Neuer Oberbürgermeister in Hessens Hauptstadt wird nach Stichwahl Sven Gerich (SPD), Teil 2
Klaus Hagert
Berlin (Weltexpresso) – Natürlich ist nicht nur die fatale Geschichte und das unfaire Spiel der CDU die Ursache des Sieges des SPD Kandidaten. Man gewinnt auch, wenn man ein Programm vertritt, das für die Bevölkerung attraktiv ist und wenn man sich persönlich und parteipolitisch im Wahlkampf engagiert. Das haben Gerich und die SPD nach der verlorenen Wahl vor 14 Tagen getan und die CDU und Müller eben nicht!
Kleine Wahlanalyse der OB-Wahl zum 24. Februar 2013
Diesmal waren 205 405 Wiesbadener zur OB-Wahl aufgerufen, das sind 4 000 Wähler mehr als 2007 und gleichzeitig rund 4 200 Erstwähler. Rund 20 Prozent der Wähler sind Neubürger, kennen also auch die peinliche Geschichte der mehr als verpatzten Wahl 2007 nur vom Erzählen. Die Hälfte der Wähler ist über 50 Jahre. Das sind Jahrgänge, die wahlerprobt sind und von denen man weiß, daß sie im Alter immer mehr der CDU, dem (angeblich) Bewährtem, zuneigen. Zudem haben 21 000 ihren Stimmzettel per Briefwahl abgegeben. Aus Erfahrungswerten weiß man ebenfalls, daß dies vorwiegend CDU-Stimmen sind.
In den Hochburg der CDU hatte der CDU Kandidat Helmut Müller über 58 Prozent erreicht und lag damit rund 10 Prozentpunkte über dem CDU-Ergebnis der Kommunalwahl 2011. Das konnte auch Sven Gerich, der in seinen Hochburgen ebenfalls zehn Prozent über dem damaligen SPD-Ergebnis lag. Diesen Mehrwert konnten beide erreichen, weil die Kandidatin der grünen bei der OB-Wahl nur auf gut 9 Prozent kam, entgegen dem Kommunalwahlergebnis von 19, 1 für die Grünen.
Wie die Jugend abgestimmt hat, darüber haben wir noch nichts lesen können. Nur, daß sie kaum zur Wahl ging. Denn die 21 bis 35jährigen haben eine Wahlbeteiligung von unter 20 Prozent, und die 21 bis 25jährigen sogar nur 13,8 Prozent. Insgesamt lag die Wahlbeteiligung bei 33,6 Prozent, was heißt, daß nur jeder dritte Wahlberechtigte auch wählen ging und vor zwei Wochen die Stimmen zu 48 Prozent auf den Amtsinhaber Helmut Müller entfielen und zu 38, 4 auf den Herausforderer Sven Gerich.
Ergebnis der Stichwahl vom 10. März
Von den 205 405 Wahlberechtigten gingen 69 580 zur Wahl Ganz klar war der bisherige Bürgermeister Müller, der bis zum 2. Juli im Amt bleibt, Favorit, denn der zehn Punkte Vorsprung wäre normalerweise nicht aufzuholen gewesen, zumal die Grünenwähler keinen Anlaß hatten, eher SPD als CDU zu wählen, hatten doch die beiden Großparteien im Juni 2011 eine Große Koalition gebildet, nachdem die von CDU und Grünen zum Scheitern gebracht wurde. Am gestrigen Sonntag konnte nun Helmut Müller in der Stichwahl das bisherige CDU-Ergebnis um 1,2 Prozent auf 49,2 steigern, während es Sven Gerich gelang, um 12,4 Prozent auf 50,8 Prozent zu wachsen, was nur in geringem Umfang mit der erhöhten Wahlbeteiligung von nun 34, 1 Prozent zu erklären ist. . Er konnte aus dem Rückstand von 6 573 Stimmen auf nun insgesamt 35 350 Stimmen gelangen. Total spannend, aber für hier zu detailreich sind die Wahlberechtigen nach Geschlecht (Männer 97 256 Wahlberechtigte, Frauen 108 254) und Altersgruppen. Mit 17 765 Wahlberechtigten sind die 50 bis 60jährigen übrigens die zweitstärkste Gruppe und die stärkste diejenigen, die mit 20, 1 Prozent älter als 70 Jahre sind. Die 18 bis 21jährigen dagegen machen nur 2,3 Prozent der Wählermasse aus.
