Heinz Markert
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Am 9. November 2018, dem achtzigsten Jahrestag der von den Nazis staatlicherseits entfesselten Pogromnacht, begab sich zur achtzehnten Stunde das Gedenken an die Nacht, in der die Frankfurter Synagogen und jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger in der großen Frankfurter Stadtgesellschaft zum Objekt des Hasses, der Grausamkeit und der Gewalt wurden.
Dem Einbruch des Monströsen wurde von Mitbürgerinnen und Mitbürgern, die das mitbekamen, vorzugsweise zugeschaut, anstatt dagegenzuhalten.
Die ehemals herrlich anzusehende Synagoge an der Friedberger Anlage befand sich unmittelbar am Übergang zum Frankfurter Ostend, einem Stadtteil, der reichhaltiges jüdisches Leben, Kultur und Gläubigkeit repräsentierte, wurde 1907 in römisch-assyrisch-maurischem Stil erbaut, 1938 gewaltsam zerstört. Der Brand flammte über mehrere Tage, das Bauwerk schien sich den Flammen wiedersetzen zu wollen. Mit Hilfe von Benzin gelang das Werk der Zerstörung dann doch. Was von der Synagoge blieb, musste mit eigenem Geld der Geschädigten abgebrochen werden.
Die Synagoge, die für Schönheit und Fortschritt stand
Die meisten der Gemeinde wurden deportiert, nur eine Minderheit gelangte nach Palästina und in die Vereinigten Staaten, an den Hudson. Sie war das Jerusalem am Main und blieb es. Die Gemeinde existiert am Hudson noch. Frankfurter können damit rechnen, dort mit Freude empfangen zu werden. Auch Mitglieder von dort waren schon hier und haben mitgefeiert.
Diejenigen, die zum Gedenktag am 9. November am Ort stehen, befinden sich (um die Gedenktafel gruppiert) im Vorhof des Gebäudes. Die Synagoge war eine Pracht, unmittelbar am Anlagenring gelegen, ein Kirschbaum rahmte den Blick auf sie ein. Der Vorhof sollte die Übergangsphase von der Welt in die heilige Stelle verkörpern. Sie hatte einen Chor für die Frauen, sie saßen nicht im Parterre. Auch Schulräume gab es hier. Ein besonderes Schmankerl zum Abend des Gedenkens war die Auskunft, dass eine zu damaliger Zeit gefilmte Ansicht der Synagoge existiert, die am Abend an die hohe Mauer des gotteslästerlichen Hochbunkers, den die Nazis auf die Grundmauerreste klotzen, projiziert wurde. Ein amerikanischer Tourist, der damals die Frankfurter besuchte, hat die einzigen lebendigen Bilder der Synagoge produziert.
Erschreckende Entwicklungen in der unmittelbaren Gegenwart
Schon vor 1938 wurden Synagogen zerstört. Der Antisemitismus war schon lange vorher eine im deutschen Volk weit verbreitete gesellschaftliche Geisteskrankheit. Zuerst wurde noch in Handarbeit zerstört, vom Neunten auf den Zehnten 1938 dann aber mit Feuer, wie die einzigen verfügbaren Fotos vom brennenden Gotteshaus zeigen. Heute ist nun wieder ein steigender Antisemitismus zu verzeichnen, in allen gesellschaftlichen Bereichen, am schlimmsten in Schulen und Kindergärten. Das Wort Jude übernimmt die Funktion und Stellvertretung des allgemeinen Prügelknaben und Sündenbocks in der Welt. Die neuesten Anzeichen sind erschreckend für die Verfassung unserer Demokratie und Gesellschaft, verpackt in ausgestoßene Verbalinjurien, Beschimpfungen, auch sich in Übergriffen und Tätlichkeiten manifestierend. Abscheulich sind auch die Hasstiraden, die digitale Medien und Netzwerke wie Instagram und Facebook ununterbrochen in den Netzen verbreiten. Lehrer sind kaum befähigt, gegen die unselige wie zugleich bedauernswerte Brut anzukommen.
