katzbach klein Die letzten Zeugen1Der 24. März markiert in jedem Jahr wieder den Endpunkt der Ausbeutungs- und Vernichtungsmaschinerie am Industriestandort Adlerwerke

Heinz Markert

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Der Endpunkt ist durch die ‚Evakuierung‘ letzter verbliebener Häftlinge des KZ Außenlagers „Katzbach“ (Deckname) in den Adlerwerken‘ bezeichnet. Die Exterminierung, das Treiben der Überlebenden auf einen letzten Marsch nach Buchenwald und Dachau, war im System des Nationalsozialismus eingeplant, lag in der Konsequenz seiner tödlichen Logik.



Zuletzt verbliebene Häftlinge, überwiegend Polen des Warschauer Aufstands von 1944, wurden am 24 März 1945 auf einen Evakuierungsmarsch nach Buchenwald getrieben, der ihnen zum Todesmarsch wurde. Dieser Zeitpunkt, der einen Endpunkt markiert, wird am ehemaligen Industriestandort ‚Adlerwerke‘ in jedem Jahr wieder zum Anlass, des Abschluss-Verbrechens und Leidens, das von diesem Block im Gallus-Viertel Ausgang nahm, zu gedenken. Die Stadt Frankfurt musste erst lange dazu getragen werden, damit das zeitliche Gedenken zur akzeptierten Einrichtung wurde.


Von den zuletzt Fortgetriebenen trafen am 30. März 1945 etwa 280 Häftlinge in Buchenwald ein, Zwangsarbeiter im System der Vernichtung durch Arbeit, das von der Dresdner Bank mitgetragen und von der SS organisiert wurde. Einige überlebten im Krankenblock, andere wurden weiter ins KZ Dachau getrieben. Von diesen letzten erreichten am 27.04.1945 knapp 40 Häftlinge Dachau. Dort wurden sie zwei Tage später von der US-Armee befreit.

Von einem „Bestand“ von 874 Insassen am 12. März 1945 blieben am Ende des Todesmarschs 40 Häftlinge am Leben, wobei 12 Tage zuvor schon ca. 500 Sterbende, Todkranke und Marschunfähige mit dem Zug nach Bergen Belsen evakuiert worden waren, von denen lediglich 8 überlebten. Bevor der Zug sich in Bewegung setzte, stand er drei Tage und Nächte auf den Geleisen. Die ursprüngliche Zahl der KZ-Häftlinge, die aus SS-Beständen stammten und gegen Ende der NS-Herrschaft an die Werke überstellt wurden, betrug 1600.

Daneben arbeiteten 2000 Zwangsarbeiter*innen aus Kriegsgefangenschaft, die im Massenquartier in F-Griesheim untergebracht waren, im Werk zu äußerst unmenschlichen Bedingungen. - 528 Häftlinge starben im Lager (der Adlerfabrik). Diese belegen ein Massengrab auf dem Frankfurter Hauptfriedhof.


Zur Einführung in die Gedenkveranstaltung am 24.03.2019 hatte der Vorsitzende des Fördervereins Gedenkstätte KZ-Katzbach in den Adlerwerken Horst Koch-Panzner geladen: Winfried Becker, den Leiter des Gallus-Theaters, in dem die Veranstaltung stattfand, die Frankfurter Stadträtin Elke Sautner und Andrzej Dudzinski, Konsul der Republik Polen.

Es sprach auch: Helga Roos von der Geschichtswerkstatt Gallus, deren Sujet die Arisierungspraxis war und Thomas Schmidt, Pfarrer im Gallus. In gezeigten Filmsequenzen kam am Schluß des Abends der Zeitzeuge Korczak Branecki mit seinen Erinnerungen an das „geheime“ KZ-Außenlager Katzbach des Konzentrationslagers Natzweiler zum Vortragen. Eine Disk dieser Sprechszenen ist erhältlich. Es begleitete das Schirn Saxophonquartett.


Nach 10 etablierten Gedenken wäre eine Gedenk- und Bildungsstätte an der Zeit

Der Abend des Gedenkens war vom Umstands des Verschwindens der Zeitzeugen überschrieben, von denen Korczak Branecki noch einer ist. Aus Anlass des ersten Gedenkens 2005 hatten alle Kirchenglocken im Umkreis geläutet. Es war der Wendepunkt für die Initiativen zum ‚KZ-Außenlager Katzbach in den Adlerwerken‘, aber endlich dann auch für die Stadtverwaltung. Das Gedenken müsste im Zug des Verschwindens der Zeitzeugen nun auch in einer bleibenden Stätte institutionalisiert werden.

