Serie: Die Frankfurter Buchmesse vom 10. bis 14. Oktober 2012 steht vor der Tür, Teil 1

 

Claudia Schulmerich

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Da ließ Juergen Boos, Chef der Frankfurter Buchmesse, keinen Zweifel: Wie schwierig auch immer das Umfeld von Verlagen und Büchern – erst recht international – sei, dem Andrang zur Buchmesse für Aussteller tue das keinen Abbruch. Im Gegenteil: „Das ist schon jetzt die ökonomisch stärkste Buchmesse, die es je gab!“

 

Die Zahlen sind einerseits eng an den alten orientiert – so geht man derzeit von über 7 300 Ausstellern aus über 110 Ländern auf rund 169 000 Quadratmetern aus –, müssen aber neu interpretiert werden. Denn gerade Verlage aus weit entfernt liegenden Ländern oder auch aus europäischen, die die Krise drückt, neigen immer stärker zu Gemeinschaftsständen, die die Ausstellerzahlen drücken, obwohl insgesamt mehr als je nach Frankfurt kommen. Interpretieren darf man auch, daß uergen Boos nur einen Themenschwerpunkt dieser Buchmesse zum Mittelpunkt seiner Ausführungen machte: das Kinder- und Jugendbuch.

 

Das ist erstaunlich – und für uns sehr begrüßenswert. Denn einmal verspricht dies, daß Inhalte wieder das Sagen auf der Buchmesse haben, nachdem in den letzten Jahren die Digitalisierung, sei es E-Book oder sonst was sowie Urheberrechtsfragen und Veränderungen im Buchhandel vorrangig behandelt wurden. Zum anderen setzt die Buchmesse an den Leserinnen und Lesern an, die, wenn sie von Kindesbeinen anspruchsvoll durch Literatur unterhalten und gebildet wurden, selbstverständlich als junge und ältere Erwachsene ihre Lesetradition fortsetzen. Die Entscheidung der Buchmesse auf die Fokussierung dieses Bereichs hat natürlich auch mit dem Geschäft zu tun. Das Kinder- und Jugendbuch läuft und damit es noch besser und breiter und allgemeiner läuft, kann eine Schwerpunktsetzung auf der Buchmesse durchaus förderlich sein. Die Fachzeitschrift des Buchhandels, das Börsenblatt des Deutschen Buchhandels, hat auf jeden Fall schon einmal die Kinder zum Titel gemacht.

 

In Deutschland gibt es wohl weniger statistisches Material über deren Lesegewohnheiten. Auf jeden Fall führte Boos sowohl Zahlen aus dem Vereinigten Königreich vom Juli 2012 wie auch aus den Vereinigten Staaten. Erstere hatten einen um 25 Prozent gestiegenen Verkauf für Kinder- und Jugendbücher, letztere konnten sogar eine Steigerung von 300 Prozent vorweisen, wobei es allerdings ausschließlich um Digitalisierungen ging, sei es als E-Book oder sonstiges. Diese Zahlen sind deshalb so hoch, weil der Ausgangspunkt insgesamt noch niedrig ist. Man kann den Kurven auch entnehmen, wann im Ablauf der Veröffentlichungen wieder ein Renner wie Harry Potter oder jetzt die Panem-Trilogie erscheint, wie es überhaupt – hier durchaus wie früher – vor allem die Reihen, die Serien sind, die im Kinder- und Jugendbuch reüssieren.

 

 

Daß eine Schwerpunktsetzung für das Kinder- und Jugendbuch – von den rund siebeneinhalb Tausend Ausstellern entfallen etwa eineinhalbtausend auf diesen Bereich – eben auch eine gesellschaftspolitische Dimension hat, vermittelte Juergen Boos mit einem Zitat der Astrid Lindgren schlagend. Die hatte geäußert: „Alles Große, das in der Welt vollbracht wurde, spielte sich zuerst in der Fantasie eines Menschen ab, und wie die Welt von morgen aussehen wird, hängt zum großen Teil vom Maß der Einbildungskraft jener ab, die heute lesen lernen. Deshalb brauchen Kinder Bücher". Sie führte das übrigens 1958 in Florenz aus, als ihr die Hans-Christian-Andersen Medaille verliehen wurde. Neben der schon wegen Pippi-Langstrumpf modern bleibenden schwedischen Autorin, die, wie auch Klassiker wie Mark Twain mit Tom Sawyer oder Huckleberry Finn – der übrigens wegen seiner deftigen Schreibe oft auf ad usum delphini reduziert wurde – von heutigen Verlegern unangetastet bleiben, geht es Enid Blyton ganz anders. Die wird nämlich – wie Jürgen Boos verriet, wir haben da keinen Überblick – fortgeschrieben. Nein, nicht indem Abenteuer oder Geheimnisse dazu kommen, sondern indem die damaligen Bücher auf die heutige Zeit umgemodelt werden. Das heißt zum einen mehr Mädchen als literarisches Personal und vor allem spielen diese Mädchen eine größere Rolle und das heißt zum anderen, die Erziehungsmethoden im Buch an heute anzupassen, überhaupt die gesellschaftliche Wirklichkeit von heute in diese alten Bücher zu transportieren, denn die Geschichten selbst halten sich jung.

 

Das Jugendbuch hat schon länger eine Wirklichkeitsnähe erreicht, wenn beispielsweise Erkrankungen wie Krebs Hauptrollen spielen oder auch Geschichten von den Lesern weitergesponnen werden können, sollen, dürfen. Die heutigen Leser der Kinder- und Jugendbücher sprängen sofort auf Angebote an, die im Ping Pong Verfahren ihnen Reaktionen möglich mache, so daß ein interaktiver Dialog entstehe. Im übrigen hatte der damalige Buchmessendirektor Peter Weidhaas als Schwerpunktthema der Buchmesse 1978 „Das Kind und das Buch“ gebracht, allerdings auf einem anderen Hintergrund. Damals war Thema, daß die Kinderbücher zu stereotyp angelegt seien und Kinder zu Stereotypen neigten, was als Folge zum Status Quo, also der Zementierung der Verhältnisse beitrug. Die heutigen Kinder- und Jugendbücher seien als Manifest der Auseinandersetzung deshalb Aufgabe der Buchmesse, schloß Buchmessendirektor Jürgen Boos.

 

Inwiefern diese Entwicklung schon länger absehbar ist, kann man auch den Verlagensstrukturen selbst entnehmen. Es gibt nur noch ganz wenige Verlage, wie zum Beispiel Suhrkamp, die keine eigene Kinder- oder Jugendbuchreihe haben. Vor zehn Jahren hatte der Hanser Verlag seine eingerichtet, Rowohlt, Fischer, so viele haben eigene Abteilungen, daß es interessant sein dürfte, darauf auf der Buchmesse auch zu achten, denn die eigentlichen Kinder- und Jugendbuchverlage in Halle 3.0 werden eh im Mittelpunkt stehen.

 

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