Hubertus von Bramnitz
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Das paßt uns gerade gut, daß wir nicht theoretisch das Wahlprozedere erklären müssen, sondern für die Hintergründe, die zu den Möglichkeiten von Kumulieren und Panaschieren geführt haben, an einem echten Beispiel : die Frankfurter Stadtverordnetenversammlung mit 93 verfügbaren Plätzen vorführen können. Jörg und Gisela haben darüber eine echte Diskussion geführt und wie Sie gleich sehen werden, stellt sich Jörg etwas an, hat aber in Gisela eine kundige Wahlinterpretin.
Jörg: Noch knapp eine Woche bis zur Kommunalwahl nächsten Sonntag. Und ich weiß immer noch nicht, wenn ich wählen soll.
Gisela: Da bist Du nicht allein. Bei diesen vielen Listen mit unzähligen unbekannten Namen. Ich habe sie durchgezählt: 28 Listen! Bei den vielen Namen habe ich dann gestreikt. Dabei wollte ich schauen, wie es sich mit den Männern und den Frauen verhält. Im Überblick: viel mehr Männer!
Jörg: Ich könnte ja ein Kreuz bei einer der mir sympathischeren Parteien machen, ab da gibt es sicher auch solche und solche. Das wäre einfach, gefällt mir aber nicht.
Gisela: Mir auch nicht, ich werde mischen. Ich wähle eine Partei und ergänze sie mit einigen Kandidatinnen aus anderen Parteien. Das heißt dann „PANASCHIEREN“ = „Dazu Wählen“.
Jörg: Wie das? Ein Kreuz beispielsweise oben bei der SPD und ein Kreuz den Linken und eines bei der CDU?
Gisela: Nein, dann wäre Deine Wahl ungültig. Richtig wäre: ein Kreuz oben bei der SPD, und bei Dir bekannten Kandidaten aus der Linken jeweils hinter den Namen eines oder mehre x, und wenn Du noch mehr mischen willst, noch Kreuze bei Frauen und Männern aus weiteren Parteien.
Jörg: Ich kann dann bei einem einzelnen Kandidaten beliebig viele x machen?
Gisela: Nein, nur maximal drei xxx – sonst machst Du Deinen Stimmzettel ungültig. Aber Du kannst bei mehreren Kandidaten jeweils drei xxx ankreuzen. Und natürlich nicht endlos, denn am Schluss dürfen bei Dir insgesamt nicht über 93 Stimmen stehen. Also: Ein Listenkreuz oben + maximal 91 unten, dann hast Du die beiden ersten von der Liste sowie 91 weitere Personen gewählt.
Jörg: Zeig mit das doch einmal an einem Beispiel!
Gisela: Gut, als Beispiel die Liste der GRÜNEN. Wenn ich nur ein x oben auf der Liste GRÜNE mache, dann wären von mir alle 93 Kandidatinnen und Kandidaten dieser Partei gewählt. Das will ich aber nicht. Da sind dann auf der Liste in der Reihenfolge vor allem Jüngere, die als Frauen oder auch als Männer frischen Wind bei den GRÜNEN reinbringen. Finde ich gut. Aber nur neue Leute, da würde dann im Verhandeln mit den anderen Fraktionen die Erfahrung und das Wissen der Älteren fehlen. Also mache ich bei einigen der älteren Herrschaften zusätzlich eines oder mehrere Kreuze. Das ist das, was „KUMULIEREN“ heißt, „Häufeln“.
Jörg: Aha. Ich kenne aber nur wenige der Kandidatinnen und Kandidaten aus der Zeitung. Sag doch noch was zu den Personen bei den GRÜNEN!
Gisela: Also auf Platz 32 steht der Name Uli Baier. Nicht mehr jung, sondern 81 Jahre. Aber seit vielen Jahren ein in Frankfurt bekannter Politiker. Das sieht ja doch danach aus, als ob man ihn wegen seiner Bekanntheit auf der Liste haben wollte, aber nicht bei den dann Gewählten.
Jörg: Ja, den Namen habe ich schon gehört, aber was hat er denn gemacht und wofür ist er bekannt?