Elke Sautner, Stadträtin, sprach an, dass die Vorgänge um das Konzentrationslager auf der Ebene der Stadt viel zu lange verdrängt und beschwiegen wurden. Auch die Beschäftigten der Adlerwerke wachten argwöhnisch darüber, dass die Marke Adler nicht durch ‚unangenehme Erinnerungen‘ beschädigt wurde. Seit September 1999 war das Gedenken, das im Jahresrhythmus begangen wird, im Gallus verankert.

Es ist schwer zu begreifen, dass Taten, in denen Menschen aufs schwerste gequält und brutal ermordet wurden, solange verdrängt, ja geradezu verleugnet werden konnten. Die Republik Polen, vertreten durch Andrzej Dudzinski wird sich am Aufbau einer Gedenkstätte beteiligen. Der Konsul wies darauf hin, dass der Jahrestag des Überfalls auf Polen 80 Jahre zurückliegt und des Warschauer Aufstands zum 75. Mal gedacht wurde.


Das vorrückende Flechtwerk der Arisierungen um die Adlerwerke, die von einem Konsortium von Banken und der Logik des Kapitalismus - die heutzutage von den Praktiken der blutigen Handys bestimmt wird – vorangetrieben wurde, stellt sich als eine lange Reihe abgrundtief hundsgemeiner Handstreiche dar, die nach und nach eingefädelt und abgewickelt wurden.

Helga Boss wusste zu dieser Geschichte am Gedenkabend präzise zu berichten. Bei all diesem Abgrund fängt einem immer wieder der Kopf zu schwirren an. Man kann es immer wieder nicht recht glauben, was sich in diesem Land zutrug. Sie lieferte das treffende Zitat zu dem zweiten Kern des Nationalsozialismus: „Wer vom Kapitalismus nicht reden will, sollte vom Faschismus schweigen“ (Max Horkheimer).


Den in jenen Tagen aktiv Handelnden wurden nach dem Tausendjährigen Reich Persilscheine ausgestellt und Wiedergutmachungen wurden verworfen. Die kommende Gedenkstätte soll auch eine Bildungsstätte sein, wie Gallus-Pfarrer Thomas Schmidt forderte, weil der geistige Untergrund einer immerwährenden Neu-Bewertung und unabschließbaren Aufklärungsarbeit bedarf. Es ist der wohl einzige Forschungsgegenstand, der keinen Abschluss finden kann, weil das unbändig Böse – ein Terminus, den der Pfarrer einführte – eine supranaturale Kategorie ist.

Wiedererinnerung ist Bedingung von Erlösung

Die Gedenkstätte soll ein Ort gegen die Gleichgültigkeit werden. Erinnern ist mehr als ein Zurückdenken und Zurückschauen. Es meint das In-Gegenwart-Setzen, nach jüdischem Brauch, wie es Salomon Korn einstmals in die Runde warf. Der Messianismus des Judentums bedingt etwas, das ins größere Rund der Welt noch nicht genügend eingewandert ist. Am Ende eines Gedenktages bekommt die theologische Schriftweisheit das ihr zustehende Hausrecht dann doch noch zugesprochen.

Es sei indes schon irgendwie auch merkwürdig gewesen, wie die Wärter des KZ Katzbach im Gallus, in unmittelbarer Umgebung der Stätte der Erniedrigungen von Menschen der eigenen Art, woran sie selbst beteiligt waren, ihr Bier entspannt trinken konnten.

Sie verhielten sich nicht nur gottvergessen, sondern auch natur-, seins- und selbstvergessen.


Foto © galluszentrum.de

Erklärung zum Foto: „Auf der Grundlage von drei Zeitzeugenberichten aus dem Buch „Die letzten Zeugen“ von Joanna Skibinska, haben sich 23 Jugendliche eines PoWi- Leistungskurses filmisch in die letzten Kriegsjahre in den Frankfurter Adlerwerken hineinversetzt. In den daraus entstandenen dokumentarischen Kurzfilmen spiegelt sich auf eindrucksvolle Weise, wie die filmische Auseinandersetzung, jungen Menschen ermöglicht eine Beziehung zur Geschichte des 2. Weltkrieges aufzubauen“. (entnommen: Gallus Zentrum, Jugendkultur und Neue Medien)


Vormals wurde berichtet:

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