Helga Faber und kus
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - In den Ausstellungsräumen der Bildungsstätte Anne Frank stehen die Umbauarbeiten kurz bevor, unterdessen macht die konzeptionelle Entwicklung des neuen Lernlabors „Anne Frank. Morgen mehr.“ große Fortschritte.
„Das Lernlabor wird das neue Herzstück unserer Einrichtung“, sagt Meron Mendel, Direktor der Bildungsstätte Anne Frank. Es wird am 12. Juni 2018, dem 89. Geburtstag von Anne Frank, eröffnet und die bisherige Dauerausstellung der Einrichtung ersetzen. „Ich persönlich kann das Lernlabor kaum erwarten, weil es angesichts der deutlichen Zunahme menschenfeindlicher Haltungen und Äußerungen einen dringenden Bedarf deckt: Wir nehmen die Geschichte von Anne Frank als Ausgangspunkt für eine Auseinandersetzung mit Antisemitismus, Rassismus und Diskriminierung in Vergangenheit und Gegenwart. Das heißt auch, die Geschichte von Nationalsozialismus und Holocaust auf innovative Weise mit Fragen, Problemen, Konflikten und Schieflagen in der Gesellschaft von heute zu verbinden. ‚Morgen mehr‘ ist Programm.“
Diskriminierung gestern und heute – das ist nicht dasselbe!
Diese Verbindung differenziert und zugleich jugendgerecht umzusetzen, ist nicht unkompliziert: „In der heutigen Zeit für Jugendliche eine Ausstellung zu Anne Frank zu machen, ist sowohl Chance als auch Herausforderung“, sagt Deborah Krieg, Kuratorin des Lernlabors. Anne Frank ist für viele Jugendliche bis heute ein Türöffner, sich mit der Geschichte des NS, aber auch allgemein mit Ideologien der Ungleichwertigkeit zu beschäftigen. „Das Lernlabor soll aber nicht die Botschaft vermitteln, dass Erfahrungen von Diskriminierung und Verfolgung gleichzusetzen sind“, sagt Krieg. Damit genau dieser Eindruck nicht entsteht, steht Anne Frank im Lernlabor zwar im Zentrum, sie ist aber nicht der einzige Ausgangspunkt für die Beschäftigung mit aktuellen Themen.
„Die Besucher und Besucherinnen begegnen auch anderen Jugendlichen, die in unterschiedlichen Zeiten auf unterschiedliche Weise von Ungerechtigkeit betroffen waren und diese kommentiert haben“, so Krieg. Charlotte L. Forten schrieb in ihrem Tagebuch über Rassismus in den USA des 19. Jahrhunderts; mit den Tagebüchern von Ana Novac und Arieh Koretz liegen Aufzeichnungen aus Auschwitz Birkenau und Bergen Belsen vor. Heutige Auseinandersetzungen mit Gesellschaft kommen vor: Der Blog der Friedensnobelpreisträgerin Malala Yousafzai sowie der Vlog von Jamie Raines, der von seinem Weg vom „Mädchen“ zum „Mann“ berichtet. Dieser Bogen erleichtert es, auch die jungen Besucher nach ihrer Meinung zu fragen.
Ausstellungstechnik, die Irritationen und Diskussionen ermöglicht
Das Lernlabor wird als pädagogisches Angebot vor allem für die Arbeit mit Jugendgruppen und Schulklassen konzipiert. Dabei werden die Jugendlichen von jungen Teamern, die von der Bildungsstätte ausgebildet wurden, nach dem Prinzip der peer education durch das Lernlabor begleitet. „An vielen interaktiven Stationen werden sich die Besucher und Besucherinnen mal individuell, mal in der Gruppe mit Geschichte und Gegenwart auseinandersetzen“, sagt Krieg. „Und natürlich kommt innovative Ausstellungstechnik zum Einsatz.“
Das Lernlabor beginnt mit Anne Frank, ihrer Geschichte und der ihrer Familie. „Für viele ist dabei die Frage nach dem Hinterhaus in Amsterdam, also dem Versteck, in dem Anne Frank ihr weltberühmtes Tagebuch schrieb, von besonderem Interesse“, sagt Deborah Krieg. Das „Virtuelle Hinterhaus“ macht das Versteck auch von Frankfurt aus erlebbar. Ein digitales „Lebendiges Buch“ wiederum erzählt die Geschichten aller Personen, die sich mit der Familie Frank zusammen versteckt hielten. Auch über die Helfer erfährt man mehr. Es wird Stationen zur Veröffentlichung des Tagebuchs und zur populärkulturellen Rezeption von Anne Frank in Film, Literatur und Comic geben.