Gisela: Beruflich früher bei der VHS, der Fachhochschule, heute Dozent an der Universität des 3. Lebensalters. Seit 1989 im Stadtparlament, vorher aktiv bei Bürgerinitiativen und im Ortsbeirat 1, dem Stadtteilparlament für Innenstadt und Gallus. Jahrzehntelang planungspolitischer Sprecher der GRÜNEN und stellvertretender Vorsitzender des Stadtparlaments. Vielleicht sage ich Dir, was ich über ihn recherchiert habe und für was er inhaltlich steht. Auf seinem Flyer findest Du seine drei Kern-Sätze:
- Klima- und Artenschutz
- Frankfurt gehört allen
- Die Schwächeren stärken
„Klima- und Artenschutz“ stehen ja bei den GRÜNEN weit oben. In den 90er Jahren haben sie mit Tom Koenigs den Frankfurt GrünGürtel durchgesetzt.. Uli Baier war damals Vorsitzender des Sonderausschuss zu diesem Projekt, und nach anfangs großem Widerstand aus der CDU waren am Ende alle dafür.
„Frankfurt gehört allen“: Ein Slogan, der neuerdings von einigen Bürgerinitiativen propagiert wird. Für Uli Baier hieß das, die Bürger breit und intensiv zu beteiligen. Dies hat er maßgeblich vorangetrieben bei den Vorplanungen zum Europaviertel, Ergebnis dort: ein großer Park, ein Minimum an Sozialwohnungen damals nicht erwünscht, und das Projekt Soziale Stadt Gallus unter anderem mit der Küche für Auszubildende Startorante und der neu gestalteten Frankenallee. Später engagierte er sich für eine groß angelegte Bürgerbeteiligung beim KulturCampus und der Neuen Altstadt. Heute ist ihm mehr Raum für Fuß-und Radverkehr wichtig, einfache Einkaufsmöglichkeiten für Ältere in den Stadtteilen und eine ansprechende Architektur.
Jörg: Ja, sag mal, da bist Du ja blendend informiert. Kennst Du ihn denn, bist Du ein Groupi?
Gisela: Ha,ha, nein, ich kenne ihn nicht persönlich, aber da ich häufig Veranstaltungen von und über die Stadt besuche, und er oft öffentlich auftritt, kennt man die Leute über die Zeit schon ganz gut. Aber ich war überhaupt nicht fertig. Denn Du weißt ja, daß ich den Grünen grundsätzlich vorwerfe, zu wenig für diejenigen zu tun, die nicht mit dem goldenen Löffel im Mund, ja mit überhaupt keinem Löffel geboren werden. Schlicht, daß sie die soziale Frage vergessen. Darum gefällt mir Baiers dritter Kernsatz:
„Die Schwächeren stärken.“
Also diejenigen die in unserem kapitalistischen Wirtschaftssystem und aufgrund alter Vorurteile schlechte Karten haben. Migranten, Flüchtlinge, Sinti und Roma, Alleinerziehende, Dauerarbeitslose und viele andere, Frauen übrigens häufiger als Männer. Auf dem Wohnungsmarkt will Baier mehr Sozialwohnungen erreichen, auch eine deutlich höhere Quote Sozialwohnungen bei der städtischen Wohnungsgesellschaft ABG. Von Anfang an bis heute engagiert er sich dafür, dass Gruppen gemeinschaftlichen Wohnens mehr Chancen bekommen. Als Gewerkschafter hat er jahrelang in den 90er Jahren in einer Arbeitsgruppe der IG Metall am ersten Industriepolitischen Leitbild mitgearbeitet, damals als der Verkauf von Unternehmen wie z.B. der Adlerwerke zum Verlust vieler Industrie-Arbeitsplätze führte.
Reicht Dir das, oder soll ich noch mehr erzählen?
Jörg: Nein, genug. Aber warum hast Du gerade über ihn gesprochen.?
Gisela: Weil er ein gutes Beispiel für den Sinn von Kumulieren ist. Dafür dass Du als Wähler Kandidaten ohne größere Chancen nach vorne bringen kannst. Platz 32 ist nun wirklich nicht sehr aussichtsreich.
Jörg: Wieso ist Uli Baier soweit hinten gelandet?
Gisela: Weil bei allen Parteien ein Generationswechsel angesagt wird. Weil die GRÜNEN zur Zeit einen großen Zuwachs an Jüngeren haben, und von diesen viele mit berechtigtem Ehrgeiz nach vorne drängen. Und von der radikalen Wende der GRÜNEN bei den geplanten Bebauung in den Gärten im Nordend hast Du sicher auch schon gehört?
Jörg: Sicher doch. Und wie ich mich erinnere, die Beschlüsse zum Programm und die Liste der Grünen, alles bei Parteiversammlungen per Video. Das machen sicher eher Jüngere mit. Das könnte die Reihenfolge der Listenplätze doch erklären.
