John le Carré erzählt in DER TAUBENTUNNEL Geschichten aus seinem Leben, 3
Kurt Nelhiebel
Bremen (Weltexpresso) - Die Abfuhr, die sich John le Carré bei der britischen Premierministerin einhandelte, muss ihn ziemlich verletzt haben, erinnerte sie ihn doch an die Kälte seiner Kindheit. Bis heute habe er keine Ahnung, was für eine Art Mensch seine Mutter gewesen sei, schreibt er in seinen Lebenserinnerungen.
Sein Vater habe es nicht als Widerspruch empfunden, wegen Betruges gesucht zu werden und gleichzeitig auf dem Pferderennplatz in Ascot mit grauem Zylinder im exklusiven Bereich der Rennstallbesitzer aufzutreten. Die Kindheitserlebnisse scheinen David Cornwells Sinne für menschliche Schicksale geschärft zu haben. Gerührt erzählt er von der Beerdigung eines führenden britischen Kommunisten, der für ihn als Informant gearbeitet aber seine Ideale dennoch niemals preisgegeben habe. Die Beweggründe beschäftigten ihn, seit er die Welt der Geheimdienste verlassen habe, schreibt le Carré im Rückblick auf seine anfängliche Tätigkeit für den britischen Inlandsgeheimdienst. Der Mann habe keine Freude an dem falschen Spiel gehabt und sei „als unbekannter Soldat der Kalten Krieges“ gestorben.
Vielleicht sollten manche deutsche Politiker und die Beckmesser in den Medien John le Carrés Erinnerungen zu Hand nehmen, um endlich Zugang zu einem Land zu finden, das „zwanzig Millionen Menschen durch Stalins Henker verlor und weitere dreißig Millionen durch Hitlers Henker“. Er sei zweimal in Russland gewesen, erinnert sich le Carré: Das erste Mal 1987, als es dank Michail Gorbatschow mit der Sowjetunion zu Ende gegangen sei und alle das gewusst hätten, „nur die CIA nicht“; das zweite Mal sechs Jahre später, „als der kriminalisierte Kapitalismus sich den gescheiterten Staat wie in einem Rausch angeeignet hatte und das Land in den Wilden Osten verwandelte“. Was die kollektive russische Seele am meisten fürchte, sei Chaos, was sie am meisten liebe, sei Stabilität. Das schreibt derselbe Mann, der nach dem Erscheinen von „Der Spion der aus der Kälte kam“ das Ziel literarischer Beschimpfungen durch die sowjetische Seite gewesen ist.
Wenn er auf sein Leben zurückblicke, dann sehe er es als eine Abfolge von Verpflichtungen und Fluchten, und er sei heilfroh, dass das Schreiben ihn halbwegs auf der Höhe und bei Verstand gehalten habe. „Ich wollte, dass meine Geschichten nicht als heimliche Enthüllungsstorys eines literarischen Deserteurs gelesen wurden, sondern als Fiktionen, die der Wirklichkeit, die sie hervorgebracht hatte, nur kleinste Kleinigkeiten entlehnt hatten.“ Die Praxis, Spione in angeblich subversive Organisationen einzuschleusen, sei so alt wie die Welt, summiert John le Carré. Zum Beweis zitiert er einen Ausspruch des legendären FBI-Direktors Edgar Hoover, wonach Jesus nur zwölf Jünger gehabt habe, aber einer davon sei ein Doppelagent gewesen.
Kein Zweifel, da geht jemand auf Distanz zu sich selbst. „Wenn wir heute von Polizisten lesen, die sich in Friedens- oder Tierschutzorganisationen einschleusen, dann stößt uns das ab, weil wir sofort wissen, dass die Ziele niemals eine solche Täuschung oder gar den Verlust von Menschenleben rechtfertigen.“ In der Tat, welche Ziele auch immer genannt werden, zu keiner Zeit hat eine Idee den Tod auch nur eines einzigen Menschen gerechtfertigt. Wer da meint, sich als Angehöriger der Bundeswehr das Recht herausnehmen zu dürfen, Menschen vorsätzlich zu töten, um andere zu retten, geht rechtlich und moralisch in die Irre. Nicht einmal der Staat darf einen Menschen bewusst töten, geschweige denn ein Einzelner „Die Todesstrafe ist abgeschafft“, bestimmt Artikel 102 des Grundgesetztes. Seine Schöpfer zogen damit die Schlussfolgerung aus dem Wüten deutscher Blutrichter während der Nazizeit.
Deutschlands unbewältigte Vergangenheit habe ihn neben all dem anderen, womit er sich während seiner Zeit in Deutschland beschäftigte, nicht losgelassen, schreibt John le Carré zu Anfang seines Buches „Der Taubentunnel“. Insgeheim habe er sich durchaus nicht dem politischen Komment jener Zeit hingegeben. „In gewisser Weise verhielt ich mich wohl wie viele Deutsche in den Kriegsjahren von 1939 bis 1945“. Mit anderen Worten, er hat geschwiegen, obwohl er sah, dass um ihn herum Unrecht geschah. Dies einzugestehen ehrt ihn und macht ihn mir im Nachhinein sympathisch. John le Carré hat ein weiches Herz. Er lässt er uns nicht nur teilhaben an seinem Leben, sondern erinnert uns auch im Plauderton und ohne erhobenen Zeigefinger an einen Abschnitt deutscher Geschichte, den die einen vergessen möchten und von dem andere nie etwas erfahren haben.
Foto: (c) johnlecarre.com