Serie: Frankfurt liest ein Buch: Benjamin und seine Väter von Herbert Heckmann, Teil 2
Klaus Philipp Mertens
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Die Jury hätte gewarnt sein müssen.
Denn die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt, deren Präsident Herbert Heckmann von 1984 bis 1996 war, beteiligt sich nicht an dem Frankfurter Lesefest zu Ehren des 1999 verstorbenen Schriftstellers und Autors von „Benjamin und seine Väter“. Von einer Konkurrenz zwischen Darmstadt und Frankfurt ist in diesem Fall sicherlich nicht auszugehen. Eher schon von unterschiedlichen literarischen Messlatten. Und letztere scheinen die Verantwortlichen von Jahr zu Jahr abzusenken; möglicherweise, weil die Bücher für „Frankfurt liest ein Buch“ sonst ausgingen.
Was aber eigentlich nicht stimmen kann; denn die Stadt verfügt über sehr passable Autoren, die authentisches Frankfurter Lokalkolorit, Zeitgeschichte und persönliche Zeitzeugenschaft gekonnt miteinander zu verbinden verstehen. Peter Kurzecks Zyklus „Das alte Jahrhundert“ gehört dazu, auch Walter E. Richartz‘ „Büroroman“.
Allein das Programm von Jörg Schröders skandalträchtigem März-Verlag, 1969 in Frankfurt gegründet und trotz finanziellem Fiasko längst ein Teil der hiesigen Literatur- und Verlagsgeschichte, enthält Autoren, die sich mit den Problemen und Vorgängen der 60er und 70er Jahre dezidiert auseinandersetzten. Von den deutschsprachigen seien Paulus Böhmer, Ernst Herhaus und Gerhard Zwerenz als solche mit Bezügen zu Frankfurt und der Region erwähnt. Aber auch andere wie Rolf Dieter Brinkmann, Peter O. Chotjewitz, Heinrich Hannover, Wolfgang Neuss oder Bernward Vesper lohnen eine Neu- und Wiederentdeckung. Im Vergleich mit so viel literarischer Ausdruckskraft und kritischer Gesellschafts- und Politikanalyse mutet „Benjamin“ bieder und naiv an.
Man lese dazu die auf der Pressekonferenz zitierte Passage über Benjamins wirklichen Vater: „...er sei ein junger Leutnant gewesen mit einem stacheligen Schnurrbart, aber schon wenig später sprach sie von einem Bankier, der mit Orchideen erklärte, sie niemals zu enttäuschen, dann war es ein in vergangenen Zeiten heimischer Gelehrter, ein gut gekleideter Pferdeliebhaber mit Ahnenpflichten folgte...“. Das könnte als Skizze für eine zu verfassende Charakterzeichnung der Mutter und ihrer Liebhaber durchgehen. So aber fehlt das Filigrane, das zum Wesentlichen der Literatur gehört und diese von Oberflächlichem unterscheidet.
Zwar ist die bewusst kindlich gehaltene Perspektive ein durchaus erlaubtes Mittel, erfordert aber zwingend die spätere detaillierte Reflexion. Der 1930 geborene Heckmann schrieb den Roman als Erwachsener; die erste Auflage erschien 1962. Deswegen erwartet man eine konkretere Auseinandersetzung mit den Familienverhältnissen, vor allem aber mit Weimarer Republik und Nazi-Diktatur. Es reicht nicht aus, lediglich die historischen Kulissen zu beschreiben, ohne auf ihre Bedeutung einzugehen. Eine Erzählung, die den Anspruch erhebt, auch als zeitgeschichtliches Zeugnis gelesen zu werden, muss zur Aufklärung über die Verhältnisse in der Lage sein. Günter Grass hat das mit seiner „Blechtrommel“ eindrucksvoll bewiesen.
Aber auch das Frankfurt jener Jahre wird lediglich oberflächlich beschrieben, es bleibt blass und konturlos. Es reicht nicht aus, einige markante und bekannte Plätze zu nennen. Wer diese bei der Lektüre durch Zentren anderer Städte ersetzt, erkennt rasch die Austauschbarkeit. Diesem Roman fehlen inhaltlich die Merkmale der Authentizität und der Unverwechselbarkeit; literarisch vermisst man das Kunstvolle.
Frankfurt liest in diesem Jahr (erneut) kein gutes Buch.
Foto: Buchumschlag
Info:
Herbert Heckmann
Benjamin und seine Väter
Mit einem Nachwort von Peter Härtling
440 Seiten. Hardcover
Neuausgabe Februar 2017
Schöffling Verlag
Ladenpreis 22,00 Euro
ISBN 978-3-89561-482-8