Gisela: Aber wenn die Wähler richtig Bescheid wissen, wären die Listen und die Plätze doch nicht so zementiert, denn das entscheidende Wort bei der kommenden Stadtverordnetenversammlung haben nicht die Parteiversammlungen, sondern wir, wenn wir jetzt wählen. Und ich werde clever wählen und mir die Leute genau aussuchen, die die Geschicke der Stadt bestimmen. Und zu denen gehört für mich auch Uli Baier bei den GRÜNEN. So viele engagierte und kenntnisreiche Politiker, denen es vor allem um die Sache geht, gibt es nun auch wieder nicht.
Und auch bei den anderen Parteien sind einzelne Personen wichtig, nicht nur Programme. Hinter jedem Listenplatz der Parteien versteckt sich eine persönliche und politische Geschichte. Es ist schade, dass die meisten Wähler*innen so wenig mit der Welt der Kommunalpolitik in Berührung kommen.
Jörg: Kann man denn etwas im Kommunalparlament bewirken?
Gisela: Ja, doch nur, wenn man hartnäckig ist und einen Blick darauf hat, dass viele Erfolge sich erst langfristig einstellen. Und wenn Initiativen von außerhalb des Parlaments Druck machen.
Jörg: Also Leute wählen, die auf die Initiativen von außen auch hören und die sich für die Schwachen in dieser reichen Gesellschaft einsetzen.
Gisela: Du sagst es. Ohne Druck von außen passiert nicht viel Neues, aber der Druck von außen muss klug umgesetzt werden, in Schritten, die real zum Erfolg rühren können.
Jörg: Also jetzt Leute wählen, die jünger und radikaler im Römer mehr Dampf machen, aber auch Ältere, die für Kontinuität sorgen und mit ihren Kontakten zu anderen Parteien denen die neuen Ideen schmackhaft machen können. Es geht ja um das Beste für die Stadt, und nicht um das Wohl der Parteien!", hat mal ein berühmter Mann gesagt.
Gisela: Genau! Jedenfalls blickst Du jetzt etwas besser durch als vorher. Du machst also ein Kreuz oben bei Deiner Favoritenpartei, und dort wählst DU einige Personen aus, bei denen Du willst, dass sie nach vorne kommen, und gibst diesen drei xxx, Du kumulierst sie – und dasselbe machst Du dann in den Listen der anderen Parteien: bei denjenigen Personen, die Du im Stadtparlament sehen willst, Du panaschierst sie. Aber Achtung, es gibt nur 93 Plätze! Mehr anzukreuzen macht Deinen Stimmzettel ungültig.
Die Redaktion faßt zusammen:
Wer es sich bei der Kommunalwahl leicht machen will, kann ein Listenkreuz bei einer Partei machen: dann werden die Stimmen gleichmäßig auf die Kandidatinnen und Kandidaten auf der Liste verteilt. Wählen in unter 10 Sekunden sollte so möglich sein.
Wer sich jedoch etwas mehr mit der Lokalpolitik beschäftigt, freut sich über die Möglichkeiten zu kumulieren und zu panaschieren. Das bedeutet: bis zu 93 Stimmen (so viele wie die Anzahl der Sitze der Frankfurter Stadtverordnetenversammlung) können auf einzelne Kandidatinnen und Kandidaten auf verschiedenen Listen (das wäre dann "panaschieren") verteilt werden - und mit jeweils ein bis drei Kreuzen versehen werden (das wäre dann "kumulieren").
An der Komplexität, die die Möglichkeiten des Kumulierens und Panaschierens mit sich bringen, gibt es jedoch auch Kritik: so gibt es bei den vergleichsweise einfacheren bundesweiten Wahlen nur 1% ungültige Stimmen, bei Kommunalwahlen jedoch regelmäßig bis zu 4%.
Aber man kann das Problem recht gut umgehen, indem man zunächst bei einer Partei ein Listenkreuz macht und dann mitzählt, wieviel Kreuze man vergibt.
Diejenigen, die auf der ausgewählten Liste stehen, die man aber nicht gut findet, nicht gerne dabei haben will, können übrigens einfach durchgestrichen werden.
Foto:
© privat
Reicht Dir das, oder soll ich noch mehr erzählen?
Jörg: Nein, genug. Aber warum hast Du gerade über ihn gesprochen.?
Gisela: Weil er ein gutes Beispiel für den Sinn von Kumulieren ist. Dafür dass Du als Wähler Kandidaten ohne größere Chancen nach vorne bringen kannst. Platz 32 ist nun wirklich nicht sehr aussichtsreich.
Jörg: Wieso ist Uli Baier soweit hinten gelandet?
Gisela: Weil bei allen Parteien ein Generationswechsel angesagt wird. Weil die GRÜNEN zur Zeit einen großen Zuwachs an Jüngeren haben, und von diesen viele mit berechtigtem Ehrgeiz nach vorne drängen. Und von der radikalen Wende der GRÜNEN bei den geplanten Bebauung in den Gärten im Nordend hast Du sicher auch schon gehört?