Kommen wir zurück zum Ausgangspunkt der Wahl 2007. Es heißt, daß die Wiesbadener SPD mit Sven Gerich einen handfesten und nicht verschlissenen Kandidaten hatte, der mit bürgerlichem Beruf, die Familie hat eine Druckerei, und einem offenen Wesen über den Stammwähler hinaus wählbar wurde. Kaum ein Wort fällt über den Amtsinhaber Helmut Müller, mit dessen Sieg allgemein gerechnet wurde. Man kann tatsächlich von ausgleichender Gerechtigkeit sprechen, denn Müller war moralisch anfechtbar zum OB geworden. Dies ist jedoch nicht nur seine persönliche Niederlage und die seiner CDU in Wiesbaden, sondern auch eine Schlappe für den hessischen Regierungschef Volker Bouffier (CDU). Da die Hessische Landesregierung die Bundestagswahl mit der Wahl des Hessischen Landtags auf den 22. September zusammengelegt hatte, weiß nun keiner mehr, ob das wirklich eine gute Idee war.
Die CDU auf jeden Fall stellt keinen der hessischen Oberbürgermeister mehr. Am Wochenende der Stichwahl in Wiesbaden fand in Hanau der Landesparteitag der SPD statt, für die ihr Vorsitzender Thorsten Schäfer-Gümbel als Spitzenkandidat ins Rennen um Hessen geht. In Hanau hatte der Kanzlerkandidat Peer Steinbrück deshalb ausgerufen: „Wir beide wollen gewinnen und uns hinterher wiederfinden in einer rot-grünen Bundesregierung!“, was ein enges Bündnis im Wahlkampf nach sich ziehen wird, da Steinbrück in Hessen wohlgelitten ist und Überschriften wie „Diesmal kein Fettnäpfchen“ dem Kandidaten Steinbrück eher nützen als schaden. In Hessen. Denn hierzulande hat man es gerne offen und mag das Verschwimmelte nur so lange, bis man es durchschaut.
Thematisch liegt man sowieso dicht beieinander. Soziale Gerechtigkeit ist eine Leitlinie, Gleichberechtigung von Geschlechtern und Bevölkerungsgruppen auch, die Steuern für Wohlhabende rauf, die für Minderbemittelte runter, ist auch eine gemeinsame Devise. Die beiden Kandidaten sind sich darüberhinaus einig, was zuvörderst abgeschafft gehört: das neue Betreuungsgeld und was für die Kitas derzeit noch übrig bleibt. Neben dem Programm gab es auch personelle Einigkeit. Der 'emeritierte' Landesfürst von Rheinland-Pfalz, Kurt Beck, erhielt die Holger-Börne-Medaille, in Gedenken an den Ministerpräsidenten des Landes Hessen von 1976 bis 1987. Das hat seinen tieferen Grund darin, daß ähnlich und doch anders wie das Trauma von 2007, der verhinderten Wahl eines SPD-OB in Wiesbaden, Kurt Beck eine hervorragend Rolle spielte, als die SPD-Frontfrau Andrea Ypsilanti nach allen Regeln der fiesen Kunst in Hessen von den Medien und der CDU demontiert wurde. Mutwillig, das weiß jeder, aber mit Erfolg.
Hessen bleibt also auch in den nächsten Monaten spannend. Erst recht, wenn Peer Steinbrück öfter mal vorbeikommt. Außerdem darf man gespannt sein, was der neue SPD Oberbürgermeister in Frankfurt, Peter Feldmann, mit den Wiesbadenern im Verbund für die Region vorschlägt, nachdem der Schulterschluß mit den Offenbachern und OB Horst Schneider schon gekappt hat.
P.S. Ganz nett unser Foto der siegesfreudigen Rotbeschlippsten. Allerdings ist man so viele Männer auf einen Streich ohne politische Frauen eigentlich nur aus der CDU und FDP gewohnt.