Serie: Sein Leben in seinen eigenen Worten, in denen er nicht auf bessre Zeiten warten will, Biermann III

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Glauben kann man es nicht. Das Alter. Wissen will man es eigentlich auch nicht so genau, ist doch sein runder hoher Geburtstag gekoppelt mit dem fortschreitenden Alter für diejenigen, für die Wolf Biermann viele viele Jahre, ja Jahrzehnte der wichtigste Indikator für deutsch-deutsche Befindlichkeit blieb und zudem derjenige, der politisch unnachgiebig, aber unnachahmlich poetisch unser Leben in seinen Liedern kommentierte oder ein besseres Leben von der DDR einforderte.


Natürlich, fängt man so an, dann muß gleich das Kölner Konzert vom 13. November 1976 kommen – auch ein Witz der Weltgeschichte, daß es gleich zwei wichtige Köln Konzerte gibt, eben auch das vom Januar 1975 von Keith Jarrett in der Oper, was die weltweit meistverkaufte Jazzplatte und Klavierplatte wurde.

Aha, sein erster Auftritt in der Bundesrepublik. Denkt man. Aber das stimmt nicht. Dazu später noch mehr. Denn Wolf Biermann war nicht erst 1976 in der westdeutschen Bundesrepublik aufgetreten. Daß er von Hamburg aus in die DDR ging, also sich schon damals als Außenseiter zeigte, wo doch die Leute aus der DDR nach Hamburg wollten, das ist weithin bekannt. Und in der überhaupt nicht aufdringlichen, sondern süffisant kommentierten Lebensbeichte heißt es dazu: „Es war damals unter den Genossen in Hamburg Mode, die eigene Brut in die DDR zu schicken. Auch mein Cousin Kalle ging nach 'drüben'“(60)

Und der 16jährige Wolf, damals noch Karl-Wolf, fuhr Mitte Mai 1953 mit der Bahn von Hamburg Richtung Berlin, um sich im Internat der Heinrich-Heine-Oberschule auf das Leben in der DDR vorzubereiten.

Vom Volksaufstand wenige Wochen drauf bekam er kaum etwas mit. Aber war sofort ein sensibler Schüler, der die Persönlichkeiten seiner Lehrer erkannte, wertete und würdigte – und so auch den blutjungen „und zugleich altbackene(n) Schulmeistertyp“ Günther Woese, der ihn – blickt man von heute zurück – zum Theater führte, was ihm ja nicht in die Wiege gelegt war. Und schon erhielt er seine erste Lektion und wurde von der Staatssicherheit entlarvt und hochnotpeinlich als schlimmer Klassenfeind verhört. Doch das konnte für Wolf ja nur ein Irrtum sein, denn er kannte ja die Wahrheit: „Ich bin der Sohn meines Vaters Dagobert, ein Genosse. Er hat gegen die Nazis gekämpft und ist umgebracht worden. Im KZ Auschwitz. Ich bin doch kein Feind, Genosse...“(68)

Und dann stellt sich heraus, daß dieser infame Mensch, dies alles nur vorbrachte, um Karl-Wolf dahin zu bringen,, seine Mitschüler und vor allem die Lehrer und am allermeisten seinen Deutschlehrer auszuspionieren, denn dann würden seine eigenen – erfundenen – Sünden verziehen. Schon damals haben sich die Apparatschicks an Biermann die Zähne ausgebissen. Nach dem Abitur studierte er in Ost-Berlin Wirtschaftswissenschaften, gekoppelt mit dem Studium von Brecht, seinen Schriften, den Stücken im Berliner Ensemble, will daraufhin Regisseur werden, meldet sich mutig und frech bei Helene Weigel, die ihn wiegt und prüft: „Ich nehm dich als Regieassistenz-Eleve mit Kleindarsteller-Verpflichtung, 430 Mark im Monat.“Und das fand Karl-Wolf, aus dem ein Wolf wurde, auch völlig selbstverständlich.

Er lebt sich ein am Berliner Ensemble, was heißt Brecht, Brecht, Brecht. Und singt. Damals als Vorbild Ernst Busch. „Keiner sang Eislers Lieder so stark wie der Schauspieler Ernst Busch. Er war der Natur-Plebejer unter all den Kunstproletarien, er schmetterte wie keiner sonst den Klassenkampfton von Brecht und Eisler.“ Von Freundin Brigitt lernt er die Chansons kennen, die von Brassens und das legendäre Lied der Commune de Paris. Und fängt an, selber zu dichten und sich an der Gitarre zu begleiten. Und ihr verdankt er auch den (Brassens-)Schnauzer, den sie schön fand und ihn schwarz färbte. Er zieht in ein großes Zimmer in der Chausseestraße 131, sie mietet die Wohnung im gleichen Stockwerk gegenüber. Eine liebevolle Erinnerung an die Frau, der er aus heutiger Sicht seine Entwicklung als Liedermacher und Dichter verdankt.  


Was verboten ist, das macht uns grade scharf

Robert Havemann, damals Professor für Chemie, tritt in Biermanns Leben. Und wer ihn ein bißchen näher kennt, weiß, daß dieser die nichtheilende Wunde in seinem Leben bedeutet. Ein Held schon unter den Nazis, die ihn 1943 als Kommunist und Widerstandskämpfer zum Tode verurteilten, dann aber seine herausragenden Fähigkeiten als Chemiker als kriegswichtig einschätzten. Am 27. April 1945 wurde er von der Sowjetarmee befreit und erst einmal in der späteren DDR hoch geehrt.

Es tut weh, wenn Biermann schreibtt: „Das hat er mir nie erzählt: Er war von 1953 bis 1955 zunächst Kontaktperson, dann ab 1956 bis 1963 'Geheimer Informator' (GI) der Staatssicherheit gewesen, sein Deckname war 'Leitz'. Von 1946 bis 1952 hat er zudem für die sowjetische Geheimpolizei gearbeitet.“ Denn Havemann wurde – ohne Kenntnis seiner Spitzeltätigkeit - seine Vaterfigur, einen Vater hatte er ja nie gehabt, aber auch sein bester Freund in einem. Havemann war sein politischer Kompaß, auch, als Havemann seit 1956 angesichts der Kenntnisse über die Verbrechen der sowjetischen Führungsspitze gegen die eigenen Genossen und die Ausmaße des Archipel Gulag, die Stalin zum Massenmörder machte, sich immer kritischer äußerte und an die Ursprünge des Kommunismus anknüpfte, was für die DDR-Nomenklatura Nestbeschmutzung und Verrat hieß.

Das nur aus Anlaß seines 80sten Geburtstags als Kostprobe aus seiner erhellenden, spannend und in Biermannmanier selbstironisch geschriebenen Autobiographie, die unbedingt zu empfehlen ist. Für die, die ihn gut kennen, sowieso, aber genauso auch für die, die ihn erst kennenlernen müssen oder ihn besser kennen lernen wollen.


Foto: © wikipedia.de

Info:

Dieser Beitrag wurde vor dem Geburtstag am 15. November geschrieben, aber wie die Buchmessengeschichte noch nicht veröffentlicht.

Wolf Biermann, Warte nicht auf bessre Zeiten,. Die Autobiographie, Propyläen 2016
 


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