Pelin Abuzahra
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Homeschooling bleibt in Deutschland und in Frankfurt auf der Tagesordnung. Für die Schülerin Mona Ali ist das seit gut neun Monaten bereits Alltag. Die 14-Jährige leidet unter leichtem Asthma und ihr Arzt hat im Frühjahr vergangenen Jahres dazu geraten, dass sie während der Pandemie nicht mehr am Präsenzunterricht teilnehmen sollte. Die Schülerin des Gymnasiums Nord ist ihrer Gesundheit zuliebe diesem Rat gefolgt. Für die Schulleitung und die Lehrer war es klar, dass Mona von zu Hause unterrichtet wird – auch nach den Sommerferien, als die meisten Schüler wieder am Präsenzunterricht teilnehmen konnten.
„Zu Beginn des Homeschoolings war die Ungewissheit groß. Wie wird dieser ‚Zuhause-Unterricht‘ sein? Die gesamte Lockdown-Situation war unheimlich. Die Schließung der Schulen zeigte, dass die Situation ernst ist und wir Schüler dazu beitragen müssen, andere zu schützen“, erklärt Mona.
Ihr Schultag beginnt meist um 8.30 Uhr am Schreibtisch in ihrem Zimmer. Fürs Homeschooling benötigt sie Laptop, Tablet und ein Handy. Kommuniziert wird über das Schulportal LANiS des Landes Hessen. Darüber kann sie ihren Lehrern schreiben, Dokumente wie Hausaufgaben oder Aufgabenblätter down- und uploaden. „Das ist eine optimale Plattform. Zudem nutzen wir für Videokonferenzen Tools wie Zoom oder Big Blue Button. Das klappt gut“, sagt Mona. Die Online-Sessions mit ihren Lehrern finden meist zwischen 8 und 18 Uhr statt – dafür gibt es einen Stundenplan. „Dafür nutze ich den Laptop – meine Notizen während dieser Gespräche mache ich mit dem Tablet“, erklärt die Schülerin. Die Online-Sessions finden ausschließlich für Mona statt. Während ihre Mitschüler im Klassenraum sitzen und dem Unterricht folgen, bearbeitet Mona alleine ihre Aufgaben in ihrem Zimmer. Ihre Lehrer stehen dann zum virtuellen Unterricht für sie bereit, alles durch einen Stundenplan geregelt. Dieser Unterricht wird nur für sie gehalten.
„Das ist wie im Unterricht, nur sitzt man eben nicht im Klassenraum. Man bekommt die Aufgaben, die Lehrer erklären diese und fragen, ob alles soweit klar ist. Offene Fragen klären wir gemeinsam und dann bearbeiten wir Aufgaben auch mal zusammen“, erklärt Mona den Ablauf – nach einem dreivierteljahr Routine für die Frankfurter Schülerin. Der Lehrer ist in diesen Online-Sessions immer dabei, je nach Stundenplan 45 oder 90 Minuten lang. Inhaltlich sei sie zufrieden. Sie habe nicht das Gefühl, dass sie etwas verpasse oder benachteiligt sei, was den Unterricht angeht. Doch eines fehlt ihr sehr: ihre Freunde, Mitschüler und Lehrer. „Ich vermisse die Schule als Ort. Ich bin gut sieben Jahre zur Schule gegangen und plötzlich kann ich nicht mehr hin“, sagt Mona. Den Kontakt zu ihren Freunden und Mitschülern hält sie seit Monaten virtuell über verschieden Plattformen. Das Schulgebäude betritt Mona nur für Klassenarbeiten. Diese schreibt sie in einem Einzelraum. „Der beste Zeitraum dafür ist 7 Uhr oder 13.45 Uhr, da sind dann keine Schüler auf dem Hof oder im Schulgebäude. Der Fachlehrer sagt mir, in welchem Raum ich die Arbeit schreiben werde. Dort bin ich dann unter Aufsicht alleine.“
Viel Disziplin und Selbstorganisation sind gefragt
Die Achtklässlerin hat im Frühjahr gar nicht gewusst, wie sie mit der Lage umgehen soll. Anfangs sei es schwierig gewesen, sich da einzufinden. „Meine Mutter hat mir geholfen, in all das eine Struktur reinzubringen und wir haben einen Plan gemacht. Sie hat mir gezeigt, organisiert zu sein und mich auch motiviert, Neues auszuprobieren. Homeschooling verlangt viel Disziplin und Selbstorganisation. Man muss umdenken und flexibel sein. Auch wenn die Startbedingungen nicht die besten waren, so denke ich, dass wir Schüler das Beste daraus gemacht haben“, sagt Mona.