Jörg: Sicher doch. Und wie ich mich erinnere, die Beschlüsse zum Programm und die Liste der Grünen, alles bei Parteiversammlungen per Video. Das machen sicher eher Jüngere mit. Das könnte die Reihenfolge der Listenplätze doch erklären.
Gisela: Aber wenn die Wähler richtig Bescheid wissen, wären die Listen und die Plätze doch nicht so zementiert, denn das entscheidende Wort bei der kommenden Stadtverordnetenversammlung haben nicht die Parteiversammlungen, sondern wir, wenn wir jetzt wählen. Und ich werde clever wählen und mir die Leute genau aussuchen, die die Geschicke der Stadt bestimmen. Und zu denen gehört für mich auch Uli Baier bei den GRÜNEN. So viele engagierte und kenntnisreiche Politiker, denen es vor allem um die Sache geht, gibt es nun auch wieder nicht.
Und auch bei den anderen Parteien sind einzelne Personen wichtig, nicht nur Programme. Hinter jedem Listenplatz der Parteien versteckt sich eine persönliche und politische Geschichte. Es ist schade, dass die meisten Wähler*innen so wenig mit der Welt der Kommunalpolitik in Berührung kommen.
Jörg: Kann man denn etwas im Kommunalparlament bewirken?
Gisela: Ja, doch nur, wenn man hartnäckig ist und einen Blick darauf hat, dass viele Erfolge sich erst langfristig einstellen. Und wenn Initiativen von außerhalb des Parlaments Druck machen.
Jörg: Also Leute wählen, die auf die Initiativen von außen auch hören und die sich für die Schwachen in dieser reichen Gesellschaft einsetzen.
Gisela: Du sagst es. Ohne Druck von außen passiert nicht viel Neues, aber der Druck von außen muss klug umgesetzt werden, in Schritten, die real zum Erfolg rühren können.
Jörg: Also jetzt Leute wählen, die jünger und radikaler im Römer mehr Dampf machen, aber auch Ältere, die für Kontinuität sorgen und mit ihren Kontakten zu anderen Parteien denen die neuen Ideen schmackhaft machen können. Es geht ja um das Beste für die Stadt, und nicht um das Wohl der Parteien!", hat mal ein berühmter Mann gesagt.
Gisela: Genau! Jedenfalls blickst Du jetzt etwas besser durch als vorher. Du machst also ein Kreuz oben bei Deiner Favoritenpartei, und dort wählst DU einige Personen aus, bei denen Du willst, dass sie nach vorne kommen, und gibst diesen drei xxx, Du kumulierst sie – und dasselbe machst Du dann in den Listen der anderen Parteien: bei denjenigen Personen, die Du im Stadtparlament sehen willst, Du panaschierst sie. Aber Achtung, es gibt nur 93 Plätze! Mehr anzukreuzen macht Deinen Stimmzettel ungültig.
Die Redaktion faßt zusammen:
Wer es sich bei der Kommunalwahl leicht machen will, kann ein Listenkreuz bei einer Partei machen: dann werden die Stimmen gleichmäßig auf die Kandidatinnen und Kandidaten auf der Liste verteilt. Wählen in unter 10 Sekunden sollte so möglich sein.
Wer sich jedoch etwas mehr mit der Lokalpolitik beschäftigt, freut sich über die Möglichkeiten zu kumulieren und zu panaschieren. Das bedeutet: bis zu 93 Stimmen (so viele wie die Anzahl der Sitze der Frankfurter Stadtverordnetenversammlung) können auf einzelne Kandidatinnen und Kandidaten auf verschiedenen Listen (das wäre dann "panaschieren") verteilt werden - und mit jeweils ein bis drei Kreuzen versehen werden (das wäre dann "kumulieren").
An der Komplexität, die die Möglichkeiten des Kumulierens und Panaschierens mit sich bringen, gibt es jedoch auch Kritik: so gibt es bei den vergleichsweise einfacheren bundesweiten Wahlen nur 1% ungültige Stimmen, bei Kommunalwahlen jedoch regelmäßig bis zu 4%.
Aber man kann das Problem recht gut umgehen, indem man zunächst bei einer Partei ein Listenkreuz macht und dann mitzählt, wieviel Kreuze man vergibt.
Diejenigen, die auf der ausgewählten Liste stehen, die man aber nicht gut findet, nicht gerne dabei haben will, können übrigens einfach durchgestrichen werden.
Foto:
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