen und der österreichischen. Denn auch Österreich hat seit diesem Jahr einen Österreichischen Buchpreis, mit einer Zehnerliste, wo unser Autor genauso aufgezählt war wie auf der hiesigen, dort aber nicht mehr auf die finale Liste aus fünf Autoren gelangte. Ein andermal, da sind wir sicher. Ein großes Talent.
Kommentar der Jury
Reinhard Kaiser-Mühleckers Figuren sind eingeschlossen in ihre Herkunft, in ihre Sprache. Es gibt kein Entkommen aus der eigenen Vergangenheit, und der Drang, aus der Gegenwart zu entfliehen, wird von der Alternativlosigkeit der Zustände absorbiert. Sie suchen nach Erlösung, ohne es zu wissen. Der äußere Wandel vollzieht sich mit größerer Geschwindigkeit als die innere Bereitschaft dafür. Das erzeugt Hilflosigkeit, Stummheit. Wie Kaiser-Mühlecker daraus auf eine zutiefst österreichische Art und Weise Literatur entstehen lässt, ist virtuos.