Sie hat sich mit dem Programm One Note eine Art Hausaufgabenheft und Checkliste angelegt, auch ihre Notizen legt sie dort ab. Deutsch, Mathe, Spanisch, Ethik, Musik, Geschichte, Erdkunde, Chemie, Physik, Biologie und Sport sind einige der Fächer, die Mona nun per Videokonferenz mit ihren Lehrern lernt. Auch Sport wird per Unterricht zuhause vermittelt – sie bekommt Übungen und Aufgaben, die sie dann zuhause macht. Zudem steigt sie jeden Tag für 20 Minuten auf ihren Crosstrainer. „Homeschooling könnte über die Pandemie-Zeit hinaus weitergehen – nicht als kompletter Ersatz, aber im Wechselmodell“, sagt Mona. Auch wenn anfangs eine große Unsicherheit herrschte, sieht sie nach neun Monaten Homeschooling die Situation anders: „Ich blicke optimistisch in die Zukunft. Wir sind durch die Pandemie auch zusammengewachsen. Haben in Sachen Digitalisierung der Schule viel vorangebracht. Ich mag den Satz von Goethe: ‚Alles ist schwierig bevor es einfach ist.‘ Und es ist einfacher geworden. Die Unterrichtstunden sind entzerrt und ich habe einen Stundenplan wie alle anderen Schüler auch.“ Und wenn sie doch mal nicht weiterkommt mit einer Aufgabe, dann schreibt sie ihren Lehrern, die schnell antworten, oder fragt die Eltern oder den älteren Bruder. Dennoch ist ihr größter Wunsch, dass die Pandemie vorbei ist.
Die Notlösung brachte einen Erfahrungsschatz hervor
Thekla Ahlrichs ist Lehrerin am Goethe-Gymnasium und könnte täglich in die Schule gehen und unterrichten, doch ihr Mann ist Hochrisikopatient. Wenn sie sich infizieren würde, dann hätte das fatale Folgen für ihn. „Da beginnt eine Gedankenkette mit schlimmen Szenarien und diese hat man ständig im Kopf“, beschreibt sie ihre Sorge. Die Lehrerin liebt ihren Beruf und möchte weiterhin unterrichten. Der Schulleiter Claus Wirth ermöglicht, dass sie von zuhause aus unterrichten kann – seit dem Ende der Sommerferien. Die 60-Jährige unterrichtet die Fächer Deutsch, Ethik und Informatik, zudem ist sie IT-Beauftragte des Goethe-Gymnasiums. Vormittags unterrichtet Ahlrichs von ihrem Arbeitszimmer aus, nachmittags, wenn die Schüler wieder zuhause sind, geht sie dann in die Schule, um als IT-Beauftragte zu arbeiten.
Während des Unterrichts sieht sie die gesamte Klasse auf ihrem Bildschirm. „Aber, wenn ein Schüler möchte, kann er seine Kamera auch ausschalten“, erklärt sie. Der Unterricht bei Thekla Ahlrichs beginnt für ihre Schüler um 7.30 Uhr zuhause am Computer. Nach der Unterrichtsstunde fahren die Kinder dann zum Präsenzunterricht. „Ich bin mit Leib und Seele Lehrerin, mir fehlt der persönliche Kontakt zu meinen Schülern und zu meinen Kollegen. Aber für den Schutz meines Mannes verzichte ich auf all das. Seine Gesundheit ist mein Motor, um das auszuhalten“, sagt die Lehrerin.