Wie genau Antisemitismus, Rassismus, Sexismus, Homosexuellenfeindlichkeit und andere Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit funktionieren, wird an verschiedenen Stationen deutlich. Zum Beispiel macht mit „Racist Glasses“ eine harmlose Brille erlebbar, wie Stereotype entstehen. Im Anschluss an den Besuch des Lernlabors wird der Gruppe viel Raum zur gemeinsamen Diskussion mit den Teamern gegeben. „Wir lassen die Jugendlichen mit ihren Fragen und Irritationen nicht allein“, sagt Krieg.
Anne Franks Fragen zur Menschlichkeit sind heute wieder besonders aktuell
Auch die Stadt Frankfurt unterstützt das Lernlabor der Bildungsstätte. Bürgermeister Uwe Becker erklärt, warum: „Anne Frank wäre in diesem Jahr 88 geworden. Sie ist die bekannteste Tochter unserer Stadt, nicht weil sie danach gestrebt hätte, sondern weil diese Stadt sich ihrer in der Zeit des dunkelsten Kapitels unserer Geschichte unwürdig gezeigt hat und Mitschuld an Leid und Tod von Anne Frank trägt. Und die Worte von Anne Frank besitzen auch heute noch so viel an menschlicher Größe, dass es wichtig ist, die Erinnerung an sie wachzuhalten. Fragen zur Menschlichkeit einer Gesellschaft, die sie in ihrem Tagebuch niedergeschrieben hat, sind gerade heute wieder äußerst aktuell. Aus diesem Grund hat die Stadt Frankfurt am Main 125.000 Euro für die Mitfinanzierung der neuen Dauerausstellung zur Verfügung gestellt.“
Viel Lob bekommt auch die Einrichtung: „Mit der Bildungsstätte Anne Frank wurde vor Jahren bereits ein Ort der Erinnerung, der Begegnung und der Auseinandersetzung geschaffen. Die Bildungsstätte Anne Frank ist eine Bereicherung für die Stadt Frankfurt am Main. Mit ihrer Arbeit leistet sie einen wertvollen Beitrag zur Auseinandersetzung mit der Zeit des Nationalsozialismus und ihren Bezügen zur Gegenwart“, sagt Becker.
Vier starke Frauen aus Frankfurt unterstützen das Lernlabor
Mit Trude Simonsohn, Holocaustüberlebende und Ehrenbürgerin der Stadt Frankfurt, Bettina von Bethmann, Trägerin der Goetheplakette, und den beiden Journalistinnen Esther Schapira und Khola Maryam Hübsch unterstützen vier starke Frauen das Lernlabor der Bildungsstätte.
„Anne Frank zeigt mir: Unabhängig davon, wie schrecklich die Umstände sind, in unseren Gedanken sind wir frei“, sagt Schirmfrau Hübsch. „Anne Frank ist damit ein Symbol der Hoffnung und des Mutes – heute gerade auch für all jene, die unter Krieg und Flucht leiden. Ihr Vermächtnis ist ein Mahnmal für mehr Menschlichkeit und eine wichtige Botschaft in Zeiten der Krisen und Ängste.“
Esther Schapira sagt: „Bei Anne Frank denke ich sofort an dieses ‚Anne-Lachen‘, die Zuversicht eines jungen Mädchens, das fest daran glaubt, einen Platz in der Welt, eine Zukunft zu haben. Damit steht sie für so viele Leben, die brutal ausgelöscht wurden. Für so viele Menschen, denen die Zukunft genommen wurde und wird. Das nicht einfach hinzunehmen, ist ihr Vermächtnis und unsere Verpflichtung.“
Foto: Simonsohn, Krieg, Mendel, Becker © Bildungsstätte Anne Frank