Eric Fischling
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Am Dienstag, 19. März 1944, warfen alliierte Bomberverbände während des Zweiten Weltkrieges ihre todbringende Fracht über Frankfurt ab und verwandelten die Innenstadt in eine Trümmerwüste. Exakt 75 Jahre nach diesem traurigen Ereignis gedachten am Dienstag Gäste auf Einladung von Oberbürgermeister Peter Feldmann der Verheerungen des Zweiten Weltkrieges und erinnerten an den Wiederaufbau Frankfurts. Der Stadtälteste und ehemalige Kämmerer Ernst Gerhardt berichtete von seinen persönlichen Erinnerungen an die Kriegszeit und die Entwicklung der Mainmetropole danach.
Gegen 21.15 Uhr hatten die Sirenen geheult. 846 Bomber der Royal Air Force legten die historische Innenstadt in Schutt und Asche. 400 Menschen starben in der Nacht und 55.000 wurden obdachlos. 7000 Häuser zerstörte der Angriff. Doch das war erst der Anfang. Vier Tage später folgte die zweite Bomberwelle. Noch einmal starben 1001 Menschen, 120.000 Frankfurter verloren ihre Wohnung. Bis zum Kriegsende sollten noch etliche kleinere Angriffe dazukommen. Als die Waffen endlich schwiegen, zählte Frankfurt zu einer der am stärksten zerstörten Städte Deutschlands.
Doch diese statistische Beschreibung bleibt unvollständig. Hierauf wies Oberbürgermeister Feldmann in seiner Gedenkrede hin. „Das sind Zahlen. Zahlen können nichts erklären. Sie können uns nicht fühlen lassen, wie sich die Frankfurterinnen und Frankfurter damals fühlten. Sie sagen nichts über die Todesangst, das Ausgeliefertsein, die Trauer und den Schmerz beim Anblick der Ruinen“, sagte das Stadtoberhaupt.
Die Zeit von damals hole einen nur manchmal ein. Wenn dies geschehe, dann mit Wucht, erklärte Feldmann. Dabei bezog er sich auf den Sommer 2017. Damals wurde bei Bauarbeiten eine nicht detonierte Weltkriegsbombe gefunden. Um den Blindgänger sicher entschärfen zu können, hatten während der umfangreichsten Evakuierungsaktion in der Geschichte der Bundesrepublik mehr als 60.000 Menschen ihre Wohnungen verlassen müssen.
Auch wenn heute nur noch wenig in der Stadt an den Krieg erinnere, sei es wichtig, „in Zeiten, in denen wieder gezündelt wird“ das Gedenken aufrechtzuerhalten. Dieses Erinnern verfolge zwei Ziele. Zum einen, „den Gedanken an Krieg, Zerstörung und unermessliches Leid aufrechtzuerhalten“. Dazu gehe es darum, jeglicher Umdeutung von Geschichte entgegenzutreten. „Da stehen auf einmal die Deutschen als Opfer eines Krieges dar, den sie selbst vom Zaun gebrochen und selbst entfesselt haben“, unterstrich der Oberbürgermeister.
Die positive Kehrseite dessen, „den Frieden unter europäischem Dach“, nannte er ein „von Menschen gemachtes Wunder“.
Zugleich spannte das Stadtoberhaupt den Bogen zur 2017 eröffneten neuen Altstadt. „Es ist ein neues Viertel geworden, ganz anders als vor den Bombennächten.“ Zwar entspreche die Altstadt in Teilen dem historischen Vorbild, atme aber den Geist der heutigen Mainmetropole: „Frankfurt ist heute international. Weltoffen und liberal ist es weit weg von jenen dunklen Jahren unter den Nazis. Dass es jemals wieder solche Zeiten gibt, dagegen müssen wir uns als aufrechte Demokratinnen und Demokraten wehren. Wir müssen kämpfen für die Werte, die gerade hier in der Paulskirche entscheidend vorangebracht wurden.“
Stadtältester Ernst Gerhardt, 1921 im Stadtteil Bockenheim geboren, ist einer der wenigen Frankfurter, die sich noch an die Altstadt vor ihrer Zerstörung im Zweiten Weltkrieg erinnern. Sehr bewegend schilderte er seine Eindrücke im Zeitzeugengespräch mit dem Oberbürgermeister. Gerhardt sah die gerade zerstörte Altstadt während eines Heimaturlaubes kurz nach den Angriffen. Gerhardt war lange Jahre in der Kommunalpolitik aktiv. Seit 1956 als Mitglied der Stadtverordnetenversammlung, vier Jahre später als hauptamtliches Magistratsmitglied und von 1978 bis 1989 als Stadtkämmerer.
„Ich ging in die Altstadt und stieg auf einen glühenden Berg Trümmer. Es war ein Bild des Jammers. In meiner Seele war ich sehr, sehr traurig“, erinnerte sich Gerhardt.
Nach dem Krieg seien die Menschen in der Stadt über dessen Ende sehr glücklich gewesen. Und: „Sie haben nicht gejammert. Ihnen ging es ums Überleben“, sagte der Grandseigneur der Frankfurter Kommunalpolitik. Die Bürger hätten weder Zeit noch Interesse gehabt, sich um den Wiederaufbau der Altstadt zu kümmern. „Erst mit zunehmendem Abstand zum Krieg konnten sich die Menschen diesen Ideen zuwenden.“
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