Für das Lehrerkollegium war das Unterrichten von zuhause aus auch Neuland. Ahlrichs war die erste am Goethe-Gymnasium, die es ausprobiert und für alle optimiert hat. Ihre IT-Kenntnisse und ihre Stellung als Beauftragte für diesen Bereich waren dabei sehr hilfreich. „Ich war ganz neugierig zu schauen, wie es am besten geht. Ich bin eine Tüftlerin, ich habe ein Konzept erarbeitet, Dinge ausprobiert und es hat geklappt“, berichtet Ahlrichs. Bis zu den Herbstferien habe sie sieben Wochen Erfahrung gesammelt und ihr Konzept sei aufgegangen; das Feedback ihrer Schüler sei sehr gut gewesen: „Die Notlösung brachte einen Erfahrungsschatz für alle, das Wissen habe ich meinen Kollegen weitergegeben. Wir alle sind in der Lage, optimal online zu unterrichten. Ich bin sehr stolz auf unsere Schule.“ Auch Schüler und Eltern hätten das mit Verständnis aufgenommen und die Maßnahme mitgetragen: „Ich bin dankbar für die Solidarität der Schüler, Eltern und des Elternbeirats.“
Unterrichten bedeutet auch eine Beziehung aufbauen
Wie Mona Ali kommuniziert auch Ahlrichs mit ihren Schülern neben den Videokonferenzen über Lernplattformen. Dort sendet sie ihren Schülern Aufgaben und Hausaufgaben zu, empfängt die erledigten Aufgaben ihrer Schüler, um sie zu korrigieren und Feedback zu geben. Auch die Lehrerin musste ihren Tag neu strukturieren. „Normalerweise habe ich viel Bewegung im Schulalltag. Jetzt sitze ich viel am Schreibtisch und mein Bewegungsradius ist auf die Wohnung beschränkt.“ Ahlrichs fehle das Dynamische des Schulalltags. Wenn sie und ihr Mann geimpft werden, kann die Lehrerin wieder am Präsenzunterricht teilnehmen. „Wieder vor den Schülern zu stehen, darauf freue ich mich am meisten. Unterricht heißt nicht nur Wissen vermitteln, sondern Bezug zu seinen Schülern haben. Im Klassenraum kriegt man jeden Schüler mit – wie ist die Stimmung, welcher Schüler ist traurig oder in sich gekehrt, welcher ist aufgekratzt? Da kann ich als Lehrerin besser reagieren und nachfragen, was los ist. In dieser Beziehung ist Homeschooling ein gewisser Kontrollverlust für den Lehrer“, sagt Ahlrichs.
Eine positive Seite des Homeschoolings betonen Mona Ali und Thekla Ahlrichs: Die Pandemie hat der Digitalisierung der Schulen und des Unterrichtens einen enormen Schub beschert. „Technisch haben wir viel vorangebracht. Und die Schüler mussten sehr viel schneller lernen, mit Programmen wie Word oder PowerPoint zu arbeiten und all diese Dokumente strukturiert abzulegen und abzurufen. Viele Jugendliche sind fit im Umgang mit Smartphones, aber das Arbeiten mit Programmen müssen sie lernen und das ist im vergangenen Jahr sehr viel schneller geschehen. Ich bin auch sehr dankbar, dass jeder Schüler, der es sich nicht leisten konnte, vom Bildungsdezernat mit entsprechender Hard- und Software ausgestattet wurde“, sagt Ahlrichs.
Für die Schülerin Mona Ali und der Lehrerin Thekla Ahlrichs gibt es jedoch nur einen Wunsch für das neue Jahr: Endlich wieder in die Schule gehen zu können und Freunde, Mitschüler und Kollegen wiedersehen.
Fotos:
Die Schülerin Mona Ali in ihrem Zimmer mit Laptop und Tablet während des Homeschoolings
©Stadt FFF, Salome Roessler
Die Schülerin Mona Ali mit ihrer Mutter Jhaleh Mortezaie im Homeschooling
©Stadt FFF, Salome Roessler
Die Lehrerin Thekla Ahlrichs in ihrem Arbeitszimmer während des Online-Unterrichts
©Stadt Frankfurt, Holger Menzel