Gegen diese Entwicklungen müssen Demokratinnen und Demokraten dezidiert Stellung beziehen, Bedenken und Einsprüche sind auch in die eigenen Kreise zu tragen. Denn die Gefahr ist nicht gering, dass Entwicklungen ab einem bestimmten Punkt nicht mehr zu steuern sind. Verblendung, Hass und Populismus grassieren in Deutschland und der Welt. Es gibt kein Rezept, als entschieden Stellung zu beziehen, das ist das Gebot der Stunde. Es gilt die Devise: sich sofort einschalten.
Das Areal mit dem zynischen Hochbunker-Brutalismus der Nazis wird jetzt von der Stadt Frankfurt, vom Garten- und Grünflächenamt gepflegt. Ein Gebinde mit roter Kerze kommt noch in den Kernbereich. Der Bunker gehört der Stadt Frankfurt. Er ist das Domizil der Initiative 9. November e.V. mit ihren drei Ausstellungen. Die Kommune muss noch Veränderungen vornehmen. Der Zweckbau steht direkt auf den Fundamenten der Synagoge. Der Tatsache der Überlagerung sollte noch entsprochen werden, so wie es am Museum Judengasse hätte geschehen müssen, wo Funde von Häusern der ehemaligen Judengasse in großem Maße mit einem Zweckbau der Stadt überbaut wurden, ohne sie zu sichern. Um Geschichte zu lesen, braucht es völlige Offenheit, auch um gewappnet zu sein.
Korrespondierende Gedenkveranstaltung 11. November – an der Messe Frankfurt
1938 brannten in Deutschland 1400 Synagogen, Gebetsräume und weitere jüdische Versammlungsstätten. Mehr als 400 Juden wurden ermordet oder in den Suizid getrieben. In den folgenden Tagen wurden 30 000 Juden in Konzentrationslager verschleppt, Hunderte verloren dort in kurzer Zeit ihr Leben. Es war der Übergang zur systematischen Verfolgung und Vernichtung der Juden in Deutschland. Was damals vorging, war kein Volksaufstand, wie im Nachhinein gesagt, sondern Staatsterror. So auch das Eintreiben von dreitausend männlichen Juden in die Festhalle.
VVN-BdA verzeichnet gemeinsam mit der Initiative 9. November: “Es herrschten Unsicherheit, Angst und Panik. Die Festhalle bebte unter den Angstschreien der Zusammengesperrten. Daraufhin befahl der Gauleiter der NSDAP, Jakob Sprenger, dem verhafteten Bass-Opernsänger Hans Erl, aus Mozarts Zauberflöte die Arie ‚In diesen heiligen Hallen‘ vorzutragen“. Hans Erl wurde später, im Juni 1942, mit seiner Ehefrau Sofie Erl im KZ Majdanek oder im Vernichtungslager Sobibor ermordet.
„3 155 männliche Juden wurden in der Zeit vom 10. Bis 13. November 1938 aus der Festhalle über den Südbahnhof in die KZ Buchenwald und Dachau gebracht“. Obgleich an der Außenfassade der Festhalle zu den Vorgängen eine Gedenkplatte angebracht ist, die sich aber nicht im zaunfrei zugänglichen Gelände der Messe befindet, fordern die Initiativen „ein würdiges Mahn- und Gedenkareal im öffentlichen Bereich der Frankfurter Messe“. Immer wieder wird in einer Zeit der aus den Löchern kriechenden Neo-Nazi-Ideologie der Brecht-Ausspruch „der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem dies kroch“ zitiert. Diese Redewendung hat locker Ewigkeitswert, denn Brecht wusste jenseits aller empirischen Zeit, wie das schräg angelegte Weltsystem funktioniert.
© Heinz Markert (von der Projektion am Hochbunker abgenommen)
Info:
Die Ausstellungen im Bunker Friedberger Anlage 5-6: ‚Ostend – Blick in ein jüdisches Viertel‘, ‚Vom DP-Lager Föhrenwald nach Frankfurt in die Waldschmidtstraße‘, ‚Jüdische Musikerinnen und Musiker in Frankfurt 1933 -1942‘ (im Obergeschoß)
Zum Anlass des Gedenkens im Vorjahr wurde berichtet: